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Hitzerekorde: Klimawandel macht Temperaturen von 50 Grad auch in Europa möglich

Im Juni 2021 sorgte eine Hitzewelle für infernalische Temperaturen in Nordamerika. Klimasimulationen zeigen, dass solche extremen Hitzeereignisse künftig auch vor Paris nicht Halt machen.
In Lytton, Kanada, brennt im Juli 2021 der Wald nach einer infernalischen Hitzewelle
Neun Tage lang lastete im Sommer 2021 eine extreme Hitzeglocke über dem Westen Nordamerikas. In Lytton wurde mit 49,6 Grad der kanadische Hitzerekord gebrochen.

Vor dem Jahr 2021 hatte vermutlich kaum jemand – abgesehen von den 250 Einwohnern – jemals von dem beschaulichen Örtchen Lytton in Kanada gehört. Eingebettet in Wälder und Wiesen liegt die Gemeinde idyllisch an einer Flussmündung in der Provinz Britisch-Kolumbien. Im Juni 2021 aber titelten Zeitungen weltweit »Fast 50 Grad Celsius in Kanada: Was zur Katastrophe von Lytton führte« und »Lytton is gone: wildfire tears through village after record-breaking heat« (Lytton ist verschwunden: Nach rekordverdächtiger Hitze wütet ein Waldbrand im Dorf). Der traurige Grund für den plötzlichen Ruhm: Neun Tage lang lastete damals eine extreme Hitzeglocke über dem Westen Nordamerikas. Ende Juni und Anfang Juli lagen die durchschnittlichen Temperaturen zehn Grad Celsius über den normalen Werten; an manchen Tagen heizte sich die Luft sogar mehr als 30 Grad Celsius über das übliche Mittel auf. Kanadischer Rekord.

Wenn man eine solche Naturkatastrophe schon nicht verhindern kann – hätte man wenigstens die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie eintritt, vorab beziffern und die Bevölkerung darauf vorbereiten können? Die simple Antwort lautet: Ja. Das zumindest sagt Erich Fischer, Klima- und Atmosphärenwissenschaftler an der ETH Zürich: » Wir zeigen, dass dies möglich gewesen wäre.« Zusammen mit seinem Team hat er eine Methode entwickelt, wie sich auf der Basis gängiger Klimamodelle extreme Hitzewellen simulieren lassen. Die Forscherinnen und Forscher berichten davon in einem »Perspective«-Beitrag im Fachmagazin »Nature Communications«. »Es handelt sich dabei aber nicht um Vorhersagen«, betont Fischer. »Wir berechnen Worst-Case-Szenarien und machen Risikoabschätzungen.« Es gehe darum, zu quantifizieren, ob es in einer bestimmten Region bereits unter heutigen Bedingungen zu Rekordtemperaturen kommen kann. »Wir versuchen zu verstehen, was eine extreme Hitzewelle besonders intensiv macht und welche atmosphärischen Prozesse verhindern, dass Temperaturen beliebig hoch ansteigen.«

Mit einem so genannten Ensemble-Boosting-Ansatz entwickeln die Forscher physikalisch plausible Szenarien, wann, wie und warum Hitzewelle auftreten, die sogar noch heißer sind als die, die über Lytton hinweggerollt ist. »Überall an Land und in den Ozeanen verzeichnen wir aktuell Hitzerekorde«, sagt Fischer. Der Nordatlantik ist derzeit wärmer als gewöhnlich, in China wurden mehr als 50 Grad gemessen, selbst in der Antarktis herrschen rekordverdächtige Temperaturen. »Bestehende Rekorde werden regelrecht pulverisiert. Das ist ein klares Zeichen des Klimawandels.«

Risikoabschätzungen für Hitzewellen

Beim Ensemble-Boosting geht man von einem Modelldurchlauf aus, in dem eine »normale« Hitzewelle auftritt. Dann fügt man jeweils fünf Tage bis etwa drei Wochen vor der maximalen Hitzewellenanomalie zufällige kleine Veränderungen ein und lässt das Modell erneut laufen. In einigen der jeweils 100 Durchläufe fanden die Forscher die gesuchten Rekord-Hitzewellen, die in normalen Klimasimulationen nicht auftauchen – einfach weil sie zu selten sind.

Nachdem die Forscher festgestellt hatten, dass sich mit ihrer Methode die kanadische Hitzewelle von 2021 reproduzieren ließ, wandten sie den gleichen Ansatz auf zwei weitere Regionen an und versuchten Risikoabschätzungen für Hitzewellen zu treffen, die in den kommenden Jahren im Großraum Paris sowie in Chicago denkbar wären. »Wir können auf der Grundlage unseres Modells zeigen, dass in Paris Temperaturen möglich sind, die bisherige Rekorde nochmals um zwei bis drei Grad übertreffen, und das, obwohl in Frankreich die Hitzewellen zuletzt so stark zugenommen haben wie nahezu nirgends sonst auf der Erde«, sagt Fischer.

In Chicago sei im Gegensatz zu Europa zwar kaum ein langfristiger Trend zu intensiveren Hitzewellen festzustellen. »Teilweise ist diese Region in jüngster Zeit aber auch per Zufall von extremer Hitze verschont geblieben«, sagt Fischer. Die Resultate des Modells jedenfalls zeigten, dass dort in den kommenden Jahren Temperaturen möglich wären, die bisherige Rekorde um sechs bis sieben Grad übertreffen.

»Öffentliche Behörden und private Firmen sollten sorgfältig testen, ob unser Gesundheitssystem und die kritische Infrastruktur auf solche Ereignisse vorbereitet sind«Erich Fischer, Klimaforscher an der ETH Zürich

»Öffentliche Behörden und private Firmen sollten sorgfältig testen, ob unser Gesundheitssystem und die kritische Infrastruktur auf solche Ereignisse vorbereitet sind.« In Frankreich etwa müssen bei extremer Hitze die Kernkraftwerke heruntergefahren werden, während gleichzeitig der Strombedarf für die Kälteerzeugung steigt – ein folgenreiches Dilemma. »Unsere Methode ist ein erster Schritt in die Richtung, sich auf zukünftige Rekordhitzewellen vorzubereiten«, sagt Fischer. Die Risikoabschätzung für weitere klimawandelbedingte Naturereignisse wie Starkregen oder Dürren müssten nun folgen.

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