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Klimaszenarien: Wirtschaftswachstum im 21. Jahrhundert wird wohl überschätzt

Fünf Modelle für die wirtschaftliche Entwicklung stehen hinter zukünftigen Klimaszenarien. Doch womöglich sind sie zu optimistisch – und einige sogar ziemlich unplausibel.
Flächenfraß und Entwaldung
Wirtschaftswachstum kann einerseits negative Folgen für Umwelt und Klima haben. Andererseits verbessert Wohlstand auch die Möglichkeiten, Umwelt und Klima zu schützen.

Die Entwicklung der globalen Wirtschaft ist zentral für den Umgang der Menschheit mit Klimawandel und Umweltveränderungen. Größerer Wohlstand, besonders in unteren Einkommensgruppen, bedeutet mehr Zugang zu Technik, bessere Gesundheit und Mobilität und damit auch mehr Anpassungsfähigkeit bei Naturkatastrophen. Nun legt ein auf empirischen Daten basierendes mathematisches Modell nahe, dass heute genutzte Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung der nächsten Jahrzehnte womöglich zu optimistisch sind. Wie eine Arbeitsgruppe um Matthew G. Burgess von der University of Colorado berichtet, sagt ihr Modell im 21. Jahrhundert langsames Wirtschaftswachstum und relativ hohe Ungleichheit voraus, ähnlich dem SSP-Szenario 4, das als Basis für Klimamodelle abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung dient.

Hintergrund der in der Fachzeitschrift »Communications Earth & Environment« erschienenen Studie ist die Frage, auf welche wirtschaftlichen Annahmen sich die Klimamodelle der Zukunft stützen sollten. Die Szenarien in den Berichten des Weltklimarats basieren auf insgesamt fünf unterschiedlichen so genannten gemeinsam genutzten sozioökonomischen Pfaden (Shared Socioeconomic Pathways, SSP), die unterschiedliche Wirtschaftsentwicklungen darstellen. Das Team um Burgess weist darauf hin, dass die Unterschiede zwischen diesen SSP enorm hoch seien. Dennoch nutze die Forschungsgemeinschaft sie, ohne wirklich zu wissen, wie plausibel sie sind.

Das von der Arbeitsgruppe verwendete Modell ist »agnostisch«, das heißt, es modelliert keine fundamentalen Mechanismen, die wirtschaftliche Trends beeinflussen. Stattdessen besteht es aus einem Satz von Differenzialgleichungen auf der Basis der empirischen Beziehung zwischen Wachstum und Pro-Kopf-Einkommen – das Modell gibt also nur historische Trends korrekt wieder und projiziert sie in die langfristige Zukunft. Solche Modelle spielen in ökonomischen Berechnungen eine wachsende Rolle, seit die nötige Rechnerkapazität und Daten in ausreichend guter Qualität zur Verfügung stehen. Auf der Basis von Wirtschaftsdaten aus dem 20. Jahrhundert habe dieses Modell die Wachstumsraten der 2010er Jahre genauer berechnet als die damaligen kurzfristigen Modelle des Internationalen Währungsfonds (IWF), schreibt das Team in der Veröffentlichung.

Die Analyse für das 21. Jahrhundert zeige, dass sich langjährige globale wirtschaftliche Dynamiken schnell und grundlegend ändern müssten, damit die Szenarien SSP1 und SSP5 mit hohem Wachstum und sinkender Ungleichheit eintreffen können. Die Resultate ähnelten insgesamt dem SSP-Szenario 4, das mit »Ungleichheit« betitelt ist. Allerdings überschätze SSP4, wie stark untere Einkommensschichten beim Einkommen aufholen. Womöglich sei SSP4 sogar der beste Fall, schreibt das Team. Dabei betonen sie, dass das Modell keinesfalls die ganze Bandbreite möglicher wirtschaftlicher Entwicklungen abdecke. Deswegen sei ihre Projektion keine Vorhersage, sondern eher ein Versuch, die langfristige wirtschaftliche Entwicklung einzuschätzen.

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