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Biochemie: Käferkleinkriege

Er ist der Fluch des Forstwirts - frisst er sich doch bevorzugt, massenhaft und zügig durch Nadelholzmonokulturen. Im Detail enthüllt der Borkenkäfer vielleicht aber Segensreiches: Sein biochemisches Arsenal gegen persönliche Schädlinge könnte ein bedeutender Fortschritt für die Medizin sein.
Erwachsener Borkenkäfer
Wenn die Borkenkäfer der Art Dendroctonus frontalis ausschwärmen, fangen Waldbesitzer in den USA und Mexiko an zu zittern: Der Kerf gilt als einer ihrer übelsten Feinde, denn er zieht gerne in Armeestärke durch Kiefernwälder und vernichtet in manchen Jahren fast 24 000 Kubikkilometer Holz im Wert von mehreren zehn Millionen US-Dollar. Zurück bleiben abgestorbene oder sterbende Wälder, die teils neuen Käfergenerationen als Brutstätte dienen, teils leichtes Opfer von Feuersbrünsten oder Stürmen werden.

Zum Problem werden die Käfer, weil sie nicht einfach die Nadeln der befallenen Bäume abfressen, was die Pflanze zumindest beim ersten Mal verkraften könnte. Ihre Attacken zielen vielmehr auf das Herz der Kiefern, das Bastgewebe oder Phloem unter der Rinde, in dem der Baum Zucker, Aminosäuren und andere lebenswichtige Substanzen transportiert. Dort legen die Schädlinge auch ihr Paarungsrevier, das den bezeichnenden Namen Rammelkammer trägt, und die Muttergänge an, in denen der Nachwuchs groß werden soll. Alle zusammen zehren sie vom Wirt und seinen Säften, und treten sie massenhaft auf, überfordert das dessen Widerstandskräfte: Der Baum stirbt.

Pilze für den Nachwuchs

Als Starthilfe für ihre Sprösslinge bringen die erwachsenen Borkenkäfer einen Pilz der Gattung Entomocorticium mit, den sie in ihrem so genannten Mycangium – einem speziellen Pilzlagerbehältnis im Käferkörper – in den Baum einschleppen. Dort nährt sich der Fungus am Holz, und den entstehenden Rasen in den Kammern weiden dann die Käferlarven ab. Dendroctonus frontalis führt jedoch noch mehr Passagiere mit sich, wie Mikrobiologen um Jarrod Scott von der University of Wisconsin in Madison entdeckten – etwa Tarsonemus-Milben, die den Käfer als günstiges Transportmittel im Forst missbrauchen.

Borkenkäfer und sein Zerstörungswerk | Der "Southern Pine Beetle" wird von Forstwirten gefürchtet, denn er frisst sich massenhaft durch Kiefernwälder. Zurück bleiben oft nur Baumleichen.
Als blinde Passagiere gelangen auch sie ins Innere der Kiefern, die für sie ansonsten unzugänglich wären – bisweilen zum Schaden ihrer Vehikel. Denn die Milben übertragen ihrerseits einen Pilz: die Stammholzbläue (Ophiostoma minus). Auf der einen Seite ist er durchaus segensreich für den Käfer, denn er schwächt den Baum zusätzlich und mindert so dessen Abwehrkräfte: Dendroctonus frontalis hätte also leichteres Spiel. Auf der anderen Seite konkurriert Ophiostoma minus mit Entomocorticium und unterdrückt diesen nur zu oft mit Gift, was in einem empfindlichen Nahrungsmangel für die Larven endet. Sie bleiben in ihrer Entwicklung stecken, und die zweite Schädlingsgeneration fällt aus, was letztlich ihren Eltern nicht gefallen kann, wollen sie doch ihre eigenen Gene weitergeben.

Der Feind meines Feindes

Nur: Was tun? Die unerwünschten Milben fernzuhalten, ist unmöglich. Die Kerfe setzen stattdessen ganz auf die Kraft biochemischer Waffen, wie die Forscher mit Hilfe von Elektronenmikroskopen und Wuchsexperimenten in der Petrischale enthüllten. Tatsächlich tragen die Borkenkäfer neben ihrem Pilz noch einen weiteren Helfer mit sich: ein Bakterium aus der Gruppe der Aktinomyzeten. Es produziert ein Gift, das die Stammholzbläue abtötet, Entomocorticium jedoch am Leben lässt – obwohl das Gegenmittel nicht spezifisch wirkt und im Experiment auch andere Pilze vernichtete. Wahrscheinlich, so Co-Autor Cameron Currie, habe sich Entomocorticium im Laufe der gemeinsamen Entwicklungsgeschichte und Herkunft aus dem Mycangium an das Bakterium und dessen Chemismus gewöhnt. Nun ist es resistent gegenüber den geringen Dosen der freigesetzten Fettsäure, die der Stammholzbläue schon den Garaus bereiten.

Das breite Wirkungsspektrum von Mycangimycin, wie die Forscher das neu gefundene Antipilzmittel tauften, macht es nun interessant für die Pharmaforschung. Da in den letzten Jahren die Zahl der Bakterien und Pilze gestiegen ist, die gegenüber den herkömmlichen Antibiotika resistent sind, könnten die Insektenuntermieter potente Abhilfe schaffen. Die verantwortliche Fettsäure ist allerdings noch zu instabil, um sie schon als Medikament einzusetzen. Bei geschätzten zehn Millionen Kerbtierarten öffnen sich für die Medizin jedenfalls gewaltige Möglichkeiten. Jarrod Scott sieht es dagegen etwas bescheidener: "Wir wollen den Menschen zeigen, dass Mikroben nicht nur Parasiten sind, sondern öfter noch Partner." Ob das dem Borkenkiefer jedoch zum Imagegewinn dient, darf angezweifelt werden.

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  • Quellen
Scott, J. et al.: Bacterial Protection of Beetle-Fungus Mutualism. In: Science 322, S. 63, 2008.

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