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Paläontologie: Unjugendliche Frische

Noch erkennbare Knochen der längst ausgestorbenen Saurier zu finden ist ein seltenes Glück, ganze Skelette von ihnen aufzuspüren ein großes - und an noch mehr wagten Paläontologen bislang gar nicht zu denken. Jetzt fällt ihnen unverhofft Material in die Hände, das völlig neue Analysen möglich macht.
Tyrannosaurus rex
MOR 1125 ist seit 68 Millionen Jahren mausetot und alles andere als längst vergessen. Hilfreich war dabei sicherlich ihre Sippschaft: Das Weibchen zählte als Tyrannosaurus rex zu den berüchtigtsten Dinofressmaschinen aller Zeiten. Ganz persönlich als Fossil ist sie zudem eines der besterhaltensten versteinerten Überbleibsel ihrer Spezies. Und jetzt revolutioniert das Exemplar MOR 1125 auch noch alles, was Knochenforscher bis dato über den Prozess der Fossilierung wussten und schreibt nebenbei ein neues Kapitel der Dinosaurier-Ahnenforschung. Die Feder geführt haben ihr dabei Mary Higby Schweitzer von der North Carolina State Universität in Raleigh und John Asara vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston mit ihren Kollegen.

Dinosaurier-Reste | Die Knochen des Tyrannosaurus-rex-Exemplars MOR 1125 machen Schlagzeilen, seit darin Gewebematerial gefunden wurde, das nicht versteinert ist. Zunächst hofften Forscher noch erhalten gebliebene DNA darin zu finden – immerhin gelang nun der Nachweis, dass die Fasern im Inneren Kollagen-Protein enthalten.
Der Anekdote zufolge beginnt die Akte Schweitzer, T. rex & Asara im Jahr 2003 mit einer ärgerlichen Planungspanne: Der gerade erst in der Hell-Creek-Formation im Nordwesten der USA ausgebuddelte, wunderbar erhaltene Oberschenkelknochen des Raubsaurier-Exemplares MOR 1125 war zu groß, um ihn mit dem Hubschrauber abtransportieren zu können. Also musste er angeblich notgedrungen in Einzelteile zerlegt werden, und das erst ermöglichte den Forschern an der freigelegten Knochen-Bruchstelle eine völlig unerwartete Entdeckung: Offenbar hatten sich im Inneren des versteinerten Femurs Reste erhalten, die rein optisch fast ein wenig weichteiltypisch an Blutgefäße und Proteinfaserspuren erinnerten. Das bestätigte sich bei ersten Analysen. Und konnte eigentlich wirklich nicht sein.

Im Prinzip undenkbar

Eine ganz normale Fossilierung läuft schließlich nach bekannten und etablierten Regeln ab: Wenn Tiere sterben, vergammeln die allermeisten vollständig. Wenige aber werden rechtzeitig verschüttet, noch weniger von diesen von den richtigen Mineralien im richtigen chemischen Umfeld umhüllt – und nur die Knochen der allerwenigsten dieser Selektions-Elite modeln sich dann nach und nach von organisch- zu anorganisch-chemisch um und werden damit buchstäblich zur Versteinerung. Chemisch ersetzen dabei etwa Karbonate, Erze oder Kieselsäure vollständig Hartteile wie Schalen, Knochen oder Zähne. Weiches vergeht dagegen völlig, wie alle Fossilforscher bislang gewusst haben, und zwar allerspätestens innerhalb einer Million Jahre post mortem. MOR 1125 hatte nahezu siebzig Mal länger Zeit zu verrotten – da dürfte längst keine Spur von Weichteilen im Fossilrest mehr übrig geblieben sein, äußerer Anschein hin oder her.

Schweitzers Team ging der Sache deshalb mit penibelster Laborarbeit und der Hilfe moderner Analysemethoden auf den Grund. Zunächst extrahierten die Forscher aus kleinen Femur-Fragmenten sämtliche anorganischen Materialien, bis nur noch ein mysteriös-flexibler Faserrückstand übrig blieb. Schweitzer untersuchte diesen dann mit Elektronen- und Rasterkraft-Mikroskopen – wobei die Rückstände sich tatsächlich als typisch quergestreift wie Kollagenproteinfasern entpuppten, den organischen Hauptanteilen von Knochen [1].

