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»Das ökohumanistische Manifest«: Apokalyptische Aussichten

Der Biologe Pierre Ibisch und Journalist Jörg Sommer haben ein Manifest ausgearbeitet, um der Klimakrise zu entkommen. Dabei mangelt es nicht an radikalen Ideen. Eine Rezension.
Mitglieder von Greenpeace, Fridays for Future und linksradikalen Gruppen haben Ende Oktober 2021 in Lützerath gegen den Kohleabbau protestiert.

Die Welt wird untergehen, weil der Mensch die Natur zerstört – so die im Buch von Pierre Ibisch und Jörg Sommer alle paar Seiten wiederkehrende Drohung. Beide sitzen der Deutschen Umweltstiftung vor. Diese Untergangsvision ist wenig überraschend, sondern momentan in allen Medien präsent.

Genauso wenig ist sie neu. Vielmehr verlängert sie das christliche apokalyptische Denken, das die Offenbarung des Johannes propagiert, eines radikalen kleinasiatischen Wanderpredigers um die erste Jahrhundertwende. Historisch neu entwickelte sich im Christentum die Vorstellung eines finalen Weltenendes. Das darf heute auch mal nur die eigene Zivilisation sein. Aber mit der so genannten Klimakatastrophe hat der apokalyptische Diskurs wieder eine planetarische Dimension erreicht, redet selbst der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, vom Weltuntergang.

Nicht die Nachricht steht im Fokus

Die Intention apokalyptischer Diskurse ist nicht die Nachricht als solche. Vielmehr haben sie einen pädagogischen Sinn, sollen sie die Menschen dazu motivieren, ihr Leben zu ändern, und zwar gemäß Ibisch und Sommer so fundamental wie beim Prediger Johannes. An die Stelle des strafenden Gottes tritt in diesem Fall die Natur beziehungsweise das Ökosystem, das durch die moderne technologisch basierte Ökonomie zerstört wird. Dem Ökosystem wird dabei fast ein personaler Charakter attestiert, als hätte es sich selbst ausgewogen entwickelt, um Leben zu ermöglichen – im Grunde ein pantheistischer Gedanke der Renaissance, wenn Gott in die Natur versetzt wird; beide Autoren betonen auch ihre Nähe zur Spiritualität.

Gleichzeitig lehnen sie die Aufklärung vehement ab. Denn diese hätte wesentlich dazu geführt, dass sich die Menschen als Herren der Natur begreifen und glauben, sie könnten sich von der Naturabhängigkeit befreien. Aber den Krieg gegen die Natur, den die moderne Kultur angefacht habe, werde diese verlieren, weil die Menschheit unabdingbar von den Ökosystemen abhänge, die sie nicht beherrschen, höchstens zerstören könne. Ein klares »Zurück zur Natur« ist daher die »Öko«-Seite des Manifestes.

Die humanistische Seite stellt fest, dass die moderne technologisch-ökonomisch basierte Kultur nur wenigen nutze, dass aber ein gutes Leben für alle Menschen möglich sein solle – natürlich im Einklang mit der Natur. Darin liege das Wesen des Menschen. Daraus ergebe sich auch sein Ziel, nämlich sich der Menschheit unterzuordnen, dieser zu dienen. Die liberalen Freiheiten müssten dazu beschnitten werden.

Ergo müsse man die kapitalistische, auf Wachstum basierende Ökonomie insgesamt aufgeben, ebenso die technologische Entwicklung, die nur noch so weit erlaubt sei, wie sie dem Ökosystem diene. Alle technologischen, ökonomischen, rechtlichen und politischen Bemühungen, die Kultur umweltfreundlicher zu gestalten, verlängerten nur das momentane Wirtschaftssystem und führten trotzdem in den Untergang.

So warnen Ibisch und Sommer vor dem technologischen Wissen – überhaupt vor dem aufgeklärten –, das nur ein Halb- oder Scheinwissen sei, während ihre ökologischen Einsichten natürlich das richtige wissenschaftliche Wissen verkörperten, das nicht hinterfragt werden dürfe.

Wer diese fundamentale Wende der Kulturentwicklung durchführen soll, bleibt offen. Am Ende plädieren die Autoren für eine Basisdemokratie ohne Parteien und Parlamente. Zudem appellieren sie an die Einzelnen, ihr Leben ökohumanistisch zu gestalten: Sie sollen ihr Leben ändern! An den Weltuntergang glauben Apokalyptiker selbst eher selten. Und wohin haben die letzten Revolutionen geführt?

