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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte über den Erfinder der Infografik

William Playfair setzte mehrfach Start-ups in den Sand. Das Einzige, was von ihm aus dem 18. Jahrhundert blieb, sind seine Balken- und Kreisdiagramme, wie unsere Geschichtskolumnisten erzählen.
Diagramm von William Playfair aus dem Jahr 1786.
In seinem Buch »The Commercial and Political Atlas« aus dem Jahr 1786 veröffentlichte der Ingenieur William Playfair die weltweit ersten Diagramme.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Was haben Kuchen, Balken und Säulen gemeinsam? Man kann sie nicht alle essen, aber sie alle stellen Grundformen von Diagrammen dar. Heutzutage sind Diagramme nahezu allgegenwärtig und prägen schon lange unseren Blick auf Zahlen und Daten. Genauer gesagt, seit mehr als 235 Jahren. Seit sie der schottische Ingenieur William Playfair erstmals in seinen Publikationen verwendete. Nach dessen Tod geriet allerdings schnell in Vergessenheit, dass er es war, der damit anfing, die Verhältnisse von Dingen in Diagrammen darzustellen.

Doch bis es so weit war, beschritt Playfair einen langen und abenteuerlichen Weg. Der Schotte, der 1759 in der Nähe der Hafenstadt Dundee geboren wurde, erlebte die Anfänge der Industrialisierung. Playfair lebte quasi am Puls der Zeit: Sein älterer Bruder John war einer der damals bekanntesten Gelehrten – ein Mathematiker und Geologe, der neben Adam Smith und David Hume zu den herausragendsten Vertretern der schottischen Aufklärung gehörte. Mit 14 Jahren begann Playfair eine Lehre beim Mechaniker Andrew Meikle. Dieser erfand eine Maschine, die die Landwirtschaft nachhaltig veränderte: die Dreschmaschine, mit der sich die Körner aus dem Getreide holen ließen. Vorher war das eine mühsame und langwierige Arbeit, für die zahlreiche Tagelöhner im Einsatz waren.

Mit Volldampf in die Industrialisierung

Playfair tauchte also ein in die Welt des Maschinenbaus. Vielmehr noch: Er kam sogar in Kontakt mit dem Mann, der in den 1760er Jahren für die entscheidenden Verbesserungen an der Dampfmaschine verantwortlich war und damit den Beginn der Industrialisierung maßgeblich vorantrieb. James Watt (1736–1819), der mit seinem Geschäftspartner Matthew Boulton in Birmingham Dampfmaschinen herstellte, war auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter. Playfair bekam die Stelle und arbeitete ab 1777 als Bauzeichner und persönlicher Assistent für den berühmten Erfinder.

Nach einigen Jahren beschloss Playfair, dass es an der Zeit wäre, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Er meldete ein Patent zur Herstellung von Besteck an und ging Ende 1781 nach London. Aus dieser Zeit ist ein Zitat von Watt überliefert. Der Dampfmaschinenproduzent war grundsätzlich mit der Arbeit von Playfair zufrieden, attestierte ihm aber, dass er von Buchhaltung keine Ahnung hätte. Watt sollte Recht behalten. Denn von Playfairs erstem Unternehmen war schon bald keine Rede mehr. Stattdessen baute sich der Schotte eine neue Karriere auf. Er wurde Autor und schrieb vor allem über Wirtschafts- und Finanzthemen.

Die Erfindung der modernen Infografik

Sein zweites Buch »Commercial and Political Atlas« aus dem Jahr 1786 wurde nicht nur ein Erfolg, Playfair bewies damit auch sein wohl größtes Talent: die Darstellung von Zahlen und Statistiken in Diagrammen. Das Buch enthält über 40 Grafiken, darunter zahlreiche Liniendiagramme und ein Balkendiagramm. Es ist die Darstellung aller Einfuhren und Exporte Schottlands zwischen 1700 und 1782 und das erste bekannte Balkendiagramm überhaupt. Das Jahr 1786 gilt daher als das Entstehungsjahr der modernen Infografik.

Balkendiagramm | Das allererste Balkendiagramm der Welt erschien in William Playfairs Buch »Commercial and Political Atlas« aus dem Jahr 1786. Es zeigt die Importe und Exporte Schottlands in der Zeit von Weihnachten 1780 bis Weihnachten 1781.

Vorher zeigte man Listen und Tabellen, wenn es darum ging, Daten oder Zahlen übersichtlich darzustellen. Aber Balken-, Kuchen- und Liniendiagramme machten Informationen auf eine neue und sehr effiziente Weise zugänglich.

Die Inspiration für das Liniendiagramm kam wohl von Playfairs berühmten Bruder John. Als der Vater starb, kümmerte sich John als ältester Sohn um seine Geschwister und gab William die Aufgabe, jeden Tag die Temperatur zu messen und aufzuschreiben. Damit war die Grundlage für das Liniendiagramm gelegt.

Kurz nach der Erfindung des Balkendiagramms nahm das Leben von Playfair allerdings eine krasse und unerwartete Wendung.

Der Schotte war Ingenieur und Bauzeichner, war mit seinem Unternehmen gescheitert und arbeitete zuletzt als Autor. Doch dann beschloss er 1787, London den Rücken zu kehren und nach Paris zu gehen – ohne jegliche Französischkenntnisse.

