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Wolfspolitik in Deutschland: »Hier wird zu viel und auch Falsches versprochen«

Bayern will den Wolfsabschuss stark vereinfachen. Das hilft niemandem, sagt der Wildtierexperte Hannes König. Im Interview erklärt er, was jetzt viel wichtiger wäre.
Ein Wofsrudel im Bayerischen Wald

Mit Beginn der Weidesaison mehren sich wieder die Meldungen über gerissene Nutztiere. Der Freistaat Bayern reagierte jetzt mit einer Änderung seiner Wolfsverordnung: Seit dem 1. Mai dürfen Wölfe bereits erlegt werden, wenn sie nur ein einziges Weidetier gerissen haben und auch ohne dass sie vorab über ihre DNA identifiziert werden müssten. Damit geraten womöglich ganze Rudel unter Jagddruck. Gleichzeitig verstärkt ein tödlicher Bärenangriff auf einen Jogger in Italien die Angst vor wilden Tieren. Thomas Krumenacker sprach mit dem Experten für Mensch-Wildtier-Konflikte Hannes König über Möglichkeiten der Koexistenz von Mensch und Raubtier auch in unseren dicht besiedelten Breiten. Der Fachmann wendet sich gegen falsche Versprechungen aus der Politik. Stattdessen plädiert er für einen unsentimentalen Umgang mit den Wölfen, die Suche nach einem breiten gesellschaftlichen Konsens und die Wiederentdeckung von Methoden aus einer Zeit mit dem Wolf.



Hannes J. König | Der Experte für Mensch-Wildtier-Konflikte forscht am Institut für Landnutzungssysteme der Humboldt-Universität zu Berlin zu Möglichkeiten der Koexistenz. König leitet ein internationales Projekt zum transformativen Wildtiermanagement in- und außerhalb europäischer Großschutzgebiete, berät das brandenburgische Agrar- und Umweltministerium und ist Mitglied des Expertenrats für Mensch-Wildtier-Konflikte der Weltnaturschutzorganisation IUCN.

»Spektrum.de«: Herr König, in den vergangenen 20 Jahren hat der Wolf ein fulminantes Comeback erlebt. Hat er sich bereits dauerhaft in Deutschland etabliert?

Hannes J. König: Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Wann eine Population stabil genug ist, um eine erneute Ausrottung auszuschließen, wird von Expertinnen und Experten gerade heftig diskutiert. Das muss sowohl auf EU-politischer Ebene als auch von Wildbiologen geklärt werden.

Inzwischen leben wieder 1300 bis 1500 Wölfe in Deutschland. Genügt das nicht? Manche in der Politik argumentieren, man müsse jetzt mit dem »Management« der Art beginnen, also der Bestandsregulierung.

In jedem Fall macht es keinen Sinn, nur auf die Wölfe in Deutschland zu blicken. Wir sprechen von einer zentraleuropäischen Tieflandpopulation, in der Deutschland den Kern bildet. Als Richtgröße werden oft 1000 erwachsene Tiere genannt, die sich bereits einmal fortgepflanzt haben.

Das klingt nach einer sehr feinsinnigen Präzisierung.

Hintergrund ist, dass es bei Wölfen eine hohe Sterblichkeit beim Nachwuchs gibt und außerdem nicht jedes Paar jedes Jahr Nachwuchs bekommt. Wir brauchen also genügend erfahrene Altwölfe, um den Bestand zu erhalten.

Und wie ist Ihre persönliche Einschätzung? Haben wir schon eine stabile Population bei uns erreicht?

Noch sind wir nicht ganz so weit. Das erklären auch die Umweltfachbehörden einhellig. Aber wir sehen, dass sich der Bestand rasch ausweitet. Ich gehe davon aus, dass der Zustand einer sich selbst tragenden stabilen Population in wenigen Jahren erreicht sein wird.

Trotzdem will Bayern schon jetzt mit beispielloser Härte gegen Wölfe vorgehen. Laut der kürzlich beschlossenen Wolfsverordnung soll bereits ein getötetes Weidetier ausreichen, um in der Region künftig Wölfe schießen zu können. Halten Sie die Regel für sinnvoll?

