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Gefälschte Medikamente: Tödlicher Betrug

Wenn Menschen von Medikamenten krank werden oder gar an ihnen sterben, ist das ein tragisches Paradox – aber weit verbreitet. In Entwicklungsländern sind gefälschte und unzureichende Medikamente an der Tagesordnung.
Geöffnete Pillenkapsel

Medikamentenfälschung ist ein jahrtausendealtes Geschäft. "Sie begleitet uns wahrscheinlich schon, seit Menschen anfingen, pflanzliche Arzneimittel zu nutzen", sagt Paul Newton, Tropenmediziner am Mahosot-Krankenhaus in Vientiane, Laos, und an der Oxford University. "Arzneimittelfälschung wurde schon bei den alten Griechen diskutiert, und in der viktorianischen Zeit in England war sie ein großes Gesundheitsproblem." Dann aber ist das Thema in Vergessenheit geraten, und es scheint fast so, als würde es erst jetzt wieder an die Öffentlichkeit drängen.

"Unsere Vorfahren würden sich sicherlich wundern, warum wir so langsam in die Gänge kommen", meint Newton. Denn das Problem ist keine Kleinigkeit: Das globale Gesundheitssystem krankt massiv an gefälschten und minderwertigen Medikamenten. Etwa ein Zehntel der Medikamente weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefälscht – in einigen Regionen in Entwicklungsländern sind es sogar fast ein Drittel und mehr.

Über 100 Herzpatienten starben beispielsweise Ende Januar 2012 in Pakistan an toxischen Substanzen in einem kontaminierten Medikament. In den 1990er Jahren starben in Bangladesch, Haiti, Indien und anderswo hunderte Menschen, meist Kinder, an gefälschtem Paracetamolsirup. Medikamente gegen Aids, Malaria, Hautkrankheiten, Krebs, Diabetes und andere Krankheiten wurden gefälscht, aber auch diagnostische Tests und insektizidbehandelte Moskitonetze. In Industrienationen treten gefälschte Medikamente zwar weit weniger häufig auf, doch eine potenzielle Quelle sind zwielichtige Internetapotheken.

Minderwertig oder falsch?

Die WHO unterscheidet zwischen "substandard" (qualitativ minderwertigen) und "counterfeit" (gefälschten) Medikamenten. Qualitativ minderwertige Medikamente können bei Produktionsfehlern oder bei schlechter Lagerung entstehen – dem kann Versehen oder mangelnde Sorgfalt zu Grunde liegen. Die Fälschung von Medikamenten aber ist ein krimineller Akt, denn hier liegt eindeutig Absicht vor. "Es ist wichtig, zwischen minderwertigen und gefälschten Medikamenten zu differenzieren, denn sie unterscheiden sich in ihrer Herkunft und hinsichtlich entsprechender Lösungsansätze", sagt Newton. Um der Fälschung von Medikamenten beizukommen, sind polizeiliche Ermittlungen notwendig, damit man die beteiligten Kriminellen an die Justiz übergeben kann. Dem Problem minderwertiger Medikamente begegnet man mit Verbesserungen der Produktionsprozesse und einer besseren Qualitätskontrolle.

Geöffnete Pillenkapsel | Während man sich hier zu Lande auf die Qualität von Medikamenten verlassen kann, sind minderwertige oder gar gefälschte Arzneimittel in Entwicklungsländern ein großes Problem.

Gefälschten Medikamenten fehlt es oft am richtigen Wirkstoff. Sie können dagegen Substanzen enthalten, die die Symptome zwar lindern, die Krankheit aber nicht heilen – so fühlt sich der Patient erst einmal besser, und der Betrug fliegt nicht so schnell auf. Manchmal finden sich in gefälschten Medikamenten aber auch Stoffe, die zu Nebenwirkungen führen oder toxisch sind. Dann nützt das Medikament nicht nur nichts, sondern es schadet auch.

