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Gene und Sport: Einmarsch der Gen-Athleten

Große Erfolge verdanken Sportler oft auch ihren speziellen Genen. Mit Handicaps und genetischen "Upgrades" werden wir gegensteuern müssen, meinen Juan Enriquez und Steve Gullans.
Hürdenläufer

Olympioniken rennen schneller, springen höher und werfen weiter als der Ottonormalsportler. Dahinter steckt gewiss jede Menge hartes Training, aber vielleicht hilft ihnen auch ein Effekt, den sie sich nicht erarbeitet haben: die besseren Gene. Weltklasseathleten bringen von Natur aus eine Minimalausstattung "leistungssteigender Gene" mit, das zeigen immer mehr Studien.

Beispielsweise trägt nahezu jeder bisher getestete männliche Olympiasprinter und -kraftsportler das 577R-Allel. Dabei handelt es sich um eine Variante des Gens ACTN3. Von dessen "Power-Version" haben rund die Hälfte der Eurasier und 85 Prozent der Afrikaner mindestens eine Kopie. Etwa eine Milliarde Menschen sind allerdings weniger gut ausgestattet und haben keine einzige davon im Erbgut. Wer zu dieser Gruppe gehört, sollte sich das mit der Olympiateilnahme vielleicht nochmal überlegen.

"Sind die Olympischen Spiele in Wirklichkeit ein Wettkampf austrainierter Mutanten?"

Die Zahl der Gene, die sich mit sportlichen Höchstleistungen in Verbindung bringen lassen, wächst unaufhörlich. Und bereits jetzt ist absehbar, dass dies den Sportfunktionären der Zukunft heftiges Kopfzerbrechen bereiten wird: Sind die Spiele in Wirklichkeit ein Wettkampf austrainierter Mutanten? Und gesetzt den Fall, die Olympia-Verantwortlichen räumen ein, dass der genetische Rucksack ihrer Athleten tatsächlich unterschiedlich prall gefüllt ist – wäre es dann nicht angebracht, jeden Teilnehmer zu testen und getrennte Veranstaltungen für die genetisch weniger Begünstigten abzuhalten?

Es gibt drei grundlegende Szenarien für die Olympischen Spiele der Zukunft: Erstens könnten die Wettkämpfe weiterhin aus einem Schaulaufen genetisch übervorteilter Athleten bestehen. Eine andere Option wäre es, das Feld mit Hilfe von Handicaps auf das gleiche Niveau zu bringen, wie es derzeit bei einigen nichtolympischen Sportarten der Fall ist. Eine dritte Option bestünde darin, all denen, die bei der Gen-Lotterie schlechter abgeschnitten haben, die Möglichkeit eines gentherapeutischen "Upgrades" zu geben – sofern die entsprechenden Verfahren, die heutzutage allesamt unter den Begriff des Gen-Dopings fallen, unbedenklich sind.

Im ersten Szenario leben wir seit Jahrhunderten. Mehr als 200 Genvarianten lassen sich mit sportlicher Leistungsfähigkeit in Verbindung bringen. Beispielsweise gelingt es Trägern der I-Variante des Gens ACE eher als anderen, den Gipfel eines Achttausenders zu besteigen. Diese I-Variante findet sich bei 94 Prozent der Sherpas im Katmandu-Tal, aber nur bei 45 bis 70 Prozent des Rests der Menschheit. Sie scheint das Ausdauervermögen zu begünstigen: Eine Studie an britischen Läufern zeigte, dass sie am häufigsten bei denen zu finden ist, die die längsten Strecken zurücklegen.

Solche Varianten gibt es zuhauf im Erbgut. Um Spitzensportler zu werden, reichen daher wohl nicht nur eine oder zwei, sondern man braucht wahrscheinlich einen ganzen Strauß davon. Hin und wieder dürfte allerdings eine Variante auftauchen, die aus einem Spitzensportler einen wahren Weltklasseathleten macht. Eine solche fanden Forscher beispielsweise beim finnischen Skilangläufer und mehrfachen Olympiasieger Eero Mäntyranta. Er trägt eine Mutation im Gen EPOR, die seinen Körper veranlasst, mehr rote Blutkörperchen herzustellen. Dadurch steigt die Sauerstoffkapazität seines Blutes um 25 bis 50 Prozent, was ihm beim Erringen seiner Siege sicher geholfen haben dürfte.

Aber lässt sich überhaupt feststellen, ob eine solche Genvariante natürlichen Ursprungs ist oder künstlich in das Erbgut eingebracht wurde – wenn selbst Tests zur Geschlechtsbestimmung einer Athletin angesichts der Vielzahl natürlicher Unterschiede zwischen den Individuen höchst problematisch sind?

Olympische Traditionen verändern sich im Zeitlupentempo, aber irgendwann kann selbst das zum Normalfall werden, was früher noch undenkbar war. Es gab einmal eine Zeit, als Frauen ausschließlich im Tennis, Golf oder Krocket antreten durften. Bis in die 1970er Jahre war darüber hinaus nur Amateursportlern die Teilnahme an den Wettkämpfen gestattet. Heute hingegen wetteifern Profisportlerinnen im Frauenbasketball um Medaillen. Und sogar neumodische Sportarten wie Snowboarding und Mountainbikefahren wurden olympisch.

Die Probleme mit der Ungleichverteilung von Genvarianten und den Versuchen einiger Sportler, ihrem genetischen Schicksal auf die Sprünge zu helfen, werden in nächster Zeit wohl zu drakonischen Strafen für Genmodifikationen führen. Aber wird man auch einen Teilnehmer, der als Kind gentherapeutisch von seiner Sichelzellenanämie geheilt wurde, für immer von den Olympischen Spielen ausschließen? Was ist mit jemandem, der zur Behandlung eines EPOR-Gendefekts die Variante von Eero Mäntyranta eingepflanzt bekam?

Es ist ähnlich wie im Fall von Oscar Pistorius: Der beinamputierte Läufer siegte bei den Paralympics; von den eigentlichen Olympischen Spielen wurde er aber wegen seiner Beinprothesen zunächst ausgeschlossen. In London darf er nun für das südafrikanische Staffelteam ins Rennen gehen.

Einen ähnlichen Prozess erwarten wir, was den Umgang mit gesundheitlich unbedenklichen Genverbesserungen angeht. Je normaler solche Genmodifikationen im Alltag werden, desto akzeptierter wird ihr Einsatz im Sport. Letztendlich bewundern wir auch heute Athleten, die "schneller, höher, weiter" sind als ihre Konkurrenz – egal ob sie Männer oder Frauen sind, Profis oder Amateure, behindert oder nicht.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel Genetically enhanced Olympics are coming in Nature 487, S. 297, 2012

Mehr zum Thema Doping lesen Sie auch in unserem Artikel "Wettkampf der Übermenschen".

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