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Haare: Was wir über Bärte wissen - und was nicht

Der Weihnachtsmann ohne weißen Rauschebart? Kann man sich kaum vorstellen. Doch warum wächst Männern das Haar im Gesicht überhaupt? Ein paar Fakten.
Weihnachtsmann mit Bart

Charles Darwin war vom männlichen Gesichtshaar fasziniert. "Es scheint, als sei der Bart für unsere affenähnlichen Vorfahren ein Ornament gewesen, mit dem die Männchen versuchten, die Weibchen zu bezaubern oder zu erregen", schrieb der Evolutionsbiologe in "Die Abstammung des Menschen" (1871). Er wusste aber aus Berichten, dass der Bartwuchs der Männer weltweit sehr verschieden ausfällt. "Bei den Einheimischen Ceylons fehlen sie häufig", schrieb er. "Jenseits von Indien verschwinden Bärte, zum Beispiel bei den Siamesen, Malaien, Kalmücken, Chinesen und Japanern. Dagegen sind die Ainos, die auf den nördlichsten Inseln des japanischen Archipels leben, die haarigsten Männer der Welt."

Wie kamen diese Unterschiede zu Stande? Darwin spekulierte, dass sie die Konsequenz einer sexuellen Auslese sein mussten. Frauen in verschiedenen Teilen der Welt mussten Bärte unterschiedlich attraktiv finden. Nur so konnten sich unterschiedliche Bartstärken über viele Generation entwickeln. Dass Hormone den Bartwuchs steuern, zeigte sich erst 80 Jahre später. Im Jahr 1949 berichtete die Gerontologin Margaret Chieffi vom Washington University Medical Center, dass bei Männern der Bart verstärkt zu sprießen beginnt, wenn man ihnen das Geschlechtshormon Testosteron injiziert. Bald aber wurde klar, dass Testosteron allein noch keinen Bart macht.

Hipster mit Bart | Steht der Bart für Attraktivität und Männlichkeit? Die Studien ergeben kein eindeutiges Bild.

Zusammenspiel von Hormonen und Genen

Die Zwillingsstudien von James B. Hamilton aus dem Jahr 1958 legten nahe, dass die Gene in den Zellen der Gesichtshaut eine große Rolle spielen mussten. Für seine Experimente verglich der Anatom von der State University of New York (weiße) Zwillinge und Brüderpaare aus den USA sowie Japaner. Er rasierte alle Männer, wartete 24 Stunden, rasierte sie noch mal und wog dann die Stoppeln. Das Ergebnis: Wie erwartet hatten die Japaner insgesamt sehr viel schwächeren Bartwuchs als die Amerikaner. In beiden Kulturen aber hatten eineiige Zwillinge nahezu identischen Bartwuchs, sowohl in der Menge, der Dichte als auch der Verteilung der Barthaare. Unter nicht identischen Zwillingen und Brüderpaaren waren diese Barteigenschaften dagegen sehr viel variabler.

Aus diesen Beobachtungen schloss Hamilton, "dass genetische Faktoren einen viel stärkeren Einfluss" auf den Bartwuchs haben "als die Konzentration von männlichen Geschlechtshormonen im Blut". Denn Unterschiede in der Testosteronkonzentration zwischen Männern verschiedener Kulturen waren nicht bekannt. Hamilton sollte Recht behalten. Im Lauf der 1970er Jahre zeichnete sich ab, dass nicht das Testosteron selbst die Haarfollikel der Gesichtshaut dazu anregt, Barthaare auszutreiben, sondern das Stoffwechselprodukt Dihydro-Testosteron. In der Gesichtshaut von Männern mit sattem Bart wird das verfügbare Testosteron einfach in größeren Mengen in Dihydro-Testosteron verwandelt.

