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Vindolanda: Ein Dildo aus der Römerzeit?

Ein Stößel für Kosmetik, der Teil einer Statue oder doch ein Sexspielzeug? Ein Holzfund aus dem Römerkastell Vindolanda in Nordengland gibt Archäologen Rätsel auf.
Ein hölzener Dildo aus dem Römerkastell Vindolanda.
Im Römerkastell Vindolanda in Nordengland entdeckten Archäologen dieses Holzobjekt. Sein Alter: mehr als 1800 Jahre. Könnte es ein Sexspielzeug gewesen sein?

Es gehört zum Geschäft der Archäologen, zu ermitteln, für was die Dinge vergangener Kulturen taugten. Das klappt allerdings nicht immer zweifelsfrei. So wie im Fall eines geschnitzten Stücks Eschenholzes, gefunden in den Überresten des Römerkastells Vindolanda in Nordengland, mehr als 1800 Jahre alt, ausgezeichnet erhalten – und zumindest teilweise einem menschlichen Penis nicht ganz unähnlich. Für was nur könnte das Stück Holz nutze gewesen sein, fragten sich die beiden Archäologen Rob Collins von der Newcastle University und Rob Sands vom University College Dublin. Im Fachblatt »Antiquity« spielen sie durch, welche Funktionen für den Fund in Frage kämen: ein Stößel, ein Statuenteil oder – wofür sich die beiden Forscher am ehesten erwärmen können – ein Sexspielzeug.

Der Fund war bereits 1992 in Vindolanda im nordenglischen Northumberland ans Licht gekommen. In einem Graben des Kastells hatte man im späteren 2. Jahrhundert n. Chr. allerlei Unrat entsorgt. Schuhe, Haarnadeln, Kämme, Schaber, Messer, Spinnwirtel und zugeschnittene Lederreste klaubten die Ausgräber aus dem Erdreich. Denn in den einst planierten Bodenschichten unweit des Hadrianswalls haben sich Objekte aus organischen Materialien besonders gut erhalten. Vindolanda ist berühmt für Hunderte von Holzfunden. Den phallusförmigen Stock deuteten die Fachleute jedenfalls wegen der vielen Werkstattreste als Gerät zum Stopfen von Textilien.

Weit gefehlt, wie es nun Collins' und Sands' Studie nahelegt. Sie interpretieren den 16 Zentimeter langen Fund zunächst nüchtern als »nicht miniaturhaften körperlosen geschnitzten Holzphallus«. Die beiden Archäologen meinen damit einen ungefähr lebensgroßen erigierten Penis aus Holz. So sei an der Spitze laut den Forschern deutlich eine Eichel herausgeschnitzt worden. Das andere Ende des breiter werdenden Schafts bildet eine Art zylinderförmiger Griff.

Spuren am Holz | An dem dreidimensionalen Scan des Holzfunds sind jene Stellen farbig hervorgehoben, die den Forschern beim Abtasten auffällig erschienen. Grün sind glatte Stellen markiert, gelb solche, an denen sich noch Werkzeugspuren erkennen lassen.

Collins und Sands untersuchten das Stück auf mögliche Gebrauchsspuren. Dazu ließen sie einen 3-D-Scan anfertigen, tasteten es aber auch ab. Und in der Tat sei die Oberfläche am gerundeten dicken Ende glatter als der Rest. Ebenso fühle sich, so schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie, die gegenüberliegende Spitze geschmeidiger an. Der Grund: Diese Stellen seien schlicht häufiger angefasst worden als der Mittelteil des Holzes in Penisform.

Für was ein Stück Holz in Form eines Phallus getaugt haben könnte

Was sagt das nun über dessen einstige Funktion aus? Für Collins und Sands kommen drei Möglichkeiten in Frage. Der Phallus könnte in eine Statue eingezapft gewesen sein. Das war in der Tat nicht unüblich in der Antike. Etwa bei den so genannten Hermen: Dabei handelt es sich um Pfeiler mit einem menschenförmigen Kopf, aus dem ein erigiertes Glied ragt. Ein solche ithyphallische Darstellung ist auch für den Gott Priapus typisch. Der rundliche Griff des Holzphallus aus Vindolanda erscheint aber wenig vorteilhaft als Zapfenfläche. Zudem ist das Ende abgenutzt. Wie sollen diese Gebrauchsspuren entstanden sein, wenn das Holz in einer Statue steckte?

Für Collins und Sands ist daher auch denkbar, dass es sich um einen Stößel handelte. Einen, der weniger in einer Küche, sondern zum Anrühren von kosmetischen oder medizinischen Stoffen diente. Womöglich wählte man die Penisform aus symbolischen oder gar magischen Gründen, meinen die zwei Archäologen. In irgendeiner Art könne es um Fruchtbarkeit gegangen sein.

Überhaupt: Für heutige Gesellschaften vielleicht nicht leicht nachvollziehbar, war der menschliche Penis in der Antike allgegenwärtig. In Mosaiken, in Wandmalereien oder auf Reliefs: Mythische Helden wurden im Normalfall nackt und dementsprechend mit entblößten Schambereich dargestellt. Ebenso gab es diverse Alltagsgegenstände in Phallusform: Lampen, Gefäße, Schmuck oder Schutzembleme, die apotropäisch wirken sollten – also allerlei böse Kräfte abwehren sollten, die man in der Welt wähnte. Und ein erigierter Penis erfüllte diese Funktion hervorragend, so glaubten die Menschen der Antike.

Diesem Zweck könnte auch der Holzphallus aus Vindolanda gedient haben. Doch wollen Collins und Sands eine konkrete Funktion nicht ausschließen: Vielleicht war das geschnitzte Stück Holz schlicht ein Sexspielzeug. Dass Griechen und Römer Dildos kannten – und nutzten –, bezeugen etliche Darstellungen. Funde sind allerdings rar. Wahrscheinlich, so vermuten die beiden Archäologen, weil sie meist aus organischen Materialien gefertigt waren. Dinge aus Holz, Textil oder Leder haben deutlich seltener die Zeiten überdauert als Objekte aus Stein, Keramik oder Metall. Die Gebrauchsspuren am Holzphallus aus Vindolanda würden jedenfalls einer Deutung als Dildo nicht widersprechen, allerdings fehle es auch an entsprechenden Studien zu möglichen Abnutzungserscheinungen an derartigen Utensilien, schreiben die beiden Forscher. Und der Vergleich mit heutigen Exemplaren sei schlicht »schwierig«.

Sicherer sei hingegen: Der hölzerne Penis muss einst größer gewesen sein als heute. Denn Holz schrumpft, wenn es jahrhundertelang in der Erde liegt. Collins und Sands sind sich zudem bewusst, dass sie keine eindeutige Erklärung für den Holzfund aus Vindolanda liefern können; sie hoffen aber, dass ihre Studie die Suche nach ähnlichen Objekten der Antike fördert.

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