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Endlich Zeit zu leben

Immer schneller rasen viele Menschen durch ihr Leben – und sehen immer weniger Sinn darin. Oder eilen sie so schnell, um zu vergessen, dass ihnen ihr Leben sinnlos erscheint? Stressbewältigung durch Achtsamkeit ist angesagt, schreiben Cornelia Löhmer und Rüdiger Standhardt, die gemeinsam das Giessener Forum-Ausbildungsinstitut leiten. Seit 1998 haben dort über 1500 Stressgeplagte gelernt, besser mit ihrem Leben zurechtzukommen.

In "Timeout statt Burnout: Einübung in die Lebenskunst der Achtsamkeit" geht es vor allem um achtsames Innehalten und Entspannung, um achtsame Körperwahrnehmung und -bewegungen und um achtsames Sitzen und Gehen. Diese Form der Stressbewältigung (Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR) wurde in den 1970er-Jahren von dem Molekularbiologen Jon-Kabat Zinn entwickelt. Sich in der Lebenskunst der Achtsamkeit zu üben, heißt zu lernen, sich selbst wieder zuzuhören. Wenn Gedanken und Gefühle entstehen, ignoriert man diese nicht. Man unterdrückt sie auch nicht oder analysiert oder beurteilt sie. Die umfassende Wahrnehmung der eigenen Gedanken führt dazu, dass man sich weniger in ihnen verstrickt und sie aus einem gewissen Abstand betrachtet.

Dieser grundlegende Perspektivwechsel kann sich nur allmählich vollziehen. Er muss durch wiederholtes Training erlernt werden. Praxisbezogen und verständlich stellen Löhmer und Standhardt Übungen dar. Eine CD, in der eine beruhigende Stimme hilft, sich zu entspannen, ist dem Buch beigefügt. In langsamen Rhythmen sieht man hierzu bunte Formen aufleuchten. Doch man kann auch die Augen verschließen. Denn es ist eher der Blick in das Innere, der beruhigt. Ein Tagebuch, in dem man seine Gedanken über den kollektiven Wahnsinn des Getriebenseins, über den Sinn des Lebens und vieles mehr aufschreibt, verstärkt die Wirkung.

Man müsse sich eine Auszeit nehmen für sich selbst, wenn einem alles zu viel werde, schreiben Löhmer und Standhardt. Ist das nicht das Natürlichste der Welt? Doch so natürlich ist das in der Welt, in der wir leben, wohl nicht mehr. Die Autoren räumen selbst ein, dass der enorme Zeit- und Leistungsdruck dazu verführt, Bedürfnisse und Warnsignale des eigenen Körpers zu missachten. Schließlich muss man mithalten in einer Arbeitswelt, die immer schneller wird. Nicht im Strom der anderen mitzuschwimmen kann Versetzung oder gar Entlassung bedeuten. Ob der Rat der Autoren tatsächlich immer clever ist, seinen Vorgesetzten mit Gesprächen oder gar "Prioritätenlisten" zu nerven, aus der die eigene Überlastung hervorgeht, darf allerdings bezweifelt werden.

Wie Recht haben jedoch Löhmer und Standhardt mit ihrer Auffassung, dass man sich selbst der Nächste sein sollte! Es macht wenig Sinn zu arbeiten bis zum Umfallen. Nur wenige sind da, die helfen, wenn man durch ständige Überforderung schließlich chronisch krank geworden ist. Dies gilt nicht nur für das Berufsleben. Auch in der Freizeit ist Stille angesagt – eine "mußevolle Beschäftigung" und eben kein Fitnessprogramm, in dem man sich selbst beweisen muss, wie schnell man ist. Kein Fernsehen oder Zeitungen, in denen man die neuesten Hiobsbotschaften aus aller Welt erfährt, kein Einkaufen, keine Garten- oder Hausarbeit, keine Telefonate – einfach nichts anderes als wohltuende Ruhe.

Es geht auch um Dankbarkeit für das, was man im Leben erhalten hat, um Freude, Humor und Optimismus. Diese Veränderung der eigenen Einstellung gelingt nicht von heute auf morgen. Aber dies wird auch nicht gefordert. Schließlich brauche man seine eigenen Gefühle – auch die negativen – nicht zu unterdrücken, so die Autoren in ihrem praxisnahen und verständlichen Buch, mit dem man sich in unserer hektischen und leistungsorientierten Gesellschaft eine Oase der Muße schaffen kann. Beherzigten alle Menschen die Tipps der Autoren, würde sich das Bild unserer Gesellschaft grundlegend verändern.

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