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Wabernder Gedankenstrom

Auch nach der Lektüre von Damasios »Wie wir denken, wie wir fühlen« bleibt das Bewusstsein rätselhaft.

Was hat es mit den Bildern in meinem Kopf auf sich? Warum fühlen wir? Und was heißt das eigentlich, bewusst zu sein? Das alles sind Fragen, die schon antike Philosophen vergeblich zu knacken versuchten. In einer Zeit, in der viele Menschen danach streben, sich selbst möglichst vollständig zu entschlüsseln, sind sie aktueller denn je geworden.

Antonio Damasios neuestes Buch verspricht, auf weniger als 200 Seiten das menschliche Bewusstsein zu enträtseln. Zunächst tastet sich der Autor gemächlich von der verborgenen Intelligenz der Bakterien bis hin zum menschlichen Geist vor. Trotzdem verlangt die Lektüre Konzentration, denn zentrale Begriffe versieht er mit eigenen abgewandelten Definitionen: So versteht er unter »spüren« die »Wahrnehmung einer Gegenwart«, ohne dass diese erfasst wird; ein »Geist« besteht aus dem unaufhörlichen Strom von Bildern im Kopf und ist nicht automatisch bewusst.

Der portugiesische Neurowissenschaftler baut seine Bewusstseinstheorie in sich schlüssig auf. Dass man ihr trotz seiner ausschweifenden Erklärungen folgen kann, mag vor allem daran liegen, dass er die in vorherigen Kapiteln etablierten Definitionen und Zusammenhänge andauernd wiederholt. Viele Pfeiler seiner These gibt er gebündelt im Epilog wieder. Wer an der reinen Idee Damasios interessiert ist, ohne sie aus den Ausschmückungen und inhaltlichen Wiederholungen mühsam herauslesen zu müssen, könnte auch direkt die letzten sieben Seiten des Buchs lesen und danach zum Kapitel über das Bewusstsein springen.

Bewusstsein als Mix an Bildern und Gefühlen

»Wie wir denken, wie wir fühlen« ist kein konventionelles Sachbuch für interessierte Laien. Vielmehr liest es sich wie Damasios These zur Entstehung und zum Aufbau von Bewusstsein. Laut Autor sind wir »aufgeblähten Vorstellungen für das, was das Bewusstsein sein sollte«, erlegen. Seine Erklärung ist dagegen schlicht: Bewusstsein ist ein individuelles Gemisch aus diversen Bildern und Gefühlen. Eine These, die er weder aus der Perspektive verschiedener Fachrichtungen beleuchtet noch kritisch hinterfragt. Hin und wieder tauchen zwar Fußnoten auf, allerdings führen sie in ein unübersichtliches Literaturverzeichnis, das viele Arbeiten von Damasio selbst enthält.

Die neuroanatomischen Grundlagen seines Konstrukts handelt der Hirnforscher knapp auf den letzten Seiten ab. Das ist schade, denn seine These bräuchte dringend eine empirische Basis. Ohne eine Einordnung in den aktuellen Forschungsstand bleibt offen, welche Teile des Buchs auf einem reinen Gedankenexperiment Damasios fußen. Zudem ist es für Laien nicht ersichtlich, welche seiner Aussagen in der Bewusstseinsforschung anerkannt sind und welche kontrovers diskutiert werden müssten. Auch wenn die Theorie in sich geschlossen scheint, auch wenn sie gut recherchiert und wissenschaftlich korrekt sein mag: Ohne ein erklärendes wissenschaftliches Fundament bleibt das Werk für die Leserinnen und Leser wenig greifbar.

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