Wie viel Bart ein Mann im Vergleich zu anderen trägt, sagt also nichts darüber aus, wie viel Testosteron er im Blut hat. Wie Margaret Chieffis Experimente aber gezeigt hatten, kann Testosteron bei ein und demselben Mann den Bartwuchs anregen. Ein anonymer Forscher stellte deshalb im Jahr 1970 die These auf, der Bart könne bei sexuell ausgehungerten Männern stärker wachsen. In einem Brief an das Fachmagazin "Nature" schrieb er: "Während der vergangenen zwei Jahre habe ich mehrere Wochen auf einer abgelegenen Insel in isolierter Lage verbringen müssen. Unter diesen Bedingungen bemerkte ich, dass mein Bartwuchs nachließ. Aber am Tag bevor ich die Insel verlassen sollte, nahm er wieder zu, und zwar um ungewöhnlich hohe Raten. Fasziniert von diesen ersten Beobachtungen, habe ich eine detailliertere Studie an mir durchgeführt und bin zu dem Schluss gekommen, dass vermehrter Bartwuchs mit der Wiederaufnahme der sexuellen Aktivität zusammenhängt."

Bärte machen Eindruck

"Leider hat bisher niemand das Experiment in großem Stil wiederholt", sagt Barnaby Dixson von der School of Psychology der University of Queensland in Brisbane. Der Evolutionspsychologe gehört heute zu den Vorreitern der Bartforschung. Einen unerwarteten Hinweis auf die Funktion des Barts lieferte eine Studie, die Dixson im Jahr 2012 mit seinem Kollegen Paul Vasey von der University of Lethbridge (Kanada) im Journal "Behavioural Ecology" veröffentlichte. Für die Studie fotografierten die Forscher zehn Neuseeländer und neun Samoaner, jeweils mit Vollbart sowie frisch rasiert mit jeweils drei verschiedenen Gesichtsausdrücken: lächelnd, neutral und aggressiv. Dann ließen sie 129 weiße Frauen aus Neuseeland und 100 Ureinwohnerinnen aus Samoa die Attraktivität der lächelnden Männer bewerten. Die Damen waren sich einig: Frisch rasierte Männer empfanden sie durchgehend als attraktiver. Klar ist also, dass Frauen Bärte auch in Kulturen mit starkem Bartwuchs nicht grundsätzlich attraktiver finden, wie es Darwin angenommen hatte.
Wikinger | Wikinger – die bärtigen Nordmänner gelten als Inbegriff mutiger Seefahrer und aggressiver Krieger. Hatte der Bart etwas damit zu tun?

Wie aber konnten sich Bärte in diesen Kulturen dann halten? Eine Antwort deutete sich im zweiten Teil der Studie an. Darin zeigten Dixson und Vasey 111 Männern aus Neuseeland und 119 Samoanern die Bilder mit den aggressiv dreinschauenden Männern. Wieder waren sich die Vertreter beider Kulturen einig: "Die Gesichter empfanden sie durchgehend als aggressiver, wenn diese einen Bart hatten", schildert Dixson; ein Ergebnis, das in späteren Studien mit anderen Kulturen und mit Frauen als Betrachterinnen repliziert wurde. "Gesichert ist: Mit Bärten werden Männer als aggressiver, maskuliner und dominanter bewertet", sagt Dixson.

Mehr Männer, mehr Bärte

Ist Darwins Hypothese von der Attraktivität des Barts also falsch? Nur teilweise, so der Forscher. "Zwar bewerten Frauen in den meisten Studien Bärte als weniger attraktiv, doch es gibt Ausnahmen." Zum Beispiel in Umgebungen, in denen viele Männer auf engem Raum um Dominanz konkurrieren. Das jedenfalls lässt eine weitere Studie von Dixson vermuten, die im November 2017 im Fachjournal "Evolution and Human Behaviour" erschien, diesmal durch eine Kollaboration mit der Gruppe des Evolutionsbiologen Robert Brookes von der University of New South Wales in Sydney.

In der Studie analysierten die Wissenschaftler aktuelle Bilder von Männern aus 37 Ländern, und zwar je 100 aus der größten und der drittgrößten Stadt jedes Landes. Die Bilder gewannen sie aus einer Profilsuche auf Facebook nach Männern im Alter zwischen 25 und 40. Aus den Ergebnissen wählten sie die Profilbilder der jeweils ersten 100 Männer, deren Gesicht gut erkennbar war. Zwar ergibt eine Facebooksuche keine repräsentative Auswahl (niemand weiß, welche Profile nach oben gespült werden). Aber es ist plausibel anzunehmen, dass der Suchalgorithmus sich für Bärte nicht interessiert. Zumindest waren die Reviewer des angesehen Journals einverstanden mit der Methode.

