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Vor 125 000 Jahren: Schufen sich auch Neandertaler eine Kulturlandschaft?

Ein See im Geiseltal, Sachsen-Anhalt, unterschied sich einst merklich von den Nachbargewässern. Hier war die Landschaft offen. Hier lebten auch Neandertaler. Vielleicht kein Zufall.
Ausgrabungen in Neumark-Nord

Schon lange bevor es mit dem Ackerbau losging, gestalteten Menschen ihre Umwelt in großem Stil um. Dafür gibt es zumindest einige Anhaltspunkte – man findet sie auf Borneo ebenso wie am afrikanischen Malawisee, sie sind 50 000 und sogar 85 000 Jahre alt. Vor allem mit Hilfe von Feuer schuf sich Homo sapiens damals produktive Landschaften, in denen sich mehr Nahrung finden ließ als in der unberührten Wildnis.

Im Fachmagazin »Science Advances« präsentiert ein Team um Will Roebroeks von der Universität Leiden nun Ausgrabungsergebnisse, die darauf schließen lassen, dass diese Praxis noch einmal viel älter ist. Sollten sie mit ihrer Analyse Recht behalten, hieße dies, dass sogar schon der Neandertaler seinen Lebensraum gestaltete. Am Fundort Neumark-Nord im sachsen-anhaltinischen Geiseltal, rund zehn Kilometer von Halle entfernt, haben sie dazu Sedimente untersucht.

Während der Eem-Warmzeit besiedelten hier vor 125 000 Jahren Neandertaler-Gruppen ein Seeufer. Rund zwei Jahrtausende währte die Anwesenheit von Homo neanderthalensis, wie zahlreiche Steinwerkzeuge und Schlachtabfälle verraten. Gleichzeitig legen Kohle und spezielle Pollen im Sediment nahe, dass hier immer wieder großflächige Feuer brannten und eine offene Landschaft vorherrschte. Rund um andere Seen östlich des Harzes gab es hingegen dichten Wald mit geschlossenem Kronendach.

Absicht oder keine?

Verschiedene Szenarien können diesen Befund erklären: Vielleicht gab es in dem Areal von Natur aus keine dichte Bewaldung, und Neandertaler lebten genau deswegen hier. Vielleicht war das nur zu Beginn so, später halfen sie gezielt nach, wenn der Baumbestand zu dicht zu werden drohte. Vielleicht war das Feuer eine unbeabsichtigte Folge der Neandertaler-Lebensweise – man denke an Waldbrände, die durch außer Kontrolle geratene Lagerfeuer entstehen. Vielleicht legten aber auch, so spekulieren Roebroeks und Team, die Neandertaler von Anfang an gezielt Brände und rodeten den Wald, um die Vegetation offen zu halten.

Der Vorteil offener Wälder ist, dass sie deutlich mehr geeignete Habitate für diverse Tier- und Pflanzenarten bieten als der dichte Wald mit geschlossenem Kronendach, vor allem an den Rändern, wo die beiden Lebensräume aneinandergrenzen. Ausgedehnte Lichtungen locken zudem große Weidetiere an, die von den Neandertalern gejagt wurden. Wo viel Licht bis zum Boden dringt, wachsen auch mehr Jungbäume, die wegen ihres geringeren Stammdurchmessers besser zu handhaben sind.

Weil es in ganz Europa zu jeder Zeit nur wenige zehntausend Neandertaler gab, dürfte ihr Einfluss auf das Landschaftsbild, so es ihn denn gab, auf wenige Fleckchen begrenzt gewesen sein – ein deutlicher Unterschied zu den Kulturlandschaften des modernen Europas. Einen vergleichbar zerstörerischen Einfluss auf die Natur entfalteten die prähistorischen Gemeinschaften am ehesten dort, wo sie neues Land besiedelten und einheimische Tierarten in kurzer Zeit ausrotteten. So geschah es vermutlich auf dem nordamerikanischen Kontinent oder auf zuvor unbewohnten Pazifikinseln.

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