Direkt zum Inhalt

Landwirtschaft: Tödliche Olivenernte

Jährlich könnten Millionen Vögel bei der industriellen Olivenernte sterben. In Spanien wurde die Nachternte mit Hightech-Saugrobotern gestoppt. Doch wie schlimm ist es wirklich?
Oliven samt Blättern in Kisten.

Olivenhaine können wahre Oasen der biologischen Vielfalt sein. Forscher der spanischen Universität Jaén wollten es genau wissen und untersuchten 40 vom Charakterbaum mediterraner Regionen geprägte Haine in Andalusien. Das Ergebnis hat sie selbst überrascht. 165 Vogelarten und damit ein Viertel aller auf der Iberischen Halbinsel nachgewiesenen Spezies nutzen die Olivenhaine. Jede fünfte Ameisenart Spaniens, 119 bestäubende Insektenarten und rund 550 verschiedene Kräuter wurden nachgewiesen. Sogar eine bislang unbekannte Pflanzenart entdeckten die Forscher im Zuge der Studie: Linaria qartobensis, ein endemisches, also einheimisches und lediglich lokal vorkommendes violettes Leinkraut.

Damit gehören Olivenhaine zu den wichtigsten Kulturlandflächen für den Schutz der Biodiversität in Europa. Spanien könnte angesichts seiner rund 300 Millionen Olivenbäume ein ökologisches Paradies sein. Die Realität sieht vielerorts jedoch anders aus. Längst hat die Intensivierung des Agrarsektors auch den Olivenanbau erreicht. Spanien ist mit einer Produktion von rund 1,79 Millionen Tonnen im Jahr 2018/2019 der mit Abstand weltweit größte Produzent von Olivenöl.

Innerhalb Spaniens ist Andalusien wiederum der Teil des Landes, in dem am meisten Olivenöl hergestellt wird: 80 Prozent der Landesproduktion. Entsprechend wichtig sind die Plantagen für die lokale Wirtschaft, und entsprechend stark ist der Intensivierungsdruck auf die Landwirtschaft. Während allerdings die spanische Tomaten- oder Erdbeerproduktion und ihre endlosen plastikbedeckten Treibhäuser als gravierendes ökologisches Problem bekannt sind, gerät die superintensive Olivenbewirtschaftung erst jetzt in das Blickfeld der Öffentlichkeit.

Erntemaschinen töten massenweise Vögel

Dabei hatte die spanische Ökobewegung Ecologistas en Acción die Behörden schon 2017 auf ein neuartiges Phänomen aufmerksam gemacht: Um das Aroma der Oliven zu erhalten und größere Flächen in kürzerer Zeit abernten zu können, begannen die Produzenten nachts zu ernten – mit riesigen Maschinen. Wie die Reinigungsbürsten in einer Autowaschstraße umfassen die Erntemaschinen die in Reih und Glied gepflanzten Olivenbäume in diesen Kulturen von zwei Seiten, schütteln sie und saugen die Früchte von den Ästen. Singvögel, die in großer Zahl zur Erntezeit von November bis März in Spanien überwintern und in den Bäumen schlafen, haben dabei kaum eine Überlebenschance. Die starken Scheinwerfer während der Nachternte blenden die Vögel zudem, so dass sie meist nicht einmal versuchen, dem näher rückenden Inferno fliegend zu entkommen.

Beinahe zeitgleich mit dem Hinweis der Ökoaktivisten wurden die Behörden von der Polizei wegen einer eher indirekten Folge der neuartigen Erntemethode auf das Problem aufmerksam gemacht: Für ein Zusatzeinkommen verkauften Olivenfarmer nämlich die tot in den Erntewannen zwischen den Oliven liegenden Singvögel als Delikatessen an lokale Gastronomen. Die Guardia Civil ermittelte wegen illegaler Vogeltötung.

Daraufhin wurde ein Gutachten erstellt, das allerdings nicht als offizielles Dokument der Regionalregierung veröffentlicht wurde, wie die Behörde betont. Das inoffizielle Ergebnis ist jedoch eindeutig. Bei der nächtlichen Olivenernte in superintensiven Plantagen handle es sich um ein Problem mit weit reichenden Folgen: »Die Auswirkungen auf die Umwelt gehen über die geografischen Grenzen Andalusiens und Spaniens hinaus und betreffen auch Umweltwerte in verschiedenen anderen Ländern der Europäischen Union«, heißt es in dem Gutachten, das von Ecologistas en Acción online gestellt wurde. Darin wird etwa darauf hingewiesen, dass die Praxis der nächtlichen Ernte mit Großmaschinen und Scheinwerfern wahrscheinlich illegal ist, weil sie einen Verstoß gegen die europäische Vogelschutzrichtlinie darstellt, an die alle Mitgliedstaaten gebunden sind.

Aus Leserbrief wird »Nature«-Studie

Die Umweltexperten haben in einigen Plantagen bis zu 100 tote Vögel pro Hektar gezählt und hochgerechnet, dass in ganz Andalusien »selbst bei konservativer Schätzung in jedem Jahr 2,6 Millionen Vögel betroffen« seien.

Während die Analyse anfangs nur lokal Beachtung fand, änderte sich dies durch einen Brief, den die portugiesische Biologin Vanessa Mata und ihr Kollege Luis P. da Silva an das renommierte Journal »Nature« schickten und den das Magazin veröffentlichte. Darin verweisen die Forscher auf die spanische Analyse und auf eine ähnliche Untersuchung in Portugal, die eine Zahl von rund 100 000 getöteten Vögeln ergab.

