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Im frustrierten Gitter: Suprafestkörper erstmals experimentell nachgewiesen

Eine Supraflüssigkeit, aber als Feststoff – so ein widersprüchliches Material kann tatsächlich existieren. Bisher gab es das nur theoretisch, nun haben Fachleute es im Labor hergestellt.
Dunkle Materie – supraflüssig
Flüssig, aber doch fest: Ein Suprafestkörper vereint scheinbar widersprüchliche Eigenschaften.

In einer Supraflüssigkeit bewegen sich Teilchen ohne Reibung – und kriechen sogar Wände hoch. Aber kann auch ein Feststoff mit starrer Struktur das exotische Verhalten von Supraflüssigkeiten zeigen? Ein Team um Gang Su von der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking hat nun ein solches Material mit scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften gefunden. Wie die Arbeitsgruppe jetzt in der Fachzeitschrift »Nature« berichtet, ist die Viskosität aber nicht im Material selbst null – was den Suprafeststoff ausmacht –, sondern nur die Spins ungepaarter Elektronen im Material haben eine verschwindende Viskosität. Es handelt sich also um ein Spin-Suprafestkörper, der in ein normales Material quasi eingebettet ist. Deswegen sind es vor allem die exotischen magnetischen Eigenschaften, die den Stoff interessant machen: Mit Hilfe von Magnetfeldern kann man mit ihm Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt erreichen.

Bisher hatten Fachleute solche Suprafestkörper-Merkmale lediglich in exotischen Quantengasen erzeugen können. Das nun vorgestellte Material dagegen ist ein Natrium-Barium-Kobaltphosphat mit der Summenformel Na2BaCo(PO4)2 (NBCP). In diesem sind die ungepaarten Elektronen in einem dreieckigen Gitter angeordnet. Das Material ist antiferromagnetisch, das heißt, jeweils benachbarte ungepaarte Elektronen haben entgegengesetzte Spins. In einem dreieckigen Gitter können jedoch nicht alle drei Elektronen jeweils den entgegengesetzten Spin zum Nachbarn haben – man bezeichnet ein solches Spingitter, das keine stabile Anordnung annehmen kann, als frustriert. Solche Gitter bringen eine ganze Reihe exotischer quantenmagnetischer Effekte hervor. Unter anderem sagte 2022 eine Arbeitsgruppe vorher, dass in NBCP ein Spin-Suprafestkörper existieren sollte.

Diesen exotischen Materiezustand tatsächlich nachzuweisen, ist jedoch extrem schwierig. Das Team um Su nutzte dazu den magnetokalorischen Effekt, Neutronenstreuung und Computersimulationen des Materials. Beim magnetokalorischen Effekt erwärmt sich das Material sobald ein Magnetfeld angelegt wird, weil sich die Elektronenspins umordnen. Mit Hilfe von Temperaturmessungen kartierte die Arbeitsgruppe die Spinzustände im Material und die Übergänge zwischen ihnen; die am Material gestreuten Neutronen zeigten die Anordnung der Spins über größere Strecken und bestätigten, dass die Spinordnung dem von den Simulationen vorhergesagten Suprafestkörper entspricht.

Dabei stellte sich auch heraus, dass der Suprafestkörper ein sehr effektives Kühlmaterial ist. Magnetische Kühlung basiert auf dem von der Arbeitsgruppe genutzten magnetokalorischen Effekt. Dabei erwärmt sich das Material zunächst durch die Umordnung der Spins. Schaltet man das Feld aus, sortieren sich die Spins wieder zurück und nehmen Energie auf. Dadurch kühlt sich das Material ab. Wie das Team berichtet, sind die Spinfluktuationen in NBCP besonders stark, und damit auch der Kühleffekt. Er sei viermal so hoch wie der des kommerziell verwendeten Kühlmaterials Gd3Ga5O12, schreibt Su in einer separaten Zusammenfassung in »Nature«, und habe im Experiment eine Temperatur von nur 94 Millikelvin erreicht.

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