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Brandys Bettgeschichten

Als frischgebackene Psychologin eröffnet Brandy Dunn, eine hübsche, junge Frau mit verdächtig vollen Lippen, in Manhattan eine Praxis für Sexualtherapie. Erstaunt stellt sie fest, dass sich fast ausschließlich Männer auf ihrer Couch niederlassen. Und diese leiden nicht nur unter sexuellen Funktionsstörungen, sondern ebenso häufig unter neurotischen Verstrickungen ihres Liebeslebens, wie sie für eine Woody-Allen-Figur typisch wären.

Vergebens wartet der Leser auf die klassische Sexualtherapie, die man hier zu Lande zum Beispiel bei Erektionsstörungen praktiziert. Stattdessen ergründet Dunn mitfühlend die tiefere Bedeutung der Symptome ihrer Patienten. Schwierigkeiten rund ums Bett spiegeln der Autorin zufolge nämlich stets Probleme in Beziehungen wider, sei es zu den Eltern, zu einer bestimmten Frau oder zum weiblichen Geschlecht im Allgemeinen.

Für Dunn ist Sex nie einfach nur Sex. Vielmehr verbergen sich dahinter immer irgendwelche Bedürfnisse, Unsicherheiten oder eine tiefe Sehnsucht nach Liebe. Und egal wie sehr sich die Männer zunächst dagegen sträuben, gelingt es ihr anscheinend ein ums andere Mal, ihnen derlei Motive zu entlocken.

Da verkündet ein Patient in der ersten Sitzung ohne Umschweife: "Ich will unverbindlichen Sex", und ein anderer stellt sich jede Frau, der er begegnet, nackt vor. Doch schon ein paar Zeilen weiter gibt er zu, dass er sich ja eigentlich nur einsam und traurig fühlt. "Weil Sie Ihren Gefühlen aus dem Weg gehen, kommt Ihre Sehnsucht nach einer Beziehung zu einer Frau als sexuelle Phantasie zum Ausdruck" – solche Analysen finden sich zuhauf, und das wird irgendwann langweilig.

Man kann der Psychologin nicht vorwerfen, dass sie sich in einem positiven Licht darstellen will, im Gegenteil. Ihre schonungslose Selbstoffenbarung lässt sie durchweg sympathisch erscheinen. Dunn schildert, wie sie in ihrer Therapeutenrolle oft um Professionalität ringt: Sie kämpft während der Sitzungen mit ihren emotionalen Reaktionen oder verknüpft die Inhalte der Therapie mit ihrem eigenen Liebesleben.

Schließlich berichtet sie sogar vom größten Tabu in der therapeutischen Beziehung: Sie verliebt sich in einen Patienten, einen "ganz und gar durchschnittlichen Mann". Dieser hadert mit seinen sadomasochistischen Neigungen (die natürlich schnell abnehmen, als sie ihm den zu Grunde liegenden Konflikt vor Augen führt: eine in der Kindheit wurzelnde gehemmte Aggressivität gegenüber Frauen). Nachdem der Patient ihr seine Liebe gesteht, schickt sie ihn lehrbuchkonform zu einem Kollegen. Doch offenbar finden sich die beiden später wieder. Denn im Schlusswort steht zwischen den Zeilen, dass sie heute glücklich verheiratet sind.

Über das Geheimnis ihrer Beziehung hätte man natürlich gerne mehr gewusst! Stattdessen lässt Dunn uns ausführlicher als nötig an ihrem vorherigen Liebesleben teilhaben. Dieser zweite, private Handlungsstrang handelt vom Katz-und-Maus-Spiel mit einem beziehungsunfähigen Mann, mit dem sie zwar eine starke sexuelle Anziehungskraft verbindet, der sie aber immer wieder verletzt, indem er mit anderen Frauen flirtet. Und der schließlich auf Distanz geht, als sie zu ihm ziehen will.

Nun wäre es spannend gewesen, wenn Dunn ihre analytischen Fähigkeiten auf ihre eigene Beziehung angewendet hätte. Welches Problem verbirgt sich hinter dem Verhalten ihres Partners? Und warum gelingt es ihr in diesem Fall nicht, seine "wahren" Bedürfnisse offenzulegen und in andere Bahnen zu lenken?

In eigener Sache scheint ihr Blick verstellt – auch Psychologen bedürfen wohl manchmal professioneller Hilfe. Wie hätte ein anderer Therapeut das Verhalten ihres Partners und ihre neurotische Verstrickung gedeutet? Sollte sie diese Frage eines Tages beantworten können, wäre das eine ergänzte Neuauflage wert.

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  • Quellen
Gehirn & Geist 9/2012

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