Minderwertige Medikamente – also Medikamente, die fehlerhaft produziert oder einfach falsch gelagert wurden – können allerdings noch eine andere Gefahr mit sich bringen: "Während gefälschte Medikamente meist gar keine Wirkstoffe haben, enthalten qualitativ minderwertige Medikamente Wirkstoffe oft in subtherapeutischen Mengen. Bei Infektionskrankheiten kann das zu Resistenzen führen", sagt Newton. Resistenzen gegen den Malariawirkstoff Artemisinin sind in Kambodscha, Thailand, Myanmar und Vietnam aufgetreten. Artemisinin gehört zu den effektivsten Wirkstoffen bei der Behandlung von Malaria – eine weitere Selektion von resistenten Erregern würde artemisininbasierte Medikamente in den entsprechenden Regionen wirkungslos machen.

Juristischer Flickenteppich

Dass gerade in Entwicklungsländern so viele unzureichende Medikamente im Umlauf sind, hat verschiedene Gründe. Menschen kaufen Medikamente von Straßenverkäufern oder in Form einzelner Tabletten am Kiosk – es liegt auf der Hand, dass die Qualität dieser Medikamente schwer zu kontrollieren ist. Es herrscht Korruption, am Zoll werden Bestechungsgelder verlangt, aus öffentlichen Krankenhäusern verschwinden Medikamente. Regierungen fördern lokale Medikamentenhersteller, aber Qualitätskontrollen sind nicht immer ausreichend. Der Markt ist unübersichtlich – je größer die Zahl der Lieferanten, desto einfacher ist es für Fälscher, ihre Ware in die Verteilungskette einzuschleusen. Hinzu kommt, dass Arzneimittelfälschung kaum geahndet wird. Juristisch wird die Herstellung gefälschter Medikamente in vielen Ländern als Verletzung des Patentrechts gehandhabt – und nicht als das, was es eigentlich ist: die mutmaßliche Gefährdung von Menschenleben. Verglichen mit beispielsweise Drogenhandel sind die Strafen entsprechend gering. Eine kleine Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, kombiniert mit niedrigen Strafen, lässt das Geschäft blühen.

Ein großes Problem bei der Bekämpfung von Medikamentenfälschung ist ein Mangel an länderübergreifenden Rechtsvereinbarungen. Kriminelle betreiben ihr Geschäft oft von Ländern aus, in denen Rechtsvorschriften besonders lasch sind. Wenn ein Fälscher in einem Land ein Medikament herstellt, das in einem anderen Land Schaden anrichtet, hat das geschädigte Land kaum die Möglichkeit, des Fälschers habhaft zu werden. Eine stärkere Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ist nötig. Ein international bindendes Recht, eine "Treaty", fordern Wissenschaftler und Juristen in einem aktuellen Artikel im "British Medical Journal" – ähnlich wie zum Beispiel internationale Abkommen zur Verfolgung von Geldfälschung. Eine erfolgreiche "Treaty" würde dabei sowohl das Problem gefälschter als auch das qualitativ minderwertiger Medikamente abdecken.

Es gibt einige Ansätze, die internationale Zusammenarbeit zu verstärken. Aber diese Initiativen kommen nur schleppend voran, denn es sind viele Parteien beteiligt: Pharmafirmen, Gesundheitspolitiker und Nichtregierungsorganisationen. Alle haben natürlich ein Interesse daran, die Fälschung von Medikamenten einzudämmen und entsprechende Regelungen zu manifestieren. Aber über das genaue Vorgehen herrscht Uneinigkeit.

"Schlechte Medizin trifft in erster Linie die öffentliche Gesundheit", sagt Newton. "Dementsprechend müssen Gesundheitsangelegenheiten im Vordergrund stehen. Die Patienten sind die Hauptleidtragenden, nicht diejenigen, die Medikamente herstellen." Wenn kommerziellen Interessen bei der Gesetzgebung zu viel Bedeutung beigemessen wird, kann das dazu führen, dass die Versorgung mit preiswerten Medikamenten gefährdet wird. Reformen von Gesetzen zur Produktfälschung haben in einigen Ländern Ostafrikas dazu geführt, dass die Herstellung von und der Handel mit Generika – korrekten Nachahmungen von Originalmedikamenten – kriminalisiert werden, selbst wenn in dem betreffenden Land kein Patentschutz besteht.