Ein Neuanfang in Paris – am Vorabend der Revolution

Playfair erhoffte sich wahrscheinlich, von der Technikbegeisterung des Königs Ludwigs XVI. zu profitieren und so wieder als Unternehmer Fuß zu fassen. Das Timing für eine Zusammenarbeit mit dem französischen Monarchen war aber denkbar ungünstig, denn die Französische Revolution stand kurz bevor. Zunächst lief alles nach Plan: 1788 gründete er ein neues Unternehmen und sein Buch mit dem Balkendiagramm, »Commercial and Political Atlas«, landete sogar auf dem Schreibtisch von Ludwig XVI. Dem gefiel es so gut, dass er Playfair ein königliches Patent für dessen Unternehmen verlieh.

Doch Playfair blieb vom Pech verfolgt. Bald war von seinem Unternehmen, wie schon in London einige Jahre zuvor, keine Rede mehr. Also suchte er sich eine neue Beschäftigung. Dieses Mal verlegte er sich auf den Grundstückshandel. Es war allerdings ein recht windiges Geschäftsmodell, auf das er sich einließ: Playfair sollte für eine amerikanische Firma in Paris Land an Auswanderwillige verkaufen. Das Problem war aber, dass die Firma das Land noch gar nicht besaß – sie verfügte lediglich über das Vorkaufsrecht für drei Millionen Hektar am Scioto River in Ohio.

Dann brach im Juli 1789 die Französische Revolution aus. Politisch und gesellschaftlich blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Zunächst sah Playfair darin eine Chance für den Landverkauf, weil er davon ausging, dass jetzt viele Frankreich verlassen wollten. Doch das Projekt endete in einem Debakel. Ob Playfair noch dazu Geld unterschlug, ist nie abschließend geklärt worden, aber finanziell wuchs sich der Landkauf für viele französische Kolonisten zu einer Katastrophe aus. Einige von ihnen kehrten sogar nach Frankreich zurück, nachdem sie erfahren hatten, dass die Scioto Company das versprochene Land noch gar nicht besaß. Später entschädigte die US-Regierung noch einige Siedler, aber insgesamt war das Projekt ein Desaster – und Playfair saß mittendrin. Sein Ruf war ruiniert.

Sein unternehmerisches Glück fand er auch danach nicht. Im Gegenteil: Playfair verbrachte bald einige Zeit im Gefängnis und im Schuldturm. Dann verließ er Paris. Zurückgekehrt nach London, legte er 1793 der britischen Regierung einen Plan vor. Playfair hatte die Idee, Millionen von so genannten Assignaten zu drucken, um die französische Wirtschaft zu ruinieren.

Der Schuldenberg wuchs, als ein neues Diagramm das Licht der Welt erblickte

Assignat hieß das Papiergeld während der Französischen Revolution. Eigentlich waren die Assignaten als eine Art Staatsanleihe gedacht gewesen, um die horrenden Staatsschulden zu senken. Sie wurden von der Revolutionsregierung an die Kreditgeber verteilt, mit dem Verweis, dass sie durch den zukünftigen Verkauf der Kirchengüter gedeckt wären, die zu Beginn der Revolution eingezogen wurden. Im Lauf der Zeit etablierten sich die Assignaten dann als Zahlungsmittel. Nun kamen die französischen Royalisten im britischen Exil auf die Idee, gefälschte Assignaten in Umlauf zu bringen, um in Paris eine Finanzkrise auszulösen. Wie tief Playfair an der Umsetzung dieses Plans beteiligt war, ist unklar, berichtet der Statistikprofessor David Bellhouse in seinem Buch »The Flawed Genius of William Playfair: The Story of the Father of Statistical Graphics«.

Kuchendiagramme | In seinem Buch »Statistical Breviary« aus dem Jahr 1801 verwendete William Playfair erstmals die Darstellungsform des Kuchendiagramms. Abgebildet ist eine Tafel aus jener Publikation, auf der es in Übersetzung heißt: »Statistische Karte, die Ausdehnung, Bevölkerung und Einkommen der wichtigsten Nationen Europas nach der Teilung Polens und dem Frieden von Lunéville zeigt.«

Sicher ist aber: Ab 1797 trat Playfair wieder als Unternehmer in Erscheinung. Er gründete eine Bank, die er bereits im Jahr der Eröffnung wieder schließen musste. In den folgenden Jahren wurde er mehrfach verhaftet und verbrachte auch einige Zeit im Schuldturm. Die Haft dort sollte Druck ausüben, damit die Insassen fällige Schulden schneller begleichen würden. Zwischen 1801 und 1813 saß Playfair viermal im Schuldturm und zweimal im Gefängnis.

Wenn er auch finanziell nicht mehr auf die Füße kam, so begann er doch wieder zu schreiben. 1801 erschien zum Beispiel sein Buch »Statistical Breviary«, das noch heute für seine innovativen, statistischen Darstellungen gerühmt wird. In diesem Buch ist erstmals ein Kreis- oder Kuchendiagramm abgebildet. Daher gilt Playfair als der Erste, der Balken-, Linien- und Kreisdiagramme verwendete.

Playfair starb verarmt im Februar 1823. Der Erfinder der modernen Infografik geriet anschließend recht schnell in Vergessenheit, auch wenn sich seine Diagramme und Darstellungsweisen schnell verbreiteten – vor allem im 20. Jahrhundert. Heute verbindet aber kaum jemand diese Diagrammformen mit dem Namen Playfair. Seine Karriere als Geschäftsmann verlief eher unglücklich, seine grafischen Darstellungen hingegen gelten als gelungen. Er setzte in dem Bereich bis heute gültige Standards: So verwendete der Schotte Farben und Schraffierungen, Gitternetze und gepunktete Linien, um Unterschiede in den Diagrammen sichtbar zu machen.

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