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Meeresökologie: Große Haie, kleine Fische

Haie haben Menschen zum Fressen gern? Falsch! Die Jäger des Meeres sind meist selbst die Gejagten, und sie landen bevorzugt als Steak oder Suppe auf dem Teller – mit oft weitreichenden Folgen.
Haie
Im Jahr 2004 kam es nach einer Erhebung des International Shark Attack File, das in Florida erstellt wird, weltweit zu 55 unprovozierten Angriffen von Haien auf Menschen – vier davon endeten tödlich. Im gleichen Zeitraum fingen Fischer aus den Ozeanen der Erde weit mehr als 700 000 Tonnen Hai – ein tödliches Ende für etwa 100 Millionen Tiere.

Und die seit dem Film "Der Weiße Hai" gefürchteten wie verhassten Unterwasserräuber sind nicht die alleinigen Opfer. Im Gegensatz zu verspeisten Landtieren bevorzugt der Mensch aus dem Meer oft die Fleischfresser auf dem Teller: ob Tun- und Schwertfische, Roter Schnapper oder Chilenischer Seebarsch – sie alle enden gerne als Delikatesse in Form von Schillerlocken, Steaks oder Sushi.

Haie | Haie stehen in marinen Nahrungsketten an der obersten Spitze der Pyramide. Werden sie durch übermäßigen Fang aus dem System entfernt, hat das weit reichende Folgen: Mit dem Verlust der Top-Fleischfresser vermehren sich kleinere Räuber so stark, dass sie die Pflanzenfresser übernutzen. Dadurch kommt es zu massenhaften Algenblüten, die wiederum Riffe ersticken. Am Ende wird das Riff durch Tang-Bestände ersetzt.
Doch wie so oft, wenn der Mensch derartig in ein Ökosystem eingreift, bleibt das nicht ohne schwerwiegende Konsequenzen im gesamten Aufbau der Nahrungskette. Es sei denn die Natur hat ein paar Sicherheitsreißleinen in das Netz der ökologischen Verbindungen eingewoben, wie jetzt Wissenschaftler um Jordi Bascompte von der Universität von Kalifornien in San Diego anhand von Modellstudien der Karibik herausgefunden haben.

Die Forscher untersuchten zu diesem Zweck knapp 250 Arten von Wirbellosen, Fischen, Meeresschildkröten sowie Seevögeln, die über mehr als 3300 Wechselwirkungen miteinander in Verbindung stehen. Daraus entwickelten sie Nahrungsnetzwerke, die insgesamt ein Gebiet von etwa 1000 Quadratkilometern Größe repräsentieren würden. Dann ließen die Wissenschaftler diese Banden wiederum in Modellen reagieren und verglichen sie anschließend mit der Realität.

Karibisches Riff | Intakte Riffe zeichnen sich durch hohen Artenreichtum aus und sind sehr produktiv. Allerdings sind sie auch sehr empfindlich gegenüber Klimaerwärmung, Wasserverschmutzung oder Überfischung. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist die Korallenbedeckung der Karibik-Riffe von fünfzig Prozent auf nur noch zehn Prozent im Jahr 2003 gesunken.
Während willkürliches Überfischen aller Arten die Fischgründe auf lange Sicht ruiniert, aber die Nahrungskette einigermaßen intakt hält, wirkt sich in dieser Hinsicht die übermäßige, selektive Ausbeutung von Raubfischen fatal aus – vor allem, wenn sie an der Spitze der Fraßpyramide stehen. Entfernt man also die Haie als Schlüsselart aus dem Naturhaushalt, fehlt den kleineren Jägern der Feind, was sie natürlich weidlich ausnutzen: Sie vermehren sich stark und bedrängen in der Folge die Weidetiere unter den Flossenträgern wie Papageifische, die eine Stufe unter ihnen stehen.

Ohne Planktonfresser aber nimmt das ozeanische Grünzeug übermäßig zu, und Korallenriffe ersticken unter Tang und modernden Algenbergen. Am Ende dieses Vorgangs, der mittlerweile tatsächlich häufig in der Karibik beobachtet werden kann, steht eine nahezu komplette Umwandlung des natürlichen Gefüges.

Das Ökosystem kann jedoch den Verlust der Chef-Räuber abfedern, wenn die spezialisierten Fleisch- durch verschiedene Allesfresser ersetzt werden, die sowohl kleinere Raubfische als auch deren Beute und das Futter der Beutetiere nicht verschmähen. Falls vorhanden, halten sie das natürliche Gleichgewicht einigermaßen intakt, und das Verschwinden weiterer Arten minimiert sich: Die Riffe bleiben erhalten.

Mit dem Verzehr einer Haifischflossensuppe löst der geneigte Esser also einen Dominoeffekt aus, der aus bunten Korallenriffen einen schleimigen Algenteppich werden lässt. Wer aber hofft, dass mit dem Verschwinden der Haie die Meere zumindest sicherer werden, täuscht: Jährlich erkranken weltweit tausende an Vergiftungen durch toxische Algenblüten.

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