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Buchkritik zu »Lexikon der Physik (Sonderausgabe)«

Wie hätte ich ohne Physiklexikon mündliche Prüfungen und Praktikumsversuche in letzter Minute effizient vorbereiten können? Ich gestehe: gar nicht. Mitte der achtziger Jahre gehörte ich zu den glücklichen Käufern des seit 1974 in der DDR herausgegebenen zweibändigen »abc«-Fachlexikons Physik: 12000 Stichwörter auf fast 1800 gebundenen Seiten für nicht mal 150 DM.

Lexikonliebhaber werden seit einigen Jahren in große Versuchung geführt, mittlerweile fast fünfhundert Euro für das gebundene sechsbändige »Lexikon der Physik« vom Spektrum Akademischer Verlag auszugeben. Noch-nicht-Lexikonbesitzer stehen nun erneut vor einer Kaufentscheidung, denn das komplette Werk wird jetzt in kartonierter Form für rund die Hälfte des Preises der Hardcover-Edition angeboten.

Das Layout des Buches ist bekanntermaßen eine Augenweide: Drei Spalten pro Seite, die jeweils äußere reserviert für Skizzen, Bildunterschriften, Physiker-Portraits, auch von jenen, die wenig bekannt sind. Wie in einem Reiseführer wird das Auge von Übersicht stiftenden Fettdruck-Stichwörten und Tabellen hin zu im Text platzierten Schemazeichnungen geleitet. Nicht eine Seite ließe sich als Buchstabenwüste kartieren. Die in jedem Band eingefügten Farbtafeln sind allerdings von auffallend schlechter Qualität.

In einem sechsten Ergänzungsband finden sich zusätzliche Begriffe (mit Textverweisen), die als Stichwort nicht vorkommen, jedoch in den Einträgen anderer Stichwörter erwähnt werden. Ein Vergleich mit meinem alten Lexikon erlaubt die Schlussfolgerung, dass viele kleinere Einträge oft wortgleich übernommen wurden, manchmal gekürzt um Textteile mit Formeln (z. B. zum Thema »Reaktionskinetik«), so dass der Blick ins Lehrbuch nicht erspart bleibt. Andere sind aktualisiert; unter »Titius-Bode-Reihe« erfahre ich z. B., dass es mittlerweile besser passende Formeln für die Abstände der Planeten zur Sonne gebe.

Leser, die sich für Physik- und Astronomiegeschichte interessieren, kommen auf ihre Kosten; nützlich ist hierbei für Journalisten, die Gedenkartikel schreiben, die jeweilige Angabe der genauen Geburts- und Sterbedaten. 66 mehrseitige Artikel – verfasst von Fachautoren – sind über die Bände verteilt (über Frauen in der Physik, Stringtheorie, Fraktale, Cluster, Computer, Adaptive Optik...). Üppig sind die Einträge zur Biophysik, ebenso wie zur Geophysik. Eher spärlich erklärt werden Begriffe aus der Quantenoptik (z. B. »gequetschtes Licht«); vermutlich im Hinblick auf das im gleichen Verlag herausgegebene zweibändige Optiklexikon – mittlerweile ebenfalls in preisgünstiger Ausstattung erhältlich. Wissenschaftshistorische und -philosophische Begriffe (z. B. »Äther«, »abgeschlossene Theorie«) sind ebenso präsent wie unerwartet ausführliche Beschreibungen von »Werkstoffen« wie Blut und Beton, Cholesterin und Kautschuk.

Hie und da fehlte mir Wichtiges. Beim politisch aktuellen Begriff »Elektrosmog« z. B. wird zwar die »kontroverse Diskussion« erwähnt, jedoch fehlt der Hinweis auf die Möglichkeit resonanter Wechselwirkungen von Strahlung niedriger Intensität mit biologischen Systemen.

Die größte Schwachstelle dieser Sonderedition auf hochwertigem Papier ist der steife Buchrücken mit Klebebindung. Buchrückenknicke sind nicht zu vermeiden und werden – so fürchte ich – das Lexikon bei häufigem Gebrauch in einigen Jahren destabilisieren, falls nicht ein besonders innovativer Buchleim verwendet wurde. Doch einen Grund, die gebundene Hardcover-Edition zu kaufen, muss es schließlich weiterhin geben, so vielleicht das Kalkül der Marktstrategen. Lexikonliebhabern wird dadurch die Entscheidung nicht leichter fallen.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 3/2004

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