Stellungnahme der Autoren Pierre L. Ibisch und Jörg Sommer

»In den Zeiten der Corona« gibt es Autoren wie den Außerplanmäßigen LMU-Professor für politische Philosophie Hans-Martin Schönherr-Mann, die wider die Medizinisierung und die Ökologisierung der Gesellschaft zu Felde ziehen und zum Widerstand aufrufen. Der Grund ist, dass die vermeintlich drohende Apokalypse zur Furchterregung genutzt werde, um den Staat autoritärer auszugestalten. Die Warnungen aus Medizin und Ökologie vor den konkreten Gefahren, die sich objektiv beschreibbar aus einer Pandemie oder einem historisch einzigartigen Umweltwandel ergeben, werden von Schönherr-Mann seit einiger Zeit und mit wachsender Intensität in der Tradition der christlichen Apokalyptik gesehen. Dies wird u.a. in seinem Text »Corona, Klima, Christentum und Machiavelli. Ein scheiternder Versuch, die Apokalypse zum Lachen zu bringen« deutlich . Der Weltuntergang sei eine religiöse Vision mit pädagogischem Sinn. Nunmehr seien es die modernen Wissenschaften, die die Furchterzeugung als Regierungstechnik beförderten und damit die Untertanen gefügig machten.

Das alles kann man so denken, es muss allerdings deshalb noch lange nicht faktenbasiert sein und in der Tradition der Aufklärung stehen. Es ist offenkundig auch im fortschreitenden 21. Jahrhundert noch möglich, die empirisch und theoretisch schlüssig dargestellte Klimakrise als etwas zu relativieren, was es schon in den Warmzeiten des Mittelalters gegeben habe. Schönherr-Mann tut dies und beweist in seinen Texten, dass er nicht allein die Ergebnisse der Klimawissenschaften ignoriert. Als Universitätsprofessor führt er damit auch den Beweis, dass uns Jahrhunderte der aufklärerischen Wissenschaft nicht automatisch davor bewahren, in Wissensverwirrung zu stürzen.

Wenn Schönherr-Mann sich das »Ökohumanistische Manifest« vornimmt, um in einer Spektrum-Rezension seine Apokalyptik-Thesen auszubreiten, ohne das Buch wohl wirklich gelesen zu haben und indem er falsche Behauptungen aufstellt – wie etwa die Nähe der Autoren zur Spiritualität- sowie Inhalte falsch wiedergibt, werden die Grenzen des faktenbefreiten Frei- und Querdenkens deutlich, die Wissenschaftler nicht ungeniert überschreiten sollten.

Mit der Idee des Ökohumanismus werben wir dafür, die (subjektiv empfindbare) Großartigkeit des Menschseins, unser aller legitimes Streben nach einem guten Leben sowie die Funktionalität der Biosphäre, in der wir leben und der wir stammen, zusammenzudenken. Wir finden es plausibel, dass wir Menschen das in Jahrhunderten mühevoller Wissenschaftsarbeit erworbene Wissen um unsere Evolution und unsere Position im globalen Ökosystem genauso nutzen wie unsere Fähigkeit, die Folgen des menschlichen Arbeitens in eben diesem Ökosystem möglichst objektiv zu erfassen und zu bewerten. Können wir egoistisch bzw. anthropozentrisch auf den Vorteil der Menschheit bedacht sein und gleichzeitig die Begrenztheit der Arbeits- und Belastungsfähigkeit des Ökosystems im Blick haben, welches uns trägt? Wir denken schon. Es muss sogar so sein.

Wir gehen auch davon aus, dass es ein Mut machendes Angebot darstellt, unser Denken auf das menschliche Wohlergehen zu richten. Gefahr droht nur, wenn dabei unser Denken nicht von den unverrückbaren Naturgesetzen und den Beschränkungen unseres Erdsystems ausgeht. Wer dafür plädiert, die Gesetze der Thermodynamik genauso so zu ignorieren wie die vielen Warnzeichen, dass wir das Erdsystem überlasten, mag sich frei fühlen, agiert aber schnell auch verantwortungslos. Noch größer als das Risiko, dem globalen Ökosystem akut zu viel zuzumuten, ist vielleicht jenes, dass wir Menschen uns in diesem Moment des Kontrollverlusts ökosystemvergessen und technologiegläubig als übermächtige Steuerleute aufspielen. Sich die Erde untertan machen zu wollen, an Erlösung aus einer selbstverschuldeten Gemengelage zu glauben und dabei plausible Befunde der Wissenschaft zu ignorieren, steht wohl eher in christlicher Tradition als ein Ökohumanismus, der so aufgeklärt ist, dass sich aus ihm eine Kritik der Aufklärung ergibt.

Welche war noch einmal eine zentrale Errungenschaft der Aufklärung? Richtig, es ging um das sachliche und ergebnisoffene Forschen und Welterklären, ohne dabei Hilfskonstruktionen zu benötigen wie das simple Glauben oder die Dogmen einer wie auch immer ausgerichteten Kirche. Diese Befreiung des Wissens aus der Gefangenschaft der Religion hat uns die modernen Wissenschaften beschert. Diese bieten uns neben dem Instrumentarium zur Auslösung eines globalen Umweltwandels auch etliche wissensbasierte Modelle für eine aktuelle Kosmovision an. Das angehäufte Wissen ist Inspiration, Zumutung und Verpflichtung zugleich. Wenn nun Philosophen wie Schönherr-Mann faktenbasierte Befunde anderer Wissenschaften als politisch-religiöse Pädagogik abtun und gegen »Medizinisierung« oder »Ökologisierung« kämpfen, ohne sich auf die entsprechenden Methoden und Inhalte überhaupt einzulassen, wird es kompliziert.

