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Artenvielfalt: Jeder kann etwas gegen das Insektensterben tun

Um 75 Prozent ist die Zahl der Insekten in Teilen Deutschlands zurückgegangen. Ein erschreckender Befund. Doch jeder kann dazu beitragen, dass die Insekten wieder zurückkehren.
Hummel und Biene an Blüte

Die Zahl der Fluginsekten ist in einem großen Teil Deutschlands um teilweise mehr als 75 Prozent zurückgegangen. Zu diesem Schluss kommt eine große Studie, die in "PLoS One" erschienen ist ("Insektensterben in Deutschland bestätigt"). Sie verifiziert Analysen, die unter anderem für Schmetterlinge oder Bestäuber gemacht wurden, die ebenfalls drastische Bestandseinbrüche und verschwundene Arten dokumentierten. Und sie belegt endlich auch anekdotische Berichte, die den bedenklichen Verlust an Kerbtieren aufgriffen – etwa der heute sauberen Autoscheiben, die vor Jahrzehnten noch mit toten Leibern vollgekleistert waren.

Die Ursachenforschung gestaltet sich dagegen schwieriger. Vieles deutet darauf hin, dass die Landwirtschaft einer der wichtigsten Faktoren für diesen Rückgang ist: Pestizide, Monotonisierung, Überdüngung, Zerstörung kleinräumiger Landschaftselemente wie Hecken oder Feldraine sorgen dafür, dass die Tiere und ihre Futterpflanzen sterben oder verdrängt werden. Wie die Studie in "PLoS One" zeigt, schlägt dies bis in die meist zu kleinen Naturschutzgebiete durch, die vom Gifteintrag entweder direkt betroffen sind oder deren Arten sich über die ausgeräumte Feldflur nicht mehr verbreiten und austauschen können. Über kurz oder lang führt die Verinselung schließlich zum Aussterben.

Die Diskussion einzig und unspezifisch auf ein Verbot von Pestiziden zu beschränken, ist dabei übrigens nicht zielführend. Ja, Pestizide sollen Insekten und Ackerwildkräuter beseitigen und kleinhalten. Dabei gibt es jedoch bedeutende Unterschiede. Mittel auf Basis von Organophosphaten oder Pyrethroiden (sie sind in Deutschland nur in geringem Umfang im Einsatz) sind für Sechsbeiner beispielsweise bedeutend schlimmer als das in Verruf geratene Glyphosat – das sich gegen "Unkräuter" richtet. Auch die bis 2013 weit verbreiteten und teilweise noch heute verwendeten Neonikotinoide gelten als verantwortlich für den Rückgang wilder Bestäuber. Pestizide sind nur ein Baustein; der Verlust von Lebensräumen wie Brachflächen oder bunt blühenden Ackerrandstreifen dürfte sich noch viel stärker auswirken.

Und allein auf die Bauern zu deuten, ist wohlfeil. Zum einen verlangen viele Verbraucher nach billigen Lebensmitteln, die eben nur mit intensiver und industrialisierter Bewirtschaftung zu erzielen sind. Hier könnte es Abhilfe schaffen, wenn die Konsumenten insektenfreundliches Wirtschaften belohnen und entsprechende Preise im Supermarkt bezahlen würden. Das muss nicht unbedingt nur Ökolandbau sein, konventionell arbeitende Landwirte sind ebenfalls gewillt, wie einzelne Aktionen – etwa der "blühende Meter" für den Stieglitz – immer wieder zeigen.

Die Rolle der Kleingärtner

Daneben kann (fast) jeder selbst etwas tun, um den Insekten zu helfen. Jedes Jahr werden beispielsweise mehrere hundert Tonnen Pestizide an private Verbraucher verkauft. Die Mittel sollen Blattläuse vernichten, Wildpflanzen kleinhalten und jegliches Grün auf dem Pflaster ausmerzen. Nur zu oft werden die Gifte im Furor gegen vermeintlich störende Sechsbeiner oder Löwenzahn unsachgemäß und unspezifisch ausgebracht. Als Kollateralschaden bleiben zahlreiche andere Insekten auf der Strecke. Natürlich kostet es mehr Mühe, das "Unkraut" mit der Hand zu jäten, und es dauert, bis natürliche Fressfeinde mit den Blattläusen aufräumen (Brennnesselsud wirkt hier übrigens auch). Dafür lockt der Garten mehr tierisches Leben an.

Ein weiterer Trend, der den Insekten wie übrigens auch vielen anderen Tieren in den Siedlungsräumen zunehmend zu schaffen macht, sind Gärten, in denen auf Grün großflächig verzichtet wird. Steine und Kies ersetzen Blumen und Rasenflächen – das mag sehr pflegeleicht sein, aber nicht nur optisch erinnern sie an eine Wüste. Auch exotische Ziergehölze finden viele Liebhaber, bieten jedoch einheimischen Tieren ebenfalls weder Lebensraum noch Nahrung. Statt Kirschlorbeer ließe sich etwa Hainbuche pflanzen, statt der für Bienen und andere Bestäuber völlig nutzlosen Forsythien die Kornelkirsche oder der Glockenhasel. Wohl fast jede Gärtnerei bietet heute bienenfreundliche Gewächse als Alternative an. Ironie des Schicksals ist es dagegen, wenn exotische Schadinsekten eingeschleppt werden, die hier keine natürlichen Feinde haben und dann mit Ziergewächsen in Monokultur aufräumen – der Buchsbaumzünsler lässt grüßen.

Im Herbst setzt sich das gärtnerische Trauerspiel fort: Wo früher mit dem Rechen die Blätter zusammengeharkt und in einer Ecke gelagert wurden, dröhnen heute Laubbläser und Laubsauger. Letzterer zerhäckselt das Falllaub gleich noch, bevor es in der Biotonne entsorgt wird. Damit verbunden ist nicht nur eine gewaltige Lärmbelästigung und Luftverschmutzung, sondern auch ein Massaker an Kerbtieren. Denn viele Insekten und Spinnen nutzen das Laub, um zu überwintern; sie suchen darin Schutz und Deckung, werden damit aber zerrissen und zerstückelt. Was in großen Parkanlagen vielleicht noch sinnvoll ist, sollte beim Privatgärtner besser unterbleiben.

Zunehmend beliebt sind schließlich noch Fassadenbeleuchtungen – angestrahlt werden längst nicht mehr nur Kirchen oder Burgen, sondern ebenso Privathäuser. Eine Geldverschwendung, die nicht nur Astronomen wegen der Lichtverschmutzung und der Beeinträchtigung des Nachthimmels stört. Das Licht lockt zahlreiche Insekten an, die direkt in den Lampen verglühen oder diese so lange umkreisen, bis sie erschöpft sterben. Bis zu einer Milliarde Insekten sterben schätzungsweise jede Sommernacht an Deutschlands Lampen. Viele davon werden natürlich von den Städten aufgestellt und betrieben, doch auch Privatleute lassen immer länger draußen sinnlos das Licht an.

Dabei betrifft das Insektensterben uns alle: So mindert beispielsweise der Rückgang der Bestäuber die Erträge von Obstbauern, und der Verlust räuberischer Schlupfwespen lässt Plagegeister gedeihen. Weiter oben in der Nahrungskette macht sich der Schwund ebenfalls bemerkbar. Um knapp 13 Millionen soll die Zahl der Vogelpaare hier zu Lande seit 1998 gefallen sein: ein Minus von 15 Prozent. Ein Großteil davon entfällt auf Arten, die zumindest zu bestimmten Zeiten des Jahres auch Insekten fressen. Der stumme Frühling – er scheint doch traurige Realität zu werden.

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