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Wiederaufforstung in Afrika: Wo Bäume mehr schaden als nützen

Der Schuss könnte nach hinten losgehen: Ein ambitioniertes Klimaschutzprojekt in Afrika zerstört lokale Ökosysteme und könnte sogar Tierbestände gefährden. Das zeigt eine neue Studie.
Reihen von Setzlingen wachsen in Plastikbehältern vor sich hin.
Aus kleinen Setzlingen sollen einmal mächtige Bäume werden, die viel Kohlenstoff einlagern. Sie können aber auch großen Schaden anrichten.

Europa tut es, die USA sind mit von der Partie, und China will sogar neue Rekorde darin aufstellen: Aufforstung, wohin man blickt. Immer höhere Milliardenziele setzen sich die Regierungen. Drei Milliarden neue Bäume in der EU, zehn Milliarden in den USA, 70 Milliarden in China. Flankiert wird der grüne Eifer im eigenen Land durch zahlreiche Initiativen auswärts, vor allem in Afrika. Kenia beispielsweise hat einen eigenen Feiertag für das Baumpflanzen ausgerufen, um sein Ziel von 15 Milliarden neuen Bäumen in den kommenden Jahren zu schaffen. Das Geld dafür kommt aus prallen Fördertöpfen, in die die Industriestaaten einzahlen.

Der Reformator Martin Luther – der selbst im Angesicht des Weltuntergangs noch einen Apfelbaum pflanzen wollte – hätte seine helle Freude. Doch nun melden sich Wissenschaftlerinnen mit einem dramatischen Befund zu Wort. »Statt Klima und Natur zu schützen, werden im großen Maßstab wertvollste Ökosysteme zerstört«, fasst Studienleiterin Kate Parr von der University of Liverpool das Ergebnis zusammen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kritik an ökologisch fragwürdigen Aufforstungen laut wird. Die aktuelle Studie quantifiziert aber erstmals die Dimension des Problems. Die Wissenschaftlerinnen analysierten dazu eines der prominentesten Programme zur Wiederaufforstung und Renaturierung für Afrika: die Initiative African Forest Landscape Restoration (AFR100). Sie wurde vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) gemeinsam mit der Entwicklungsagentur der Afrikanischen Union und der US-Umweltdenkfabrik World Resources Institute (WRI) gegründet und auf der historischen Pariser Weltklimakonferenz 2015 auf den Weg gebracht.

Die Industriestaaten müssten ihre Milliardenprogramme transparenter und vielfach sachkundiger umsetzen, wenn sie sich nicht dem Verdacht des Greenwashings aussetzen wollen, schreibt das internationale Team von Forscherinnen nun im Fachjournal »Science«.

Dichter Wald, wo einst Savanne war?

AFR100 zielt darauf ab, 100 Millionen Hektar ökologisch geschädigtes Land durch Anpflanzungen, natürliche Verjüngung und andere Formen der Renaturierung »wiederherzustellen«. Die Resonanz auf das Programm ist enorm. Weit über 30 Länder haben ihre Teilnahme zugesagt, inzwischen liegt die angestrebte Fläche sogar bei gut 130 Millionen Hektar. Das eigentliche Ziel einer ökologischen Sanierung aber verfehlt die Initiative nach dem Urteil der Wissenschaftlerinnen dramatisch.

Um in den Genuss der Finanzmittel zu kommen, meldeten der Untersuchung zufolge über die Hälfte der Teilnehmerländer mehr Fläche zur »Wieder«-Aufforstung an, als es bei ihnen überhaupt Wald gibt. Die Folge: Bäume würden in großem Stil in Lebensräume gepflanzt, in die sie nicht gehören. Mehr als jede zweite Baumpflanzaktion des Programms findet demnach in dafür ungeeigneten Savannen und Grassteppen statt, mit der Gefahr, dass wertvolle Lebensräume für Afrikas ikonischen Wildtierbestand zerstört werden. Auch die Lebensgrundlage der heimischen Menschen ist durch die falsche Wiederaufforstung bedroht. Insgesamt betrifft dies nach Rechnung des Teams 70 Millionen Hektar – eine Fläche annähernd so groß wie Frankreich.

Savanne in Kenia | Mehr als jede zweite Baumpflanzaktion des Programms AFR100 findet nach neuen Analysen in Savannen und Grassteppen statt. Diese wichtigen Lebensräume für Afrikas einzigartige Wildtiere drohen so zerstört zu werden.

Zudem würde zu fast 60 Prozent mit nicht einheimischen Baumarten aufgeforstet, darunter für die Ökosysteme sehr gefährlichen Arten wie einer aus Australien stammenden Akazienart oder Eukalyptusbäumen, die den Wasserhaushalt gefährdeten. »Wir haben vermutet, dass viel schiefläuft, aber wir hatten keine Ahnung, wie groß das Ausmaß ist«, sagt Hauptautorin Parr. »Das Problem ist gewaltig – Furcht einflößend«.

