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Hirnforschung: Nicht schlechter, nur anders

Wenn schon körperliche Kräfte im Alter schwinden, dann könnten doch wenigsten Weisheit, Reife, Abgeklärtheit und geistige Brillanz zum Ausgleich dazukommen. Stattdessen gewinnt irgendwann der Enkel beim Memory-Spielen. Was läuft da falsch, im alten Gehirn?
Wo habe ich nur meine Brille hingelegt? Wie hieß doch noch die freundliche neue Nachbarin? Habe ich das Nudelwasser jetzt schon gesalzen? Mist, der Einkaufszettel liegt zu Hause, auf dem Küchentisch! Mal ehrlich: Um vergesslich zu sein, muss man nicht unbedingt 75 Jahre alt sein – 25 reichen da auch schon. Vergesslichkeit ist nicht nur eine Frage des Alters.

Allerdings auch. Tatsächlich lassen eben im Durchschnitt das Gedächtnis und die Leistungsfähigkeit des Gehirns im fortgeschrittenen Alter zunehmend nach. Dafür gibt es viele Gründe – eine schlechtere Versorgung des Gehirns, weniger an anspruchsvollem Gehirntraining, Krankheiten –, aber auch entsprechend viele Möglichkeiten, dem schleichenden Abbau der Hirnleistung entgegenzuwirken, regelmäßiger leichter Sport und Gedächtnistraining etwa. Sicher ist zudem eines: Manche Menschen trifft es früher, andere später – und einige bleiben ohne viel zu tun bis ins hohe Alter präsent wie eben manch ein 25-Jähriger.

Was im Gehirn derart langzeitleistungsfähiger Senioren anders läuft als in vom Nachlassen stärker Betroffenen oder dem junger Menschen, ist schon entsprechend häufig untersucht worden. Offenbar, so die bisherige Erkenntnis, arbeitet das Gehirn gedanklich leistungsfähigerer Senioren anders: Bildgebende Verfahren enthüllten, dass die Seniorengehirne beim Lösen von Aufgaben andere Hirnaktivitätsmuster aufwiesen als die von jüngeren Personen beim gleich effizienten Bewältigen derselben Aufgaben. Was passiert da im Kopf – und was ändert sich insbesondere im Nervenzellengestrüpp der Personen, die den leistungsschwächenden Alterungsprozess des Hirns stärker kompensieren können?

Hey-Kyoung Lee von der Johns-Hopkins-Universität näherten sich der Frage auf biochemisch-zellulärer Ebene; und zwar, der größeren Einfachheit halber, vorerst exemplarisch bei Gehirnen von Senioren und jugendlichen Vertretern der Laborratte.

Bei Mensch wie Nager ist eine fassbare Messgröße von Lernen und Behalten die so genannte synaptische Plastizität im Gehirn – hierbei handelt es sich, vereinfacht gesagt, um den neuronalen Um- und Aufbau (die Plastizität) von Kommunikationsportalen (eben den Synapsen) zwischen einzelnen Nerven. Neue Verbindungen heißt stets auch neue Lerninhalte, so das akzeptierte Credo der Gedächtnisforscher. Allerdings führt nicht nur ein Weg, sondern ziemlich viele zur synaptischen Plastizität, also dem lernbegleitenden Umbauprozess des Nervennetzwerks Hirn.

Einer dieser Wege – offenbar ein gerade bei alten, aber gedanklich leistungsfähigen Ratten sehr wichtiger – führt über das Kommunikationssignal Phospholipase C (PLC). Es verändert die chemische Struktur wichtiger Sendboten zwischen Nervenzellen, den Phosphatidylinositol-Neurotransmittern. Je fleißiger PLC im Hippocampus des Gehirns diese Transmitter zerlegt, desto leichter scheint gerade alten Ratten eine Gedächtnisaufgabe von der Hand zu gehen, zeigten Studien bereits. Lee und sein Team fragten sich, warum.

Die verdächtig lernfördernde PLC-Aktivität, so ihr Ansatzpunkt, spielt eine bedeutende Rolle gerade immer beim Abschalten bestimmter Nerven-Kommunikationswege – genauer, der "Langzeit-Abschaltung" (LTD, für long term depression). Diese, eine über längere Zeiträume wirksame Stilllegung bestimmter Rezeptoren in den Synapsen von Nervenzellen, kann für das Kanalisieren von Lerninhalten ebenso wichtig sein wie das Neuknüpfen von Verbindungen: Beide führen eben zu einer effizienteren und direkteren Verdrahtung, beide sind damit gute Grundlage des Lernens.

Und eben dies bestätigte sich nun in Verhaltensuntersuchungen der Wissenschaftler. Sie testeten drei Gruppen von Ratten – junge, alte lernfähige und alte vergessliche Nager – in einem Parcours, in dem die Tiere verschiedene Aufgaben wiederholt abwickeln sollten. Parallel dazu maßen die Forscher, wie heftig im Gehirn der getesteten Nager die verräterische LTD, die Langzeit-Abschaltung offensichtlich störender Nervenverbindungen, praktiziert wurde. Eindeutiges Ergebnis: Lernunfähige Alte konnte die Langzeitabschaltung nicht mehr in ausreichendem Umfang durchführen, bei jungen und lernfähigen Alten korrelierten dagegen stets das Ausmaß der LTD-Aktivität und die Leistungsfähigkeit im Test.

Also doch kein Unterschied zwischen alten und jungen lernenden Hirnen? Mitnichten – denn tatsächlich unterschied sich die Art der Langzeit-Abschaltung je nach Altersstufe erheblich. Stets ging es zwar um die Langzeit-Abschaltung, junge Gehirne aber deaktivierten bevorzugt genau jene Rezeptoren der Synapsen, bei so genannte NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat) arbeiten. Ganz im Gegensatz dazu die fitten Alten: Bei ihnen mussten gerade die nicht-NMDA-Rezeptoren, dafür aber alle anderen langzeitblockiert werden, um neue Lerninhalte zu speichern.

Damit stehe fest, dass im Gehirn einige biochemische Umbauten während des Alterns einiges ändern, schließen die Forscher um Lee. Lernen funktioniert zwar generell in Jugend und Alter über Langzeit-Abschaltung, irgendwann im Leben müsse aber offensichtlich auch das Gehirn lernen, vermehrt nicht den einen, sondern den anderen Rezeptor abzuwürgen. Vielleicht ist gerade dieser Lernprozess der Gehirnbiochemie ein Schlüssel zur Lernfähigkeit im Alter: Kriegt der Kopf den Wechsel des Blockadeziels nicht hin, dann beginnt die dazugehörige Ratte weniger lernfähig zu werden.

Und vielleicht beginnen ja auch Menschen aus ähnlichen Gründen, ihre neuen Nachbarn zu vergessen und Einkaufszettel häufiger liegen zu lassen? Falls das sich als wahr herausstellen sollte, könnten in noch ferner Zukunft ein paar interessante Ansatzpunkte zur Unterstützung der altersabhängigen Lernkorrektur im Gehirn aufgedeckt werden, hoffen die Wissenschaftler. Bis dahin, soviel ist sicher, müssen Hirnforscher aber noch einiges über das Lernen und Behalten lernen.

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