Direkt zum Inhalt

Meeresströmung: Steht der Golfstrom wirklich vor dem Kollaps?

Der Golfstrom könne schon in wenigen Jahren zusammenbrechen, sagt eine neue Studie voraus. Die Forschergemeinde hält diese Prognose allerdings für unhaltbar.
Bergpanorama südlich von Molde in Norwegen.
Die Atlantische Umwälzzirkulation, zu der auch der Golfstrom gehört, sorgt für mildes Klima in Europa – besonders in Nordeuropa, wie hier südlich von Molde in Norwegen.

Der Golfstrom stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Um die Mitte des 21. Jahrhunderts oder gar schon bald nach dem Jahr 2025 werde es so weit sein, sofern der Ausstoß an Treibhausgasen nicht sofort sinke. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls der Klimaforscher Peter Ditlevsen und die Mathematikerin Susanne Ditlevsen von der Universität Kopenhagen in ihrer aktuellen Studie, jetzt erschienen im Fachmagazin »Nature Communications«. Doch so schnell geht es dann wohl doch nicht mit dem Weltuntergang. Gleich mehrere Forscherinnen und Forscher halten die Studie für fehlerhaft, die Prognose für unhaltbar.

Ob der Golfstrom zum Erliegen kommen könnte, untersuchen Fachleute schon länger – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Das liegt zum Teil daran, dass der Zustand der Meeresströmung schwer direkt messbar ist und überhaupt erst seit etwa 20 Jahren Daten erhoben werden. Einig sind sich die meisten Klimaexperten allerdings darin, dass die globale Erwärmung wohl die Atlantische Umwälzzirkulation beeinflusst. Das auch als AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation) bekannte Strömungssystem schwächt sich seit geraumer Zeit ab. Und der Golfstrom ist Teil der AMOC.

In der AMOC strömt an der Oberfläche warmes, salzhaltigeres Wasser nach Norden, das in hohen Breiten dann abkühlt. Höherer Salzgehalt und niedrige Temperatur lassen dieses Wasser absinken. In mehreren Kilometern Tiefe bewegt sich das abgekühlte Wasser dann südwärts. Unterschiede in der Temperatur und im Salzgehalt des Wassers treiben also die Zirkulation an. Dank dieses Kreislaufsystems herrscht vor allem in Nordeuropa ein gemäßigtes Klima. Würde die Heizung Europas ausfallen, wären Temperaturschwankungen die Folge. In Mitteleuropa könnte das Klima schätzungsweise von zwei bis fünf Grad Celsius innerhalb von 50 Jahren oder mehr schwanken.

Dass das bald passiert, gar in den nächsten paar Jahren, wie Ditlevsen und Ditlevsen prognostizieren, schließen allerdings die allermeisten Experten aus. So auch der Weltklimarat IPCC in seinem 6. Sachstandbericht von 2021. In dem Dokument bezeichnete der IPCC es als unwahrscheinliches Szenario, dass die AMOC im 21. Jahrhundert vollständig kollabieren könnte. Dass sich die Zirkulation aber abschwächt, sei möglich und Studien legen dies nahe. Der Grund: Durch die Klimaerwärmung schmelzen immer mehr Gletschermassen auf Grönland; damit gelange mehr Schmelzwasser ins Meer und verändere den Salzgehalt im Atlantik – mit Folgen für die AMOC. Das ist bisher allerdings nur eine theoretische Möglichkeit. Derzeit herrscht nicht einmal Einigkeit in der Forschung darüber, ob die bisher dokumentierten Veränderungen überhaupt außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite liegen.

Bricht der Golfstrom bald nach 2025 zusammen?