Naturbasierte Lösungen sind unbestritten

Das den Programmen zu Grunde liegende Konzept des natürlichen Klimaschutzes ist wissenschaftlich unumstritten. Viele würden sagen: sogar alternativlos, will man die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreichen. Das Konzept sieht vor, diejenigen Ökosysteme besser zu schützen oder zu renaturieren, die große Mengen an Kohlenstoff aus der Luft ziehen und speichern und zugleich Brennpunkte der Artenvielfalt sind. Auch Parr ist eine Verfechterin des naturbasierten Klimaschutzes. »Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist notwendig und wichtig, aber sie muss auf eine Weise erfolgen, die für jedes System angemessen ist.«

Parr hat dies für die sensiblen Steppenökosysteme Afrikas untersucht und dabei erfahren, wie schädlich Bäume am falschen Ort wirken können. Ein Beispiel: Je mehr Bäume es gebe, desto weniger Wasser gelange in die Flüsse, was den Wasserzyklus in der Landschaft störe. Ein anderes: Viele Bäume werfen viel Schatten. Licht liebende Pflanzen können unter solchen Umständen nicht wachsen, und wenn sie verschwinden, nehmen sie die Insekten, Vögel und andere Bewohner mit. Vor allem die für die Savannen Afrikas charakteristischen Arten treffe die Aufforstung stark – darunter Gnus, Löwen und Nashörner, sagt Parr.

Wildwestmentalität bei der Aufforstung

»Aus irgendeinem Grund lieben alle Menschen Wälder. Ökosysteme, die nur wenige Bäume haben, werden einfach nicht im gleichen Maß wertgeschätzt«, sagt die Forscherin. »Doch Bäume sind keine Allheilmittel.«

Parr hält einen Mix aus Ursachen für das Problem der massenhaften Fehlpflanzungen. So seien die Projekte mit riesigen Geldsummen ausgestattet, die gerade in armen Ländern starke Anreize schafften, an Programmen auch dann teilzunehmen, wenn die passenden Flächen gar nicht vorhanden seien. »Es herrscht eine Wildwestmentalität bei der Aufforstung.« Eine Vielzahl kleiner und kleinster Organisationen sei quasi aus dem Nichts entstanden, um von den Geldern zu profitieren. Hinzu komme ein mangelndes ökologisches Verständnis für die Besonderheiten der afrikanischen Offenland-Ökosysteme bis in die Regierungen hinein. »Es sind nicht immer schlechte Absichten – es geht manchmal auch darum, Arbeitsplätze für Menschen zu schaffen oder etwas für den Klimaschutz zu tun.«

»Die Zerstörungen passieren in diesem Moment, und sie schreiten überall in Afrika schnell voran«Kate Parr

Das größte Problem sieht die Wissenschaftlerin aber in der Definition dessen, was eigentlich ein Wald ist. Die gängige Definition der Welternährungsorganisation FAO erlaubt es, Gebiete selbst dann noch als Wald einzustufen, wenn die Bäume mit ihren Kronen gerade einmal zehn Prozent der Fläche abdecken. Damit fallen auch Lebensraumtypen wie Savannen und Grassteppen in die Kategorie »Wald«. »Salopp gesagt würde jede deutsche Kleingartenanlage dieses Kriterium erfüllen«, sagt Manfred Finckh von der Arbeitsgruppe Ökologische Modellierung der Universität Hamburg gegenüber dem Science Media Center. Finckh war nicht an Parrs Studie beteiligt.

Die Autorinnen der »Science«-Veröffentlichung appellieren nun an die Organisatoren der Pflanzaktionen und ihre Geldgeber, ein Moratorium einzulegen. »Wir brauchen eine Pause, um das System auf den Prüfstand zu stellen, die Maßnahmen eingehend zu evaluieren und anschließend alle Mittel in solche Projekte zu stecken, die sinnvoll für Klima und Natur sind.« Große Flächen seien schon geschädigt, aber es sei noch nicht zu spät. Allerdings dränge die Zeit. »Die Zerstörungen passieren in diesem Moment, und sie schreiten überall in Afrika schnell voran.«

Deutschland ist wichtiger Geldgeber für AFR100

Die Studie birgt zudem politischen Sprengstoff. Die Bundesregierung ist einer der wichtigsten Geldgeber für Initiativen des natürlichen Klimaschutzes weltweit. Im Rahmen der AFR100-Initiative finanziert das Entwicklungsministerium nach eigenen Angaben Projekte in sechs afrikanischen Ländern. Bis 2027 erhält das Programm 83 Millionen Euro aus dem deutschen Entwicklungsetat. Die Auswahl der Projektflächen finde gemeinsam mit Partnern vor Ort statt, erklärt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. »Bei der Umsetzung der Maßnahmen wird auch auf die ökologischen Auswirkungen und Risiken geachtet«, betont er. Zudem gebe es ein regelmäßiges Monitoring und eine wissenschaftliche Begleitforschung. All das soll »das Risiko einer dem Ökosystem nicht angemessenen Auswahl« minimieren. Trotzdem bleibe eine ökologische und an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Renaturierung eine Herausforderung, räumt der Ministeriumssprecher ein.

»Ich weiß, dass unsere Arbeit sehr kontrovers diskutiert werden wird und dass wir einige Leute verärgern«, sagt Studienleiterin Parr. »Doch es ist so wichtig, dass wir diese Riesenchance zur Renaturierung auf großer Fläche gut nutzen.« Das gelte umso mehr, als sie davon ausgehe, dass ähnliche Projekte auf anderen Kontinenten nicht besser abliefen. »Es geschieht überall auf der Erde – auch in Brasilien, in Indien, in China.«

Der Hamburger Biologe Finckh macht sich ebenfalls wenig Illusionen. »Die Studie bestätigt methodisch sauber die seit Jahren von Wissenschaftlern formulierte Sorge, dass unter dem Begriff ›Forest Restoration‹ eine großflächige Zerstörung von extrem artenreichen Offenlandökosystemen besonders in tropischen und subtropischen Regionen stattfinden könnte.«

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