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News: Mit Gentherapie gegen Sichelzellanämie

Einen ersten Schritt zur wirksamen Behandlung der Sichelzellanämie konnten Forscher jetzt durch Einsatz einer neuen Art von Gentherapie erzielen. Dabei wird nicht der fehlerhafte DNA-Abschnitt dieser Erbkrankheit repariert, sondern die aus ihr resultierende fehlerhafte RNA. Durch die Korrektur des Plans, nach dem das Protein synthetisiert wird, das die Sichelzellanämie verursacht, kann der Defekt in menschlichen Blutzellen korrigiert werden.
Bruce Sullenger und seine Kollegen Ning Lan, Richard Howrey, Seong-Wook Lee und Clayton Smith, alle vom Duke Center for Genetic and Cellular Therapies, suchten nach einer neuen Therapie für Sichelzellanämie. Die ist nötig, weil es keine wirksame Behandlung für den zugrundeliegenden genetischen Defekt gibt und weil das Gen unter komplexer genetischer Kontrolle steht, die es für andere Arten der Gen-Ersatztherapie ungeeignet machen.

"Wir haben zum ersten Mal gezeigt, daß es möglich ist, einen genetischen Defekt in Blut, das Patienten für Experimente entnommen wurde, zu korrigieren und nicht nur in Blutzellen, die im Labor gezüchtet wurden", sagte Sullenger, Hauptautor der in Science (Ausgabe vom 5. Juni) veröffentlichten Studie. "Bei einer Krankheit wie der Sichelzellanämie würde es einen gewaltigen Unterschied ausmachen, wenn wir eine Korrektur des Defekts von nur 10 bis 20 Prozent erzielen würden."

Sichelzellanämie ist eine ererbte Krankheit, die am häufigsten bei Menschen auftritt, deren Vorfahren aus Afrika oder dem Nahen Osten stammen. Ungefähr einer von zwölf Afro-Amerikanern besitzt Merkmale der Sichelzellanämie. Die roten Blutkörperchen der Erkrankten enthalten eine abnorme Form von Hämoglobin, dem Molekül, das Sauerstoff im Blut durch den Körper transportiert. Der Defekt wird durch eine einzige winzige Veränderung im Protein-Bestandteil des Hämoglobin-Moleküls verursacht. Diese Mutation ist für die Verformung der roten Blutkörperchen zu einer Sichelgestalt verantwortlich. Sichelzellen sind zerbrechlicher als normale rote Blutkörperchen und sind leichter zu zerstören, was dann zur Anämie führt. Komplikationen der Sichelzell-Krankheit können Schlaganfall, Knochenschmerzen, Nierenschaden und Atemprobleme sein.

Der Schlüssel zu Sullengers Strategie zur Korrektur des Sichelzell-Defekts sind Ribozym-Moleküle. Dabei handelt es sich um eine Art von RNA-Enzym, das eine spezifische Sequenz eines RNA-Codes aufspüren, einen Abschnitt herausschneiden und einen anderen Teil einfügen (spleißen) kann. Ribozyme spielen eine Hauptrolle bei der Bearbeitung des Flusses der genetischen Information von der DNA zum Protein. Vor der Entdeckung von Ribozymen glaubten Wissenschaftler, daß nur Proteine derartige Ausschneide- und Spleiß-Aktivitäten durchführen könnten. Sullenger hat eine Strategie entwickelt, die diesen natürlichen Prozeß benutzt, um defekte RNA zu reparieren – in diesem Fall das defekte Globin-Gen der Sichelzellanämie. "Wir glauben, daß die Korrektur der RNA die vielversprechendste Strategie für die Korrektur vieler Arten von genetischen Defekten ist."

