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Gedächtnis: Eine fremde Sprache schützt vor falschen Erinnerungen

Wer Informationen in einer Fremdsprache aufnimmt, kann sich hinterher besser auf seine Erinnerungen verlassen. Sie sind seltener verzerrt – vermutlich, weil eine fremde Sprache rationale Denkprozesse aktiviert.
Zwei Touristen fragen eine Einheimische in den Straßen von Tokio, dessen bunte Schilder man im Hintergrund sieht, mit dem Smartphone nach dem Weg.
Wer in einer fremden Sprache kommunizieren muss – zum Beispiel, um nach dem Weg zu fragen wie hier in den Straßen Tokios –, nimmt Informationen wahrscheinlich sorgfältiger unter die Lupe. (Symbolbild)

Das menschliche Gedächtnis arbeitet nicht immer akkurat: Manchmal meinen wir uns an Dinge zu erinnern, die so tatsächlich nie stattgefunden haben. Einige Psychologinnen und Psychologen fanden Hinweise darauf, dass man Menschen unter bestimmten Bedingungen sogar falsche Kindheitserlebnisse einreden kann. Die Wahrscheinlichkeit, falsche Erinnerungen zu bilden, scheint allerdings abzunehmen, wenn man Informationen nicht in seiner Muttersprache aufnimmt, sondern in einer Fremdsprache. Das berichtet nun ein Team um Leigh Grant von der University of Chicago im »Journal of Experimental Psychology: General«.

Grant und ihre Kollegen rekrutieren für ihr erstes Experiment 120 Studierende in den USA, deren Muttersprache Mandarin war. Die Teilnehmenden sprachen aber auch alle englisch und gaben ihre Kenntnisse in der Sprache im Schnitt als »gut« an. Um ihr Gedächtnis auf die Probe zu stellen, bekamen sie zwei Listen mit jeweils 15 Wörtern zu hören – eine auf Mandarin, eine auf Englisch. Die Wörter der Listen passten dabei alle zu einem bestimmten Thema, ließen aber immer ein sehr naheliegendes Wort aus, das sich aufdrängt, wenn man an das Thema denkt. Im Anschluss wurden die Probanden gebeten, zwei Listen anzufertigen: eine mit den Wörtern, die sie gehört hatten, und eine mit anderen Wörtern, die ihnen bei dem Themenkomplex ebenfalls in den Sinn kamen, aber nicht Teil der ursprünglichen, 15-teiligen Wortliste gewesen waren.

Insgesamt gelang das den Versuchspersonen besser, wenn sie mit der englischen Wortliste arbeiteten: Hier landete das sehr naheliegende verwandte Wort häufiger korrekterweise auf der Liste mit den Wörtern, die sie zuvor noch nicht gehört hatten.

Ähnliche Ergebnisse lieferte ein zweites Experiment mit 120 anderen Studierenden aus China mit Englisch als Zweitsprache. Darin sahen sich die Teilnehmenden zunächst zwei kurze Videos zu einem Verbrechen an. Anschließend hörten sie eine Geschichte, die die Geschehnisse in den Videos beschrieb – bei einem Film auf Englisch, beim anderen auf Mandarin. In beide Geschichten bauten die Forscher absichtlich Fehler ein.

Weniger anfällig für Falschinformationen

Eine anschließende Befragung der Probanden zu den Informationen aus den Videos zeigte, dass auch hier die Fremdsprache immun gegen falsche Erinnerungen zu machen schien: Die Teilnehmenden erinnerten sich zwar nicht grundsätzlich besser an das Video, das ihnen später auf Englisch beschrieben worden war, sie saßen aber seltener Falschinformationen auf.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass Menschen sich bewusster mit ihren Erinnerungen auseinandersetzen, wenn sie auf eine andere Sprache als ihre Muttersprache zurückgreifen müssen. Um sprachliche Fauxpas zu vermeiden, verlassen sie sich weniger stark auf die schnelle, intuitive Informationsverarbeitung, sondern setzen eher auf langsame, rationale Denkprozesse. Das passiert anscheinend unbewusst.

»Dies widerlegt die Vorstellung, dass jede Entscheidung, die man trifft, automatisch eine schlechtere ist, nur weil man eine Fremdsprache benutzt«, erklärt Grant in einer Pressemitteilung der Universität. Noch unklar ist allerdings, ob sich die Ergebnisse eins zu eins auch auf andere Fremdsprachen übertragen lassen. Zudem haben vermutlich die individuellen Fähigkeiten einen Einfluss: Für diejenigen, die eine Zweitsprache fließend beherrschen, könnten andere Regeln gelten.

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