Die bayerische Staatsregierung suggeriert, dass der Zielkonflikt zwischen Weidetierhaltung und Wolf durch die Tötung möglichst vieler Wölfe gelöst werden kann. Da wird zu viel und auch Falsches versprochen. Selbst wenn noch so viele Wölfe geschossen würden, es reicht ein Tier aus, das in einer Nacht über eine große Strecke wandert und an einer ungeschützten Stelle ein Nutztier reißt. Dann ist der Schaden da. Um es klar zu sagen: Um einen effektiven Herdenschutz wird kein Tierhalter, keine Tierhalterin herumkommen. Es sei denn, wir rotten den Wolf wieder aus. Und das ist im Moment rechtlich nicht denkbar und gesellschaftlich nicht gewollt.

Auch im aufziehenden Europawahlkampf zeichnet sich eine Anti-Wolf-Kampagne ab. Wird die Angst vor wilden Tieren politisch instrumentalisiert?

Das Thema Wolf ist schon immer hochemotional geführt und auch politisiert worden. Das haben wir zu Beginn des Jahrtausends in Brandenburg erlebt, als der Wolf dort erstmals auftauchte. Die Debatte flacht ab, wenn die Menschen in den neu wiederbesiedelten Gebieten sehen, dass der Wolf keine direkte Gefahr für den Menschen ist.

So weit ist man in Bayern noch nicht?

Bayern ist ein großes Bundesland, in dem der Wolf relativ neu ist. Dort gibt es im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands noch wenige Wölfe. Deshalb ist es schon verwunderlich, wenn bayerische Politiker nun erklären, es gebe zu viele Wölfe in Bayern. Das ist nicht durch Fakten gedeckt.

Was wäre ein besserer Weg als die Ausweitung der Jagd?

Ich empfehle den Ländern, in denen der Wolf neu auftritt, sich an den Regionen zu orientieren, die mittlerweile auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken. Warum nicht einen Blick dorthin wagen, wo es klappt und die Regeln mit dem Naturschutzrecht konform sind? In Brandenburg zum Beispiel dürfen Wölfe getötet werden, wenn es wiederholt zu Rissen in einem bestimmten Gebiet kommt und auch eine Nachbesserung beim Herdenschutz keinen Erfolg gebracht hat. Das ist ein Kompromiss zwischen Artenschutz und Praxis. Wenn angemessener Herdenschutz gescheitert ist, ist es legitim, diesen Wolf abzuschießen.

»Wenn wir wilde Tiere nur noch in reinen Wildnisgebieten akzeptieren, dann werden wir keine wilden Tiere mehr haben«

Auch Sachsen hat sehr viele Wölfe. Gleichzeitig hört man wenig Klagen. Woran liegt das?

Sachsen hat durch seine wissenschaftliche Forschung durch das Lupus-Institut und auch in der Öffentlichkeitsarbeit große Verdienste, was die Minimierung von Ängsten angeht. Eine Gesellschaft muss Erfahrungen sammeln, bevor sie ein »Problem« in den richtigen Kontext stellen kann und erkennt, dass vom Wolf keine direkte Gefahr ausgeht. Ähnliches gab es in Brandenburg. Einer sachlichen Auseinandersetzung ist es natürlich nicht dienlich, wenn aus der Politik aus anderen Gründen die Debatte angeheizt wird und Wölfe als größere Probleme dargestellt werden, als sie es faktisch sind.

Selbst die Befürworter eines harten Vorgehens gegen Wölfe fordern nicht die völlige Ausrottung der Tiere. Sie argumentieren aber, Wölfe gehörten nicht in die Kulturlandschaft, sondern in die Wildnis. Ein gangbarer Kompromiss?

Hier sollten wir uns ehrlich machen: Wenn wir wilde Tiere nur noch in reinen Wildnisgebieten akzeptieren, dann werden wir keine wilden Tiere mehr haben. Denn in Europa gibt es diese Wildnis nicht mehr. Alle Umfragen zeigen aber, dass die Menschen sich mehr Natur und Wildnis wünschen. Und da gehört der Wolf eben dazu.

Und auch der Bär?

