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RNA-Interferenz: Per Anhalter zum Ziel

Kleine RNA-Stückchen, die siRNAs, können ganz gezielt einzelne Gene abschalten. Eines Tages könnten sie sehr spezifische Medikamente gegen genetisch bedingte Krankheiten abgeben - gäbe es nur eine Methode, sie im Körper an ihren Zielort zu bringen.
Viren-Alarm in der Zelle! Ein Virus hat sich eingeschlichen und droht die Maschinerie zu kapern, die normalerweise die Eiweiße der Zelle produziert. Flugs leitet die Zelle drastische Gegenmaßnahmen ein: So genannte Dicer-Enzyme zerschneiden RNA-Stränge in kurze Stücke, die siRNAs (small interfering RNA). Diese verbinden sich mit dem Enzym RISC (RNA-induced silencing complex) zum aktiven Einsatzkommando und stürzen sich in den Kampf gegen den Eindringling. Sie spüren die virale messenger-RNAs (m-RNAs) auf, die Boten, die den Bauplan für die Proteine vom Erbgut des Eindringlings zum Syntheseort der Eiweiße bringen. Die siRNAs schnappen sich die fremde m-RNA und zerhäckseln sie – das Virus ist lahmgelegt.

Dieses als RNA-Interferenz bezeichnete System setzt die Zelle aber nicht nur zum Schutz vor pathogener DNA ein, sondern es hilft auch bei der ganz normalen Regulation der eigenen Proteinsynthese. Entdeckt wurde der Mechanismus erst vor wenigen Jahren – für die biomedizinische Forschung ein Glücksfall. Denn da die siRNAs jeweils ganz gezielt die m-RNA eines bestimmten Genes zerschneiden, haben Wissenschaftler damit eine Methode zur Hand, um die Funktion einzelner Gene zu erforschen.

Gerne würde man die RNA-Interferenz auch für pharmazeutische Zwecke nutzen, um direkt krank machende Gene abzuschalten. Dies scheiterte bisher aber zum einen daran, dass die kurzen RNA-Stränge im Blutstrom enzymatisch abgebaut werden. Zum anderen fehlte ein klinisch brauchbares Verfahren, die siRNAs im Körper an ihren Wirkungsort zu bringen. Diesem Problem widmeten sich jetzt Jürgen Soutschek und seine Kollegen von Alnylam Europe unter der Leitung von Hans-Peter Vornlocher.

Die Forscher produzierten eine Reihe von siRNAs, welche die m-RNA mit dem Bauplan für das Apolipoprotein B (apo B) zerschneiden. ApoB ist der Hauptbestandteil des LDL, des im Blut zirkulierenden Cholesterintyps, der eine entscheidende Rolle bei Arteriosklerose spielt. Ein hoher LDL-Spiegel im Blut bedeutet ein hohes Risiko für Arteriosklerose. Die Designer-siRNAs sollten die Produktion des "schlechten" Cholesterins verhindern.

RNA-Interferenz | Mechanismus der RNA-Interferenz zum Abschalten apoB-Gens. Gegen apoB gerichtete siRNA wird hergestellt, chemisch stabilisiert und mit Cholesterin behängt. Die modifizierte siRNA wird Mäusen injiziert. Dank des Cholesterinbestandteils verteilt sie sich im Körper und legt in der Zelle das Gen für apoB still.
Zum Schutz vor dem Angriff der abbauenden Enzyme im Blut stabilisierten die Wissenschaftler ihre RNA-Stücke mit Hilfe kleiner chemischer Eingriffe. Als Transporthilfe hängten sie zusätzlich an ein Ende des RNA-Stranges Cholesterin an. Dieses bindet seinerseits an Albumin, ein Transportprotein im Blut. So sollte die siRNA mit Unterstützung des Anhängsels quasi per Anhalter mit dem Albumin im Körper verteilt werden.

Diese chemisch modifizierten Kombiprodukte injizierten die Forscher dann Mäusen in die Schwanzvene. Wie erhofft, verteilten sich die Kombi-RNAs im Körper und waren in der Leber und im Dünndarm nachweisbar – zum Vergleich injizierte RNAs ohne das Cholesterinanhängsel hingegen ließen sich nicht im Gewebe auffinden. Das angeklebte Cholesterin hatte also tatsächlich seinen vorgesehenen Job als Transporthilfe übernommen.

Auch die siRNAs erfüllten die von ihnen erwartete Aufgabe: Sie senkten die Menge der apoB-messenger-RNA um fünfzig Prozent in der Leber und um siebzig Prozent im Dünndarm. Gleichzeitig sank auch der LDL-Spiegel im Blut der Mäuse um vierzig Prozent – das Verfahren hatte also das gewünschte Ziel erreicht und die Synthese des krankmachenden Cholesterins deutlich reduziert.

Soutschek und seine Kollegen haben also mit einem einfachen Trick ein Weg gefunden, biologisch aktive siRNAs in den Körper zu bringen. Daraus könnte eine neue Klasse von Pharmazeutika entstehen, die gezielt pathogene Gene abschalten. Bis zum prophylaktischen Einsatz von siRNAs gegen Arteriosklerose beim Menschen ist es aber noch ein weiter Weg. Ein großes Hindernis ist schon allein die enorme Substanzmenge, die verabreicht werden müsste: Rechnet man die bei Mäusen eingesetzte Dosis auf den Menschen hoch, müsste er die siRNAs grammweise gespritzt bekommen – und das ist unbezahlbar.

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