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Temperaturrekord: Warum der Nordatlantik so extrem warm ist

Um ein halbes Grad schlägt die aktuelle Wassertemperatur im Nordatlantik den bisherigen Rekord. Mehrere Faktoren tragen gemeinsam zu der extremen Wärme im Meer bei.
Blick vom Strand über einen Ozean.
Der Atlantik ist so warm wie nie zuvor - das klingt nach besten Voraussetzungen für einen Badeurlaub, hat allerdings gewisse Risiken und Nebenwirkungen.

Ein neuer, außergewöhnlicher Wärmerekord beunruhigt Klimafachleute. Doch während Waldbrände in Nordamerika spektakuläre Bilder liefern, findet dieses neueste Extremereignis nicht an Land statt, sondern im Ozean. Mit im Mittel 22,7 Grad Celsius übertraf der Nordatlantik am 11. Juni den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2010 um ein halbes Grad – ein außerordentlich hoher Unterschied für einen ganzen Ozean. Und schon seit drei Monaten ist der Nordatlantik, Europas Ozean vor der Haustür, weit wärmer als normal.

Die Hitzewelle ist Teil eines seit März anhaltenden weltweiten Musters erhöhter Oberflächentemperaturen in fast allen Ozeanbecken. Seit Mitte März ist die globale durchschnittliche Temperatur der Meeresoberflächen durchgehend höher als jemals zu dieser Jahreszeit und erreichte Anfang April mit 21,1 Grad den höchsten bisher gemessenen Wert überhaupt.

Weshalb die Ozeane allgemein und der Nordatlantik im Besonderen derzeit so warm sind, ist im Detail unklar. Vermutlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle – als Erstes der globale Klimawandel. 90 Prozent der von den zusätzlichen Treibhausgasen eingefangenen Energie geht in die oberen Schichten der Ozeane und erwärmt diese – im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um bisher rund 0,9 Grad. Es ist aber nicht nur die Durchschnittstemperatur, die steigt. Auch regionale marine Hitzewellen, die oft verheerend für das Meeresleben sind, werden häufiger.

Weniger Schwefel – wärmeres Wasser

Bei den außergewöhnlich warmen Meeren im Sommer 2023 spielen neben der globalen Erwärmung einige andere Faktoren mit hinein, die die Temperaturen zusätzlich steigen lassen. Eine Rolle spielt wohl eine technische Umstellung aus dem Jahr 2020. Damals senkte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) der Vereinten Nationen den maximal zulässigen Gehalt an Schwefel in Schiffstreibstoffen von 3,5 Prozent auf 0,5 Prozent. Dadurch gingen die globalen Schwefelemissionen durch die Schifffahrt um rund 70 Prozent zurück. Dieser Gewinn für die Umwelt kommt mit einem Nebeneffekt: Aus dem Schwefel entstehen in der Atmosphäre Aerosole, die einen Teil des Sonnenlichts zurückwerfen und den Ozean so kühlen. Mit dem geringeren Schwefelanteil sank auch der Kühleffekt.

Im Nordatlantik, wo einige der am stärksten befahrenen Schiffsrouten verlaufen, wirkt sich die Neuerung sehr stark aus. Durch die vielen Schiffe war der Kühleffekt hier besonders hoch, entsprechend mehr Sonnenenergie nimmt das Meer nach der Neuregelung auf. Ein Teil der außergewöhnlichen Erwärmung könnte auf diesen Mechanismus zurückgehen.

Ein weiterer Kühleffekt ist seit einigen Wochen ebenfalls weggefallen: Saharastaub. Die Passatwinde, die durch die Erdrotation in den Subtropen aus nordöstlicher Richtung wehen, tragen viel Staub aus der Sahara mit sich. Die enormen Mengen feiner Partikel färben je nach Wetterlage auch in Europa den Himmel gelb, doch der Großteil des Staubs treibt auf den subtropischen Atlantik hinaus bis in die Karibik. Er düngt nicht nur die Wälder auf der anderen Seite des Ozeans, sondern spendet ebenso dem Meer Schatten.

Aus noch unbekannten Gründen jedoch sind die Passatwinde über dem Atlantik gegenwärtig recht schwach, und vergleichsweise wenig Staub hängt in der Luft. Auch das könnte zu mehr Sonneneinstrahlung und höheren Oberflächentemperaturen beigetragen haben, vermutete auf Twitter der Klimaforscher Michael Mann. Die schwächeren Passatwinde können außerdem das warme Wasser nicht mehr von der Westküste Afrikas wegdrücken, so dass kein kühles Wasser aus der Tiefe aufsteigen kann, was ebenfalls die Temperaturen dort steigen lässt.

Das Atlantikwasser kommt nach Deutschland

Rätselhaft ist dagegen ein weiterer vermuteter Einfluss: der beginnende El-Niño-Zustand im tropischen Pazifik. Dieses natürliche Wettermuster, bei dem sich ungewöhnlich warmes Wasser im Zentralpazifik und vor der Küste Südamerikas sammelt, stellt sich in unregelmäßigen Abständen alle paar Jahre ein und verursacht neben Wetterkapriolen in vielen Weltregionen wie Ostaustralien, Südasien oder dem Horn von Afrika auch höhere globale Temperaturen sowohl in der Atmosphäre wie in den Ozeanen. Nach drei Jahren La Niña – selbst ein sehr ungewöhnliches Ereignis – sind die Meerestemperaturen im zentralen und östlichen tropischen Pazifik über den Schwellenwert für El Niño angestiegen.

Die Fachleute der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA (NOAA) rechnen damit, dass die Anomalie sich bis zum Winter nach und nach verstärkt. Das könnte die globale Durchschnittstemperatur im Lauf des Jahres um bis zu ein viertel Grad erhöhen. Allerdings setzen die Auswirkungen von El Niño normalerweise nicht so früh ein. Für gewöhnlich dauert es bis nach dem Höhepunkt des Klimaphänomens, bis die zusätzliche Wärme in Atmosphäre und Ozeanen ankommt. Welche Rolle El Niño für die aktuelle Wärme im Nordatlantik spielt oder ob sein Einfluss womöglich in den nächsten Monaten den Temperaturen noch einen weiteren Schub gibt, ist deswegen bislang unklar.

Unsicher ist zudem, welche Auswirkungen die hohen Temperaturen auf das Wetter in Europa haben. Womöglich spielen sie schon in der nächsten Woche eine gewisse Rolle. Höhere Wassertemperaturen lassen mehr Wasser über dem subtropischen Atlantik verdunsten, und diese feuchte, warme Luft wird wohl in den nächsten Tagen an der Vorderseite eines Tiefdruckgebiets von Südwesten nach Deutschland strömen. Neben den Temperaturen, die dann im Westen 30 Grad Celsius erreichen können, steigt die Wahrscheinlichkeit von Unwettern und heftigen Gewitterregen, zusätzlich befeuert vom verdunsteten Atlantikwasser.

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