Doch was wäre, wenn die AMOC nicht nur schwächelt, sondern bereits auf dem Weg zum Zusammenbruch ist? Woran wäre der Kipppunkt zu erkennen und wie ist die momentane Lage einzuschätzen? Um diese Fragen zu beantworten, bauten Peter Ditlevsen und Susanne Ditlevsen ihre Prognose auf einer größeren Datenmenge auf als bisherige Studien. Sie untersuchten die Oberflächentemperaturen im Nordatlantik und überblickten damit Daten aus einer Zeit von 1870 bis 2020. Das Ergebnis ihrer Analyse: Der Golfstrom könne jederzeit ab dem Jahr 2025 zum Erliegen kommen, bis Ende des 21. Jahrhunderts werde er sogar mit Sicherheit zusammenbrechen. Möglich sei jedoch, dass nur ein Teil der AMOC betroffen ist und der Golfstrom nicht komplett aufhöre zu fließen.

Diese Schlussfolgerungen können allerdings andere Klimaexperten kaum nachvollziehen. »Die in der nun erscheinenden Studie so zuversichtlich vorgetragene Aussage, es werde im 21. Jahrhundert zum Kollaps der AMOC kommen, steht auf tönernen Füßen«, urteilt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg laut einer Aussendung des Science Media Center (SMC). Auch Niklas Boers von der TU München und dem Potsdam-Institut für Klimaforschung (PIK) hält es für kaum machbar, einigermaßen gesicherte Aussagen zu treffen, wie nah ein Kipppunkt gerückt sei. »Für eine solche Extrapolation« seien »die Unsicherheiten in den mechanistischen Annahmen und in den zu Grunde liegenden Daten [der Studie] (…) viel zu groß«, sagte der Klimaexperte ebenfalls gegenüber dem SMC.

Zudem seien die Daten zur Oberflächentemperatur aus der Zeit von 1870 bis 2020 von unterschiedlicher Qualität. Das könnte Berechnungen leicht fehlerhaft machen. Laut Marotzke gibt es außerdem erhebliche Zweifel daran, »ob man Messungen der Oberflächentemperatur einfach als AMOC-Stellvertreterdaten benutzen kann«. Wie die Spezialistin für Klimamodellierungen Johanna Baehr von der Universität Hamburg betont, würden Ditlevsen und Ditlevsen mit ihren Daten überdies ein viel zu kleines Gebiet abdecken. Die Temperaturen der Wasseroberfläche beträfen lediglich den Nordatlantik. »Damit wird die Studie der Komplexität des Klimasystems in vielerlei Hinsicht nicht gerecht«, sagt sie laut dem SMC.

Studie beruht auf vereinfachten Annahmen

Die statistische Analyse, die Ditlevsen und Ditlevsen durchführten, sei an sich korrekt, stellt Boers fest. »Allerdings werden sehr stark vereinfachende Annahmen bezüglich der mechanistischen Beschreibung der meridionalen Umwälzzirkulation im Atlantik (AMOC) selbst getroffen«, beschreibt der Komplexitätsforscher seine Bedenken. Es sei »eine einfache Sattel-Knoten-Bifurkation, die der Komplexität der AMOC sicher nicht Rechnung trägt.« Bifurkation meine, wenn ein dynamisches System bei langsamer Veränderung eines Parameters – in diesem Fall die Temperatur – plötzlich qualitativ sein Verhalten ändert, wie das SMC erläutert. Solche Details hätten in einer Berechnung aber große Auswirkungen – das zeitliche Auftreten eines Kipppunkts könne dann stark variieren. »Die entsprechenden Unsicherheiten werden von den Autoren der aktuellen Studie nicht ausreichend quantifiziert«, so Boers.

Zurückhaltender äußert sich Stefan Rahmstorf, leitender Klimaexperte am Potsdam-Institut für Klimaforschung »Die Studie reiht sich in frühere Studien ein, die sich mit etwas anderen Methoden und Datensätzen mit der Frage der frühen Warnsignale befasst haben.« Fest steht für Rahmstorf aber: »Wie immer in der Wissenschaft liefert eine einzelne Studie nur begrenzte Beweise, aber wenn mehrere Ansätze zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen, muss dies sehr ernst genommen werden.«

Anmerkung der Redaktion am 26. Juli 2023: Wir haben die Erklärung, wie der AMOC funktioniert, präzisiert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.