Im Gegensatz zur traditionellen Gentherapie, die versucht defekte Gene im Genom zu ersetzen, korrigieren Sullengers Ribozyme defekte RNA, die von der DNA bereits kopierte Botschaft. Diese RNA fungiert als Übermittler der Erbinformation von der DNA zum Proteinsynthese-Apparat, wo sie in die jeweiligen Proteine umgesetzt wird. Viele genetische Krankheiten, wie die Sichelzellanämie, werden durch defekte Gene verursacht, aus denen ein defektes Protein erzeugt wird. Fügt man Zellen einfach nur ein normales Gen hinzu, so verringert dies nicht die Menge an "schlechtem" Genprodukt, weil die defekte Kopie immer noch vorhanden und das hinzugefügte Gen nicht dem präzisen Regulationsmechanismus der Zelle unterstellt wäre. Andere Wissenschaftler schreckten davor zurück, die Gentherapie bei der Sichelzellanämie einzusetzen, weil die Produktion von Beta-Globin in der Zelle genau reguliert ist.

Sullengers Strategie eliminiert defekte Proteine und erzeugt gleichzeitig neue einwandfreie Kopien des Globin-Proteins. Das korrigierte Gen trägt die Bauanleitung für die fetale Form des Globin-Proteins. Dieses fetale Globin-Protein wird normalerweise ausschließlich vor der Geburt hergestellt. Die Produktion wird eingestellt, sobald nach der Geburt reifes Globin produziert wird. Aber bei manchen Menschen werden auch nach der Geburt noch kleine Mengen an fetalem Globin erzeugt. Bei Sichelzell-Patienten, die kleine Mengen an fetalem Globin produzieren, sind die Krankheitssymptome beträchtlich reduziert, weil fetales Globin nicht nur wirksam Sauerstoff transportiert, sondern auch das mutierte Globin-Protein daran hindert, die Sichelzell-Eigenschaften anzunehmen.

In ihren Experimenten isolierten die Wissenschaftler des Duke Medical Center aus dem Blut von Machgeburten normaler Säuglinge Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen. Dann gaben sie Ribozyme mit der gesunden genetischen Sequenz des fetalen Globins zu Blut von Erkrankten. Sobald die Ribozyme in der Zelle waren, spürten sie die fehlerhafte RNA auf, entfernten sie und fügten die korrigierte Sequenz ein.

Als die Wissenschaftler diese Zellen analysierten, indem sie die genetische Sequenz der Globin-RNA lasen, hatte sich das Ribozym in jedem Fall in die neue, korrekte Sequenz gespleißt.

Als nächsten werden die Forscher das Verfahren in einem Tiermodell der Sichelzell-Krankheit testen, um zu sehen, ob das korrigierte Globin-Gen die Sichelzell-Bildung vermeiden kann. Funktioniert dieses Verfahren, wollen Sullenger und seine Kollegen damit beginnen, die Ribozym-Therapie innerhalb von zwei bis drei Jahren an Sichelzell-Patienten zu testen.

Die wahrscheinlichsten Kandidaten für einen Test der Ribozym-Therapie wären Sichelzell-Patienten, die an einer seltenen Krankheit, der Alloimmunisation, leiden. Patienten mit schwerer Sichelzell-Krankheit benötigen oft Bluttransfusionen, um ihren Vorrat an gesunden roten Blutkörperchen aufzufrischen. Einige dieser Menschen bilden Antikörper gegen Bestandteile im übertragenen Blut, so daß weitere Transfusionen für sie gefährlich wären. Sullenger stellt sich vor, den Patienten eigenes Blut zu entnehmen, das Sichelzell-Merkmal zu korrigieren und dann das Blut an den Patienten zurückzugeben. Da es das eigene Blut des Patienten ist, würde er keine Antikörper dagegen bilden.

Außerdem deuten vielversprechende Experimente mit Nabelschnurblut auf eine Möglichkeit hin, diese einzigartige Quelle an Blut-Stammzellen zur permanenten Behandlung der Sichelzell-Krankheit zu nutzen. "Wenn wir eine gute Methode finden würden, um die Anweisungen zur Produktion des Ribozyms in die Blut-Stammzellen zu integrieren, dann hätten wir eine permanente Quelle für korrekte, funktionierende Kopien des Globin-Gens. Dies könnte zumindest die Symptome der Krankheit lindern", sagte Sullenger. "Wir wissen, daß es Sichelzell-Patienten viel besser geht, die 10 bis 20 Prozent fetales Globin produzieren. Würden wir dieses Niveau, oder ein noch höheres, erreichen, so könnten wir vielleicht die schwerwiegendsten Symptome der Krankheit beseitigen."

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