"Es muss mehr getan werden"

Im Jahr 2006 hat die WHO die "International Medical Products Anti-Counterfeiting Taskforce" (IMPACT) ins Leben gerufen – bestehend aus internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Medikamentenherstellern und Aufsichtsbehörden. IMPACT hat die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit hervorgehoben und Vorschläge für nationale und regionale Gesetzgebung erarbeitet. Die Forderung nach einem international bindenden Vertragswerk zur Ächtung der Arzneimittelfälschung blieb aber aus, wohl unter anderem wegen Widerstands aus der Pharmaindustrie. Die "Medicrime Convention" des Europarats, mittlerweile von 15 Ländern unterzeichnet, ist das internationale Abkommen, das bisher am weitesten fortgeschritten ist. So begrüßenswert dies ist – auch hier gibt es kritische Kommentare, die industrielle Interessen in diesem Abkommen zu stark im Vordergrund sehen.

Im Jahr 2010 hat die WHO auf der 63. Weltgesundheitsversammlung eine neue internationale Arbeitsgruppe etabliert, aus der wiederum im Jahr 2011 eine Arbeitsgruppe mit dem griffigen Namen "Member States Mechanism on Substandard/Spurious/Falselylabelled/Falsified/Counterfeit Medical Products" hervorgegangen ist. Im November 2012 hatte diese Arbeitsgruppe ihr erstes Meeting. Die Diskussionspapiere fassen das Ergebnis zusammen: Im Wesentlichen wurde festgehalten, dass man Erfahrungen austauschen, die Zusammenarbeiten stärken und mögliche nächste Schritte identifizieren sollte – kurz, dass man noch viel reden muss. "Ich denke, dass der Member States Mechanism sehr hilfreich sein kann, wenn die Beteiligten schnell Konsens über das erforderliche Vorgehen erzielen", mein Newton. "Es muss mehr getan werden. Und es muss mehr Diskussion stattfinden, die zu Taten führt – nicht nur Diskussion, die zu weiterer Diskussion führt."

Dass eine internationale Treaty durchaus im Bereich des Möglichen liegt, beweist die "Framework Convention on Tobacco Control" (FCTC), ebenfalls von der WHO verhandelt, die 2003 von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet wurde. 2012 wurde im Rahmen der FCTC ein Protokoll verabschiedet, das den illegalen Handel mit Tabakprodukten unterbinden soll. Der Handel mit gefälschten Tabakprodukten wird, wenn das Protokoll ratifiziert ist, schwieriger als der Handel mit gefälschten Medikamenten. Im Bereich der Medikamentenfälschung besteht also ganz offensichtlich ein großer Nachholbedarf.

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  • Quellen
Attaran, A. et al.: (How to achieve international action on falsified and substandard medicines. In: British Medical Journal 345, S. e7381, 2012.
Attaran, A. et al.: Why and How to Make an International Crime of Medicine Counterfeiting. In: Journal of International Criminal Justice 9, S. 325–354, 2011.
Bate, R.: Phake: The Deadly World of Falsified and Substandard Medicines: AEI Press, 2012.
Bate, R., Attaran, A.: A counterfeit drug treaty: great idea, wrong implementation. In: The Lancet 376, S. 1446–1448, 2010.
Nayyar, Gaurvika M. L. et al.: Poor-quality antimalarial drugs in southeast Asia and sub-Saharan Africa. In: Lancet Infectious Diseases 12, S. 488–496, 2012.
Newton, P. et al.: Impact of poor-quality medicines in the 'developing' world. In: Trends in Pharmacological Sciences 31 (3), S. 99–101, 2009.
Oxfam: Eye on the ball: medicine regulation-not IP enforcement-can best deliver quality medicines. 2011.

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