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Als Reisen noch ein Abenteuer war

Dieses Buch versammelt Reiseeindrücke bekannter Personen aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

Während wir bis zum Beginn der Corona-Krise weitgehend mühelos, rasch und durchorganisiert an nahezu jeden Punkt der Erde reisen konnten, dafür aber kaum noch echte Abenteuer erlebten oder neue Entdeckungen machten, war vor 100 Jahren eine Reise in ferne Länder ein gefahrvolles Unterfangen ohne Netz und sicheren Halt. Manche Reisenden kehrten mit Schiffsladungen an Fundstücken und dem Kopf voller Erkenntnisse zurück, andere nur geschunden an Körper, Seele und Geist und dem Lebensende nah.

In diesem Buch breitet der Reiseschriftsteller Rolf Neuhaus anhand von Tagebüchern, Reiseerinnerungen und sonstigen Aufzeichnungen die Erfahrungen von mehr oder weniger bekannten Personen aus. Zu Wort kommen die Schriftsteller und Poeten Arthur Rimbaud, André Gide, Hermann Hesse, Gustave Flaubert, die Naturforscher Alexander von Humboldt, Carsten Niebuhr und Heinrich Barth, der Maler Paul Gauguin sowie die Ethnologen Bronislaw Malinowski und Claude Lévi-Strauss. Ihre Reisen und Exkursionen umspannten den Erdball, von Afrika zum Vorderen Orient, Indien, Südamerika bis zur vermeintlichen Idylle Südsee.

Land der Träume

Ophir ist, wie der Autor anfangs erläutert, das »ferne verlockende Land im Süden, das geheimnisvolle Land des Alten Testaments, aus dem König Salomo Gold für seine Prachtbauten in Jerusalem bezog«. Kolumbus glaubte Ophir in »der Südwestecke Haitis« zu erspähen, Álvaro des Mendaña stieß in der Südsee auf die Salomon-Inseln, »die er so nannte, weil er in ihnen Ophir sah«. Das sagenumwobene Land ließ sich in Platons Atlantis verorten oder auch in Eldorado, das die Konquistadoren vergeblich in Amerika suchten, wobei sie Berge von Leichen hinterließen. Es ist aber auch »das Land, wohin die Träume segeln«.

Die im Buch versammelten Autoren suchten in der Ferne das große Glück, erkundeten und vermaßen ferne Länder und entflohen nicht selten nur dem Verdruss der eigenen Heimat. In ihren Erlebnissen beschrieben sie Anstrengungen, Krankheiten, Gefahren, auch die Fremdheit anderer Kulturen, empfunden etwa von den Ethnologen Malinowski und Lévi-Strauss, weil sie sich kaum mit den Eingeborenen verständigen konnten. Geschildert werden zudem die grauenvollen Versuche, vermeintlich »Wilde« mit Folter und Massakern gefügig zu machen – so etwa von Gide in seinen Reisebeschreibungen aus dem Kongo, in die Neuhaus verschiedene Passagen aus dem Roman »Herz der Finsternis« von Joseph Conrad einflicht, ebenso wie in Texten der später in den Kongo reisenden Völkerkundler sowie des Schriftstellers Graham Greene.

»Dieses Buch haben zuallererst dessen Protagonisten geschrieben«, formuliert Neuhaus in der Nachbemerkung. »Der als Autor (…) firmierende Verfasser hat nicht sehr viel mehr getan, als die Aufzeichnungen seiner Protagonisten zu kurzen Porträts und Reisegeschichten zu verdichten.« Genau hier liegt ein Manko des Buchs. Indem Neuhaus aus Aufzeichnungen, die im Original häufig umfangreiche Bücher füllen, Sätze herausreißt, oft zusammenhanglos hintereinanderfügt und nicht als Zitate kenntlich macht, sondern sie nur paraphrasiert, entsteht beim Lesen ein gehetzter Eindruck. Mitten im Absatz sind Autoren plötzlich an einem ganz anderen Ort, bei einem ganz anderen Thema, mit einer völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Beschreibung. Die Schilderungen wechseln in kurzem Takt von einem unbekannten Ort zum nächsten und hinterlassen keine bleibenden Bilder oder gar Traumvisionen. Als Leser ist man schnell erschlagen von der Vielfalt und lechzt nach echtem Eindruck. Nach der Lektüre eines Kapitels kann man sich ein zweites kaum noch zumuten. Ratlos macht es, wenn – was häufig geschieht – ein Kapitel einfach unmotiviert und ohne ersichtlichen Grund abbricht.

Die Protagonisten des Buchs selbst bleiben blass, ihre zusammengewürfelten Aufzeichnungen reichen nicht für echte Eindrücke. Wer die Personen und ihre Bedeutung nicht kennt, bekommt dies in dem Werk auch nicht vermittelt. Mag der Verfasser die benutzten Quellen auch alphabetisch aufführen, seinem Buch hätten kurze Porträts der Reisenden und ihres Einflusses auf Naturforschung, Kultur und Literatur besser getan. Daran mangelt es vollkommen. Wem Arthur Rimbaud und seine Lyrik nicht vertraut sind, etwa »Le Bateau ivre« (Das trunkene Schiff) oder »Une saison en enfer« (Eine Zeit in der Hölle), erfasst auch nicht dessen Bedeutung für die französische Literatur und die Weltliteratur bis hin zu Bob Dylan. Das gilt gleichermaßen für die anderen Reisenden.

Das mit eindrucksvollen Kunstdrucken aus dem Bildarchiv akg-images gestaltete Buch genügt allenfalls als Anregung, sich mit den Protagonisten und ihren Reisen zu befassen. Als eine »Geschichte des Reisens über einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten« kann es nicht bezeichnet werden.

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