Vorher/Nachher: Der T.-rex-Knochen wird extrahiert | Aus den Faserresten eines 68 Millionen Jahre alten T. rex Protein zu extrahieren, ist sehr mühsam. Nur eine winzige Menge musste am Ende genügen, um im Massenspektrometer die Aminosäuresequenzen von sieben kleinen Peptidbruchstücken herauszufinden.
In einem nächsten Schritt gaben die Wissenschaftler zu den Rückstände Antikörper, die spezifisch an Kollagen binden – und, wie sich zeigte, eben tatsächlich auch gerne an den organischen Dinoknochenrückstand. Eine Aminosäureanalyse untermauerte den Verdacht, es könne sich um uralte unverweste Dinosaurierkollagene handeln, noch weiter: In den Rückständen fanden sich verdächtig viele Prolin-, Glycin- und Alanin-Aminosäuren in einem Verhältnis, das moderne Kollagene heute lebender Arten ebenfalls aufweisen.

Verdachtsmomente genug für Schweitzer und Co, die offensichtlichen Protein-Proben mit modernsten forensischen Methoden von Asara begutachten zu lassen. Mit seiner mittlerweile meist in der Krebs-Grundlagenforschung eingesetzten hochsensiblen Laborausstattung war es 2002 etwa gelungen, die Aminosäuresequenz von bis zu 300 000 Jahre alten Mammut-Kollagenresten zu entziffern. Nun zerlegten die Analytiker das faserige Probenmaterial zunächst mit Enzymen in kurze Peptidschnipsel, analysierten dann die Zusammensetzung und Sequenz in einem Tandem-Massenspektrometer und verglichen sie schließlich mit der bekannter Kollagene verschiedener ausgestorbener und lebender Tierarten [2].

Weiche Knochen

Das Resultat ließ Zweifeln nun keinen Raum mehr: In den Dinoresten war Kollagen Typ I alpha enthalten, welches zudem große Übereinstimmungen mit der entsprechenden Kollagensequenz ausgerechnet von modernen Hühnerknochen aufwies, sowie, ein wenig, mit den Kollagenen von Molchen und Fröschen. Säugetierkollagene glichen ihm dagegen nicht so sehr – jedenfalls aber viel weniger, als die zur Kontrolle analysierten Kollagensequenzen ausgestorbener Mastodons und moderner Säuger sich ähnelten.

Jetzt möglich: Kollagensequenz-Vergleich zwischen ausgestorbenen Spezies | Jetzt ist ein Kollagensequenz-Vergleich zwischen ausgestorbenen Spezies möglich: Mit Erfolg sequenzierten Wissenschaftler Kollagen aus dem Bindegewebe eines 160 000 bis 600 000 Jahre alten Mastodons sowie eines versteinerten, 68 Millionen Jahre alten T. rex. Eine Herausforderung war zunächst, die im Massenspektrometer erhaltenen Analysedaten mit passenden Standards bekannter Proteine abzugleichen. Schließlich zeigte sich, dass ein Dinosaurier-Kollagen fast identisch mit einem Hühnerkollagen ist.
Was die Proteine im Fossil derart gut konserviert hat, bleibt zunächst wilde Spekulation – möglicherweise, so Schweitzer und Kollegen, spielte eine irreversible Quervernetzung der Proteine über Metalle an den Grenzoberflächen eine Rolle. Eisen-Ionen, die bei den Analysen ebenfalls aufgefallen sind, könnten aus den zersetzten Blutfarbstoffen des Tieres stammen und bei dieser Vernetzung eine Hauptrolle gespielt haben. Die Lagerstätte des Skeletts, eine gut wasserableitende Sandsteinschicht mit offenbar förderlicher Mineralzusammensetzung, tat sicher ihr Übriges.

Jedenfalls freuen sich nun alle Paläontologen darüber, dass demnächst mit etwas Glück und herrlich hartnäckigen Eiweißresten per Sequenzvergleich Verwandtschaftsbeziehungen zwischen uralten Spezies verlässlich überprüft werden könnten. Die Ergebnisse des ersten dieser Tests mit MOR 1125 waren für Informierte allerdings eher wie erwartet ausgefallen, denn die in ihrer Kollagensequenz nah verwandten Vögel galten auch schon vorher als engste noch lebende Saurier-Vettern. Und so war an der Saurier-Geschichte um Schweitzer und Asara noch am wenigsten verblüffend, dass der weiche Kern im harten T. rex auch nicht anders ist als im Huhn.

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