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Steinzeitmobilität: Neandertaler jagten in viel größeren Revieren als Homo sapiens

Wie weit streiften Menschen auf der Nahrungssuche umher? Offenbar deckten Neandertaler doppelt so viel Fläche ab wie moderne Menschen. Den Unterschied machte die Konkurrenz.
Neandertal-Jäger bei der Tierverarbeitung
Rekonstruktion eines Neandertalers, der eine Wildziege zerlegt. Die Figur befindet sich im Neanderthal Museum in Mettmann.

Während die Neandertaler in einem Gebiet fast so groß wie Hamburg umherstreiften, bewegten sich anatomisch moderne Menschen in einem nur halb so großen Revier – in etwa so groß wie die Fläche von München. Das fanden Fachleute um Bethan Linscott von der University of Oxford heraus, indem sie den Zahnschmelz von fossilen Überresten aus portugiesischen Karsthöhlen bei Almonda in der Estremadura analysierten. Wie Grabungen in den Höhlen ergaben, machten die Neandertaler vor 95 000 Jahren zudem Jagd auf größere Tiere als die Homo sapiens, die ungefähr 82 000 Jahre später in der Kulturstufe des Magdaléniens in der Region lebten. Im Fachmagazin »PNAS« erläutern die Forscherinnen und Forscher, dass die Unterschiede mit der Bevölkerungsdichte zusammenhängen könnten. Zur Zeit der Neandertaler hätten deutlich weniger Individuen die Landschaft bewohnt als dann im Magdalénien. Die Konkurrenz um Jagdbeute zwischen den Gruppen hätte damit niedriger gelegen.

Für ihre Studie lösten die Forschenden mit Hilfe der Laserablation Zahnschmelz von drei fossilen Zähnen. Zwei stammten von Neandertalern aus der Gruta da Oliveira, der dritte von einem Homo sapiens aus der Galeria da Cisterna. Anschließend untersuchten sie die darin enthaltenen Strontiumisotope. Je nach Alter eines Gesteins im Boden und damit je nach Ort variieren diese Isotopenwerte. Über den Boden und das Wasser geht das Element in die Vegetation über; von dort gelangt es in die Nahrungskette von Tieren und Menschen. Schließlich lagert es sich, während die Lebewesen heranwachsen, im Zahnschmelz ab.

Veränderungen in der Strontiumsignatur konnten die Forschenden nun jahrgenau unterscheiden, weil sie mittels der Laserablation besonders fein arbeiten konnten, erklärt Bethan Linscott. Anschließend verglichen die Fachleute ihre Ergebnisse mit den Strontiumwerten der Region: »Die Geologie rund um die Almonda-Höhlen unterscheidet sich sehr stark, so dass wir Bewegungen von nur wenigen Kilometern nachvollziehen konnten«, sagt Linscott gemäß einer Pressemitteilung der University of Southampton.

Das Ergebnis: Die Neandertaler waren in einem schätzungsweise 600 Quadratkilometer großen Gebiet unterwegs; die Homo sapiens auf einer etwa halb so großen Fläche. Wie die Forschergruppe vermutet, war das Gebiet vor knapp 100 000 Jahren, während die Neandertaler dort lebten, deutlich weniger dicht besiedelt als dann vor zirka 13 000 Jahren. Damals lebten nur noch Gruppen des anatomisch modernen Menschen in Europa.

Parallel untersuchte die Gruppe um Linscott die Überreste von Tieren, die ebenfalls in den Almonda-Höhlen frei gelegt wurden. Die Forschenden schlüsselten sowohl die Strontium- als auch die Sauerstoffisotope auf – Letztere helfen zu unterscheiden, zu welcher Jahreszeit sie in den Körper eines Tiers gelangten. Wie die Isotopenanalysen und Grabungsergebnisse zeigten, jagten die Neandertaler im Westen der Iberischen Halbinsel Wildpferde, Rotwild und Nashörner das gesamte Jahr über, im Sommer erlegten sie offenbar auch Wildziegen. Anatomisch moderne Menschen stellten hingegen kleinerem Getier nach – vor allem Hasen, aber auch Wildziegen und Fisch.

Sicher müssen noch weitere Studien das Ergebnis der Arbeitsgruppe um Linscott untermauern, da die Ergebnisse letztlich auf nur drei Zähnen beruhen. Es zeichnet sich laut den Forschenden jedoch ab: Die Neandertaler trafen bei der Jagd womöglich seltener auf menschliche Konkurrenten und konnten somit größeren Tierarten nachstellen, während Homo sapiens in einem kleineren Revier jagen musste und sich daher auf kleinere Tiere spezialisierte.

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