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Zeitmessung: Negative Energie löst Atomuhr-Rätsel

Ein gravierender Widerspruch zwischen Theorie und Experiment verhinderte bisher, dass Atomuhren genauer werden. Nun zeigt sich: Was fehlte, war negative Energie.
Dies ist keine Atomuhr.
Bei den Vorgängen in Atomuhren müssen auch Teilchen mit negativer Energie berücksichtigt werden.

Die genauesten Uhren der Welt sind jetzt noch genauer. Zwei Arbeitsgruppen ist es unabhängig voneinander gelungen, einen winzigen Störfaktor bei der Wechselwirkung eines Strontiumatoms mit Licht präzise zu berechnen, der bisher zu einem Widerspruch zwischen Theorie und Experiment bei Zeitmessungen geführt hatte. Zwei physikalische Eigenschaftes des Atoms, die Polarisierbarkeiten des elektrischen Quadrupolmoments (E2) und des magnetischen Dipolmoments (M1), führen bei der Wechselwirkung mit dem Laserlicht in der Atomuhr zu einer kleinen Verschiebung der Energiezustände. Bisher jedoch zeigten Messungen, dass diese Verschiebung vom theoretisch erwarteten Wert abweicht.

Die Teams um Sergey G. Porsev von der University of Delaware und Fang-Fei Wu vom Wuhan Institute of Physics and Mathematics kommen nun zu dem Ergebnis, dass elektronische Quantenzustände mit negativer Energie diesen Widerspruch vollständig auflösen. Damit können Atomuhren auf Strontiumbasis nun höhere Genauigkeiten als die bisher erreichbaren 1 : 1018 erreichen. Diese Uhren könnten somit nun exakt genug für bislang nicht erreichbare Anwendungen werden, zum Beispiel Gravitationswellenmessungen mit Satellitenkonstellationen.

Hochpräzise Strontium-Atomuhren basieren auf einem spezifischen Energieübergang bei einer Wellenlänge von 698 Nanometern in diesem Atom. Um dessen Frequenz für exakte Zeitmessungen zu nutzen, werden die Atome in einer stehenden Welle aus Laserlicht festgehalten, dessen Wellenlänge so eingestellt ist, dass es die Frequenz des Übergangs so wenig wie möglich verschiebt. Doch eine gewisse Wechselwirkung mit dem Laserlicht lässt sich nicht vermeiden, und die hängt von den Polarisierbarkeiten des elektrischen Quadrupolmoments und des magnetischen Dipolmoments des Strontiumatoms ab. Versuche, diese beiden Größen zu berechnen, führten bisher zu Widersprüchen zu den Messdaten: Laut Berechnungen ist E2 größer, laut Messungen M1.

Die Teams um Porsev und Wu führten diese Berechnungen nun erneut durch. Dabei berücksichtigten sie auch Quantenzustände mit negativer Energie, die als Lösungen der quantenmechanischen Gleichungen für die Elektronen des Atoms auftreten. Diese werden gemeinhin weggelassen, weil reale Teilchen positive Energien haben. Bei den Berechnungen von E2 und M1 verwendet man jedoch ein mathematisches Verfahren, das alle möglichen Zustände der beteiligten Teilchen aufsummiert, um die Polarisierbarkeit des Gesamtsystems zu erhalten. Und alle heißt, wie sich zeigte, tatsächlich alle. Auch die mit negativer Energie.

Dass Quantenzustände negativer Energie bei solchen theoretischen Verfahren nicht vernachlässigt werden dürfen, hatte sich bereits bei der Berechnung anderer Quanteneigenschaften gezeigt. Wie die Fachleute feststellten, macht es auch bei Atomuhren einen erheblichen Unterschied, ob diese Zustände mit in die Gesamtsumme einfließen – allerdings nicht für beide betrachteten Größen. Während die Zustände mit negativer Energie bei E2 kaum eine Rolle spielen, machen sie bei M1 den wichtigsten Beitrag aus. Diese Korrektur führt dazu, dass M1 nun größer ist als E2 und damit die theoretischen Rechnungen nicht mehr im fundamentalen Widerspruch zu den gemessenen Eigenschaften des Strontiumatoms stehen. Damit lässt sich jetzt die Wechselwirkung zwischen Licht und Atom deutlich präziser berechnen – und damit auch die genaue Frequenz, die zur Zeitmessung dient.

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