Obwohl die beiden besorgten Wissenschaftler lediglich die spanischen Ergebnisse zitierten und keine eigenen Erkenntnisse präsentierten, brachte der kurze Brief den Durchbruch in der öffentlichen Beachtung des Problems. In Europa erschienen vielfältige Artikel, die sich auf den Leserbrief an »Nature« bezogen, der allerdings oft falsch als Studie bezeichnet wurde. »Millionenfacher Vogelmord – Das dunkle Geheimnis des Olivenöls« titelte etwa der »Stern«, »Millionen Vögel zu Tode gesaugt« der britische »Independent«.

Tote Vögel bei der Olivenernte

Dünne Faktengrundlage

Es war wohl eine Mischung aus Reaktionen auf das vernichtende internationale Echo und der Zuständigkeit, die die Regionalregierung von Andalusien im Herbst 2019 ein vorläufiges Verbot der nächtlichen Ernte beschließen ließ. Dies gilt vorerst für die noch bis in den März anhaltende Saison. Die anderen spanischen Olivenanbau-Hochburgen Castilla la Mancha und Extremadura haben sich dem Moratorium ebenfalls angeschlossen.

Wie groß das Problem für den Umweltschutz und die Artenvielfalt tatsächlich ist, lässt sich derzeit allerdings kaum beantworten. Zur Wahrheit in diesem Fall gehört nämlich auch, dass die faktische Grundlage für die ermittelten Zahlen sehr dünn ist. In Portugal etwa beruht die Schätzung von knapp 100 000 getöteten Singvögeln auf der Kontrolle von lediglich 25 Erntewannen in einem 75 Hektar großen Untersuchungsgebiet. Insgesamt wurden dabei 480 Vögel gefunden.

»Selbst wenn nur wenige landwirtschaftliche Betriebe diese Praxis anwenden würden, wäre der Schaden bereits groß«Vanessa Mata

Wissenschaftlerin Mata, die Autorin des Brandbriefs an »Nature«, fordert im »Spektrum.de«-Interview weitere Untersuchungen. »Doch selbst wenn nur wenige landwirtschaftliche Betriebe diese Praxis anwenden würden, wäre der Schaden bereits groß«, gibt sie zu bedenken. Auch die andalusische Umweltverwaltung weist darauf hin, dass die von ihr ermittelten Zahlen vorläufige Schätzungen seien. Sie deuteten jedoch auf das potenzielle Ausmaß des Problems hin, so die Experten.

Selbst Vogelschutzverbände hegen Zweifel an der Belastbarkeit der Zahlen. Schließlich werde bei der Extrapolation in Spanien davon ausgegangen, dass die meisten Olivenplantagen superintensiv bewirtschaftet würden, sagt Ivan Ramirez von Birdlife International, dem Dachverband der nationalen Vogelschutzverbände; das sei aber nicht der Fall. Ramirez, der bei Birdlife International für den Artenschutz in Europa zuständig ist, hält es für möglich, dass die Zahlen übertrieben sind.

»Wir können es uns nicht erlauben, unsere ohnehin schon stark unter Druck stehenden Singvogelpopulationen weiteren Risiken auszusetzen«Ivan Ramirez

Die Hochrechnung von wenigen Kontrollflächen auf die ganze Provinz Andalusien sei »extrem simplizistisch«. Zudem habe es Kontrollen in betroffenen Olivenplantagen gegeben, bei denen maximal zwei Vögel pro Hektar gefunden worden seien. Doch selbst wenn das Ausmaß des Problems noch unklar sei, bleibe die Bedrohung durch die nächtliche Ernte »eine ernste und akute Gefahr, der begegnet werden muss«, unterstreicht auch Ramirez. »Wir können es uns nicht erlauben, unsere ohnehin schon stark unter Druck stehenden Singvogelpopulationen weiteren Risiken auszusetzen.«

Italien und Frankreich offenbar kaum betroffen

Genauere Aufschlüsse über das tatsächliche Ausmaß der Gefährdung von Zugvögeln könnte es bereits vor der nächsten Olivensaison geben. Denn zeitgleich mit dem vorläufigen Verbot der Nachternte hat die andalusische Regionalregierung im Herbst eine offizielle wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben, an der die spanische Vogelschutzorganisation SEO/Birdlife beteiligt ist. Die Freilandarbeiten sind gerade abgeschlossen. Eine Einschätzung soll in nächster Zeit vorliegen.

In Italien, hinter Spanien weltweit zweitgrößter Olivenölproduzent, spielt die nächtliche Ernte mit Absaugmaschinen offenbar noch keine Rolle. Doch auf Sizilien werde bereits vereinzelt mit dieser Methode experimentiert, sagt die Sprecherin der italienischen Vogelschutzliga Lipu, Maria Cecilia Caruso. Auch in Frankreich gibt es nach Angaben der Vogelschutzorganisation LPO bisher keine Probleme mit der neuen Methode. Die Olivenernte werde weitgehend noch eher traditionell betrieben. Allerdings stehe die französische Landwirtschaft ebenfalls unter erheblichem Intensivierungsdruck, so dass die Entwarnung nur vorläufigen Charakter habe.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.