Wieso ist die Aufklärung zu kritisieren? Nun, eigentlich ist nicht die Aufklärung selbst das Problem, sondern das, was wir »in ihrem Namen« glauben und verbreiten. Die erfolgreichen Wissenschaften haben uns nämlich paradoxerweise Ehrfurcht und Demut vor dem größeren Ganzen abtrainiert und uns eingeflüstert, wir könnten uns über die Gesetze der Natur stellen und im Zweifel mit immer neuer Technologie auch die Grenzen des Wachstums austricksen. Wir haben nicht nur den Respekt vor unserem Wissen verloren, sondern v.a. auch vor unserem Nichtwissen. Ein weiteres Paradoxon macht uns zu schaffen: Das schier explodierende Wissen führt dazu, dass wir als Individuen von Stunde zu Stunde weniger Anteil am Weltwissen haben können. Es fehlen uns schlicht Zeit und Auffassungsgabe, auch nur einen kleinen Teil der sich immerzu erneuernden und erweiternden Information aufzunehmen, geschweige denn angemessen zu interpretieren. So droht ausgerechnet die Wissensgesellschaft, in postbabylonischer Wissensverwirrung zu versinken. Der Kampf um Deutungshoheit wird heftiger. Eine faszinierende Frage ist, ob es nicht nur ein Gesetz des sinkenden Ertrages zusätzlichen Wissens gibt, sondern ob gar eine Wissensüberforderung die Errungenschaften der Aufklärung sukzessive eliminieren könnte. Der Angriff auf das Wissen und die wissensbasierte Verantwortung erfolgt dabei häufig durch Ignoranz im fadenscheinigen Gewand einer einseitig verstandenen Freiheit.

Das wissenschaftliche Wissen mutet uns einiges zu. Manches will man vielleicht gar nicht so genau wissen. Wir können ins tiefe Universum blicken und dabei erkennen, dass unsere Lebenszeit zu kurz ist, um es zu bereisen. Wir sind in der Lage uns vorzustellen, uns in eine andere Galaxie zu evakuieren, während wir gleichzeitig verstehen, dass das globale Ökosystem in diesem lebensfeindlichen Universum das einzige in einem wohl ziemlich weiten Umkreis sein muss. Unser physikalisch-ökologisches und sozialwissenschaftliche Wissen macht plausibel, dass das übertriebene Streben nach Fortschritt und Macht einiger Leid und Armut anderer hervorbringt.

Wir sind also in der Lage zu denken, dass die Freiheit weniger nicht nur Unfreiheit, sondern sogar Vernichtung von Lebensoptionen vieler bedeuten kann. Eine uralte Erkenntnis eigentlich, aber sie erlangte in der »vollen Welt« mit den modernen Technologien, die leicht für eine ungerechte Herrschaft über Ressourcen ausgenutzt werden können, eine neue Brisanz.

Wir können also wissen, dass Wissen allein nicht ausreicht. Denn besser wird es wohl mit Haltung kombiniert. Welche Motivation diese Haltung stützt, ist am Ende unbedeutend, solange sie auf ein »gutes Leben« heutiger wie auch zukünftiger Generationen abzielt und dabei die Bedeutung des Ökosystems nicht vergisst, das uns trägt. Das ist radikal menschenfreundlich und nachhaltig, nicht aber Spinnerei oder machiavellistisch. Spiritualität und Religion können vollauf kompatibel sein mit der ökologisch zu untermauernden Idee, dass das Wirtschaften auf der Grundlage von Werten und Prinzipien erfolgen sollte, die sich an unserer tatsächlichen Rolle orientieren. Das entsprechende Menschenbild ist aber wichtiger als das, was wir glauben. Ein wissensbasiertes, ökohumanistisches Menschenbild ergibt sich zunächst aus dem, was wir sind und bleiben werden: eine zugleich mächtige und abhängige sowie durchaus vulnerable Komponente des globalen Ökosystems.

Ein Ökohumanismus verträgt sich weder mit ignoranzbasierter Fortschrittsgläubigkeit, noch mit verantwortungsloser Freiheitskultur ohne jegliche Erdung. Genausowenig propagiert er Apokalyptik oder Ökodiktatur. Vielmehr steht er dafür, Menschen nicht nach einer äußeren Form oder Erwartung zu bilden, sondern ihnen zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten, »gut« zu sein. Dies wird nicht durch die Ausübung von Macht gelingen oder immer mehr Regeln, sondern dadurch, dass uns Prinzipien leiten, die auf Menschlichkeit beruhen sowie die Liebe zum Leben in allen seinen Erscheinungsformen.

Wir werden wohl noch etwas an unserem Menschenbild arbeiten müssen. Homo sapiens ist nicht immer nur clever, und oftmals tragen ihn seine Emotionen aus den Bahnen der Rationalität. Hiermit ist umzugehen. Wir sind an sich frei, Wissen abzulehnen, um jeden erdenklichen Unsinn zu glauben, zu schreiben oder zu tun, müssen aber dann auch mit den Konsequenzen leben.

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