Ich bin kein Bärenexperte und überlasse diese Debatte anderen. Grundsätzlich sehe ich eine aktiv durch den Menschen herbeigeführte Wiederansiedlung eher kritisch. In Skandinavien und den USA funktioniert es mit Bären, allerdings müssen sich die Menschen auch an gewisse Regeln halten. Vergessen wir nicht, dass wir immer wieder auch Tote bei uns beispielsweise durch Wildschweine haben. Es gibt ein gewisses Restrisiko, und damit müssen wir Menschen leben, wenn wir in die Natur gehen. Ich würde mir eine größere Differenzierung zwischen Wolf und Bär wünschen, man kann nicht alles in einen Topf werfen. Die Wolfsdebatte ist bei uns real, die um Bären zum jetzigen Zeitpunkt Zukunftsmusik.

Haben wir es verlernt, mit wilden Tieren zu leben?

Zum Teil sicher ja. Wölfe zum Beispiel waren über mehrere Schäfergenerationen nicht mehr in der Landschaft vertreten, und Weidetierhaltung konnte ohne Herdenschutz stattfinden. Die Koexistenz mit dem Wolf muss nun neu erlernt werden. Wenn wir etwas verlernt haben, bedeutet das ja auch, dass wir etwas wieder erlernen können. Und wir sollten innovativ sein. So wird beispielsweise über die Neubelebung des fast ausgestorbenen Berufs des Hüteschäfers nachgedacht. In anderen Ländern wird das wieder eingeführt.

Die Weidetierhaltung ist ein uraltes Kulturgut. Kann sie überhaupt überleben, wenn Halter immer wieder mit Rissen rechnen müssen?

Das ist eine wichtige Frage. Denn die Gesellschaft will auch eine artenreiche Kulturlandschaft, in der eine Weidetierhaltung möglich ist. Weidewirtschaft ist eine der artgerechtesten Haltungsformen, und als eine der ökologischsten Formen der agrarischen Landnutzung trägt sie zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Das heißt: Das Ziel, Weidelandschaften zu erhalten, müssen wir ebenso in den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess einbinden wie das Ziel des Artenschutzes für den Wolf. Hinzu kommen die sonstigen Wünsche der Gesellschaft: nach einem Platz für Wildnis, nach Sicherheit, nach ökonomischer Nutzung. Koexistenz heißt, zu erkennen, dass dies alles legitime Interessen sind und dass diese durch einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess miteinander in Einklang gebracht werden müssen.

»Wir befinden uns mitten in der Transformation aus der wolfslosen Zeit in eine Zeit mit dem Wolf«

Und wie können wir das unter einen Hut bringen?

Die gute Nachricht lautet: Wie haben einen ziemlich großen Instrumentenkasten. Ganz oben steht der Herdenschutz in all seinen Facetten, der vielerorts bereits von staatlicher Seite gefördert wird: Zäune, Herdenschutzhunde, Nachtpferche. Auch dass Hirten häufiger anwesend sind, könnte man finanziell fördern, ähnlich wie Schutzzäune. Hinzu kommen die Ausgleichszahlungen für Verluste. Und wenn es mal gar nicht funktioniert, eben auch das schnellstmögliche Töten einzelner Wölfe.

Keine falsche Sentimentalität im Umgang mit wilden Tieren?

Auf gar keinen Fall, es braucht einen pragmatischen und vor allem auch ganzheitlichen Blick. Dem Natur- und dem Artenschutz ist nicht damit gedient, wenn wir auffällige Tiere, die nicht kompatibel mit dem Leben in einer dicht besiedelten Kulturlandschaft sind, tolerieren. Sie müssen getötet werden. Hier kommen wir nicht weiter, wenn wir nur auf Einzelschicksale gucken.

Alles sieht so aus, als bliebe uns der Wolf auf Dauer erhalten. Und damit auch der Streit ums Tier?

Und wir befinden uns mitten in der Transformation aus der wolfslosen Zeit in eine Zeit mit dem Wolf. In der Natur geht es manchmal viel schneller zu als in Politik und Gesetzgebung. Beim Wolf sind Gesetze geschaffen worden, um diese ausgerottete Art zu schützen und ihr eine Rückkehr zu ermöglichen. Das war völlig richtig. Jetzt hat sich der Wolf ausgebreitet, und wir müssen flexibler sein und Gesetze mit der Dynamik der Natur und den Bedürfnissen der Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen. Ich gehe davon aus, dass wir in zehn Jahren nicht mehr so erbittert pro oder kontra Wolf diskutieren.

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