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»Bewusstseinskultur«: Abstrakter Rahmen für konkrete Probleme

Thomas Metzinger setzt einen moralischen Rahmen für die Bewältigung der Klimakrise.
Kunstwerk »Grundgesetz 49«, das von Klimaaktivisten mit dunkler Flüssigkeit begossen und mit Plakaten beklebt wurde. Auf diesen steht zum Beispiel »Erdöl oder Grundrechte?«. Im Vordergrund laufen Passanten vorbei, die nur verschwommen zu sehen sind.

Die Klimakrise ist ein viel diskutiertes Thema – nicht erst seit den Protestaktionen von »Fridays for Future«. Über die vom Menschen ausgelösten Veränderungen der Erde und deren teils verheerende Folgen wurde schon vor Mitte des letzten Jahrhunderts debattiert. Trotzdem wurden kaum Gegenmaßnahmen ergriffen. Von einem rationalen Standpunkt aus muss es verwundern, dass die Menschheit sehenden Auges in eine zweifelhafte Zukunft läuft. In seinem Buch »Bewusstseinskultur« benennt der Philosoph Thomas Metzinger einige Gründe dafür und stellt einen Ansatz vor, der eine globale Katastrophe verhindern soll.

Ausgangpunkt des Werks ist der nahe liegende Gedanke, dass die Klimakrise durch die kapitalistische Wachstumslogik bedingt ist. Aus Sicht des Autors bildet das dahinterstehende neoliberale Denken eine Art anthropologische Grundkonstante: Gier, Neid und Dominanzstreben hätten in der Vergangenheit einen Überlebensvorteil dargestellt und seien dem Menschen sozusagen einprogrammiert. An diese nicht unproblematische Grundannahme – in der Anthropologie gilt auch Altruismus als einer der menschlichen Urinstinkte – schließen sich vier Kapitel an, in denen der Autor die Theorie eines neuen Bewusstseins darlegt, das die Grundlage für eine »Schadensbegrenzung« bildet.

Im ersten Kapitel zeichnet Metzinger ein extrem pessimistisches Bild der Gegenwart. Der Hoffnung, man könne die Klimakrise durch technischen Fortschritt aufhalten, erteilt er eine klare Absage. Insgesamt plädiert er für eine pessimistische Haltung, da Optimismus eine evolutionäre Form des Selbstbelügens sei und nicht zur Lösung der Probleme beitrage.

 

Den Begriff »Bewusstseinskultur« stellt Metzinger im zweiten Kapitel vor: Die eigenen Bewusstseinszustände sollen zunächst ethisch bewertet, wertvolle Zustände daraufhin kultiviert und in einem dritten Schritt in die Gesellschaft eingebettet werden. Der Autor bringt insbesondere zu den wertvollen Bewusstseinszuständen eine Fülle ethischer Fragestellungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen wie der Politik, der künstlichen Intelligenz und der Tierethik vor, die dieses Konzept konkretisieren sollen.

Im dritten Kapitel geht es um Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit. Metzinger untersucht die Veränderung des Glaubens und die daraus resultierenden Folgen für das Bewusstsein von Menschen in der westlichen Welt. Hier finden sich einige merkwürdige Definitionen. So seien Religion und Spiritualität Gegensätze, wobei Religion für den Autor die vorsätzliche Kultivierung eines dogmatischen Wahnsystems ist. Spiritualität dagegen sei eine epistemische, also auf Erkenntnisse bezogene Einstellung, bei der es um Wahrheit und Wissen gehe, was der intellektuellen Redlichkeit entspreche.

Das Werk ist schwer verständlich, besonders in der zweiten Hälfte. Das ist jedoch nicht stilistisch bedingt, sondern liegt an dem hohen Abstraktionsgrad des Konzepts der »Bewusstseinskultur«. Die Theorie eines gesellschaftlichen und kulturellen Rahmens, der unser festgefahrenes und evolutionär bedingtes Denken zum Wohl des Klimas ersetzen soll, ist durchaus interessant. Es erscheint jedoch fraglich, ob eine derart komplexe Theorie geeignet ist, um in einem populärwissenschaftlichen Werk, wie »Bewusstseinskultur« eines sein möchte, vorgestellt zu werden.

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