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Neuroimplantate: Auf Knopfdruck Glück?

Mit Elektroden im Gehirn können Mediziner schwer Depressiven Linderung verschaffen – Kritiker befürchten einen Missbrauch des Prinzips bei Gesunden
Wenn eine Frau ihrem Arzt erzählt, sie habe Lust, mal wieder kegeln zu gehen, so ist das nichts Ungewöhnliches. Kommt die Bemerkung jedoch von einer älteren Dame, die seit ihrem 21. Lebensjahr unter schweren Depressionen leidet, sieht die Sache etwas anders aus. Die Patientin gehört zu den ersten Teilnehmern einer Pilotstudie der Universitätskliniken Köln und Bonn, bei der therapieresistente Depressive mit so genannter Tiefenhirnstimulation behandelt werden: In einer Operation wurden ihr zwei feine Elektroden in eine haselnussgroße Hirnregion eingeführt, die als zentrale Informationsstelle des Belohnungssystems gilt. .

Was der therapieresistenten Patientin geholfen hat, wurde zunächst als Nebenwirkung der Parkinsonbehandlung mit Neuroimplantaten bekannt. Es zeigte sich, dass die Elektroden, die Bewegungsstörungen lindern, auch Emotionen beeinflussen können – unter den inzwischen tausenden Parkinsonpatienten mit Implantat verhielten sich manche während der Stimulation auffallend fröhlich. Dass sich eine einstige Nebenwirkung so zur Therapie mausert, ist ein Glücksfall. Tanja Krämer, Philosophin und freie Wissenschaftsjournalistin in Bremen, berichtet im Septemberheft von Spektrum der Wissenschaft jedoch auch von Befürchtungen, die mit solchen Therapieansätzen einhergehen. .

Ethiker sehen Entwicklungen wie diese – vor allem mit Blick auf die Vision möglicher Neurochips im Gehirn – mit gemischten Gefühlen, zumal Zukunftsforscher mehr als nur therapeutische Anwendungen erwarten. Die Technisierung des Körpers würde unser gesamtes Welt- und Menschenbild gründlich verändern. In Los Angeles forscht der Wissenschaftler Theodore Berger an einem Elektrochip, der Alzheimerkranken die Erinnerungsfähigkeit zurückgeben soll. Momentan ist er über erste Tests an Rattenhirnen in Kulturschalen noch nicht hinaus. Das US-Militär findet die Arbeit aber schon jetzt so interessant, dass es sie von der zentralen Forschungsagentur des Pentagon in Millionenhöhe fördern lässt. Die Symbiose von Mensch und Maschine gilt besonders für Kriegsszenarios als zukunftsträchtige Technik. Piloten sollen irgendwann ihre Kampfflugzeuge mit Hilfe von Neurochips kraft der Gedanken steuern können. .

Doch wie verändert sich eine Gesellschaft, wenn Studenten eines Tages mit „Brainchips“ die eigene Denkfähigkeit verbessern oder Werbedesigner per Knopfdruck ihre Kreativität steigern? „Die Gesellschaft könnte in Verbesserte und Nicht-Verbesserte zerfallen“, sagt Armin Grunwald, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe, im Spektrum-Interview. Denn „Verbesserung durch ein Neuroimplantat wird sich nicht jeder Gesunde leisten können.“ Trotzdem sieht er kein ethisches K.-o.-Argument, eine Technisierung des menschlichen Körpers zu verhindern. „Wir werden damit umzugehen haben“, meint der Wissenschaftler. .

Dass die Hemmschwelle auch für gesunde Zivilpersonen schnell sinken könnte, lässt ein Implantat befürchten, das in Europa gegen bestimmte Formen der Epilepsie eingesetzt wird und in den USA seit 2005 als ergänzende Behandlung für schwere Depressionen zugelassen ist. Es erfordert keine Elektroden im Gehirn selbst, sondern reizt den Vagusnerv, der seitlich am Hals entlang verläuft. Das medizinische Risiko der Operation ist damit geringer als bei der Tiefenhirnstimulation. Was jedoch die Folgen betrifft, die eine Verbreitung der Technologie unter Gesunden haben könnte – da bleibt einem vor allem der Satz im Gedächtnis, den eine französische Parkinson-Patientin über die emotionale Beeinflussung durch ihr Implantat gesagt hat: Wenn die Tiefenhirnstimulation ausgeschaltet ist, „bin ich tot. Ist sie an, lebe ich“.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, 9/2007
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