Als die Forscher nun den Grad der Gesichtsbehaarung in den Profilbildern analysierten, zeigte sich eine klare Tendenz: je größer die Stadt, desto mehr Bart war zu sehen. Außerdem lagen die Städte mit hohem Vollbartanteil eher in Regionen mit hoher Lebenserwartung, aber geringem durchschnittlichem Einkommen (man denke: Berlin). "Der stereotype Hipster spricht hier deutlich aus den Daten", sagt Dixson. Außerdem sei aus anderen Studien bekannt, dass Frauen, die in Städten wie Berlin, New York, Sydney oder London wohnen, Männer mit Bärten tendenziell attraktiver finden als Frauen aus kleineren Städten. Deshalb hält Dixson Bärte für ein Dominanzsignal, das in Umgebungen zunimmt, in denen Männer verstärkt um Machtfülle rangeln.

Der Bart ist ein Bluff

Warum signalisiert ein Bart überhaupt Dominanz? Verleiht er etwa einen Vorteil, wenn es zu einem Kampf kommt? Es gibt eine These von Caroline Blanchard, der zufolge der Bart eine Art Kieferschutz sein könnte. Das testete Dixson kürzlich gemeinsam seinem Kollegen Michael Kasumovic, ebenfalls von der University of New South Wales. Dazu analysierten sie alle Kämpfe der Ultimate Fighting Championship (UFC) zwischen 2007 und 2015 auf Hinweise, ob Kämpfer mit Bart einen Vorteil gegenüber weniger behaarten Gegnern hatten. In die Analyse gingen mehrere körperliche Eigenschaften der Kampfsportler ein, darunter die Reichweite, der Stand, die Größe, das Gewicht und der Bart. Am Ende stand fest: Der Bart bringt beim Kampf überhaupt nichts. Die Zahl der K.-o.-Niederlagen, die die Kämpfer erlitten hatten, war nicht mit der Bartlänge korreliert. Der Bart sei "ein unehrliches Signal der Überlegenheit", schließen die Autoren im Fachmagazin "Evolution and Human Behaviour" vom November 2017.

Oder gibt es vielleicht doch versteckte Hinweise? Dixson vermutet, Bärte würden das wahre Ausmaß der Körperkraft verbergen. Denn zumindest die Ausprägung der typisch männlichen Gesichtszüge, der Stirnwülste, Wangen- und Kieferknochen ist mit der Kraft im Oberkörper korreliert. Ein Vollbart verbirgt den Kieferknochen und lässt den Gegner so ein wenig im Unklaren über die zu erwartende Schlagkraft des Gegners. Eine Studie, die genau das zeige, sei bereits fertig, sagt Dixson, aber noch nicht veröffentlicht.

Antibakterieller Schutz

Der Vollbart hilft also höchstens als Bluff gegen menschliche Gegner. Doch womöglich schützt er Männer gegen andere Angriffe. Wie etwa eine Studie aus dem Jahr 2014 im "Journal of Hospital Infection" zeigte, sind Pfleger ohne Bart häufiger von Infektionen mit Bakterien betroffen, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Das könnte an kleinen Verletzungen beim Rasieren liegen. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Bakterien, die in einem Vollbart leben, ein Milieu erzeugen, das für bestimmte andere Bakterien schädlich ist. Allerdings wurde die Studie nur sechsmal zitiert, und die Arbeitsgruppe hat die Beobachtung nicht weiter verfolgt.

Dann wenigstens Sonnenschutz?

Klar dagegen ist, dass Bärte ein wenig Schutz gegen UV-Strahlung bieten. Das zeigte eine Studie aus dem Jahr 2012 im Fachmagazin "Journal Protection Dosimetry". Zu dem Ergebnis war die Arbeitsgruppe von der University of Southern Queensland in Toowoomba mit einem ungewöhnlichen Versuchsaufbau gekommen: Sie beklebten die Kinne von drei Modepuppen mit UV-Sensoren und banden ihnen einen Kunstbart um. Dann setzen sie die Puppen auf eine rotierende Plattform in die pralle Sonne und maßen die Menge an UV-Licht, die verschiedene Gesichtspartien durch das Barthaar hindurch erreichte. Tatsächlich schützte der Bart bei flachen Winkeln ein wenig gegen das UV-Licht, bei senkrechtem Sonnenlicht dagegen fast gar nicht.

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