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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte über den Tag, als Oxford im Chaos versank

Weil der Wein angeblich nicht schmeckte, gingen im Jahr 1355 Studenten und Bürger von Oxford aufeinander los. In der Stadt brach die Hölle los, wie unsere Kolumnisten erzählen.
Luftbild der University of Oxford, auf dem auch die Radcliffe Camera und die Kirche St. Mary the Virgin zu sehen sind.
Luftbild der University of Oxford, auf dem die Bodleian Library, der Rundbau der Radcliffe Camera und die Kirche St. Mary the Virgin zu sehen sind.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Wie bei vielem, das über die Jahrhunderte überliefert wurde, sind auch bei dieser Geschichte nicht alle Details gesichert. Aber eine Version geht so: Am 10. Februar des Jahres 1355 saßen zwei Studenten der University of Oxford in einer Taverne und tranken Wein. Walter Spryngeheuse und Roger de Chesterfield hatten sich einen besonderen Tag zum Betrinken ausgesucht: Sankt Scholastika. Die Schutzpatronin der Bildung hatte den beiden Studenten einen freien Tag verschafft – es war nämlich ein Dienstag –, den sie nun feuchtfröhlich verbringen wollten.

Doch die zwei hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht – oder genauer gesagt: ohne einen Wirt, der ihnen Wein servierte, der so gar nicht ihren Ansprüchen genügte.

Als sie dies dem Wirt der Swindlestock Tavern, einem gewissen John de Croydon, mitteilten, eskalierte die Situation umgehend. Auf eine hitzige Debatte folgte der Wein, den sie de Croydon ins Gesicht schütteten, dann wurden die beiden Studenten handgreiflich. Nachdem andere Gäste und Mitglieder der Wirtsfamilie sie aus dem Gasthaus geworfen hatten, hätte die Angelegenheit erledigt sein können – stattdessen entlud sich etwas, was schon seit Jahren schwelte.

Bürger von Oxford vs. Akademiker der Universität

Es ist nämlich so: Die im 12. Jahrhundert gegründete University of Oxford unterstand juristisch, wie damals üblich, der Kirche, während in der Stadt säkulares Recht gesprochen wurde. Was also auch immer die jungen Studenten in Oxford anstellten, vor der Gerichtsbarkeit der Stadt hatten sie sich nicht zu verantworten. Die Privilegien, die der Papst 1214 der Universität zugesprochen hatte, machte die Hochschule zu einer geistlichen Enklave inmitten von Oxford. Das sorgte von Beginn an für Probleme zwischen der Stadtbevölkerung und den Akademikern.

Vielmehr noch: Es führte zu einer klassischen »Wir gegen die anderen«-Mentalität – oder wie es auf Englisch heißt: »town versus gown« – Stadt gegen Talar. Das betraf auch die Lehrenden an den Universitäten, weshalb schon im Jahr 1209 einige Gelehrte in eine andere Stadt flüchteten, um dort eine eigene Universität zu gründen: Cambridge!

In genau solch einem Spannungsfeld eskalierte nun der kleine Streit in der Swindlestock Tavern. Denn John de Bereford, seines Zeichens Eigentümer der besagten Taverne und auch Bürgermeister, verlangte eine Entschuldigung der beiden Studenten. Doch die zwei, vielleicht aus Arroganz, weigerten sich. Also ließ der Bürgermeister den Rektor der Universität, Humphrey de Cherlton, rufen, damit er seine Schützlinge zu einer Entschuldigung zwingen würde. De Cherlton allerdings blieb unbeeindruckt und tat erst mal gar nichts.

Die Studenten legten Feuer in Oxford und plünderten Wohnhäuser

Dafür wurden andere Studenten aktiv. Sie läuteten die Glocke der St. Mary's Church, die im Zentrum des Universitätsgeländes stand, und versammelten so an die 200 Studenten. Sie alle unterstützten nun die Sache von Walter Spryngeheuse und Roger de Chesterfield. Es kam denn auch zu einer ersten Auseinandersetzung zwischen den Studenten und Stadtbewohnern, die sich aber gegen Ende des Tages auflöste. Es schien beinahe so, als wäre der Konflikt noch einmal glimpflich zu Ende gegangen. Doch weit gefehlt.

Die Bürger von Oxford holten sich Verstärkung

Am nächsten Tag passierten zwei Dinge: Zunächst ritt der Bürgermeister in die nahe gelegene Stadt Woodstock. Dort weilte gerade König Edward III. (1312–1377), von dem sich de Bereford Unterstützung erhoffte. Währenddessen hielt der Rektor der Universität seine Studenten und Gelehrten dazu an, Ruhe zu bewahren und nicht noch mehr Ärger zu bereiten. Natürlich hielten sie sich nicht daran. Ganz im Gegenteil: Die Studenten legten Feuer in Oxford und plünderten Wohnhäuser.

Eine Aktion, die eine Gegenreaktion hervorrief. Bald schon standen die Bürger auf Dächern und an Fenstern und schossen Pfeile auf alle Studenten und Geistlichen, die sich auf die Straße trauten. Obwohl der Bürgermeister den König nicht davon überzeugen konnte, ihn mit Männern und Waffen zu unterstützen, erhielt er nun Beistand aus dem Umland. Mehr als 2000 Menschen brachte de Bereford in die Stadt. Am Nachmittag trafen sie dort ein.

Dann brach die Hölle los.

Die Stadtbewohner und ihre Unterstützer vom Land drangen in die Schlafgemächer und Gasthäuser ein, in denen Studenten wohnten. Wer sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen konnte, wurde verprügelt oder im schlimmsten Fall getötet. Schließlich fiel der Mob in die Halls und Colleges ein, also in jene Universitätsgebäude, in denen die meisten Studenten lebten.

Der 11. Februar 1355 ging mit brennenden Häusern und toten Akademikern zu Ende. Die Würdenträger der Stadt liefen zwar am Abend noch durch die Straßen und erklärten, dass auf Anordnung des Königs keinem Mitglied der Universität ein Haar gekrümmt werden dürfe, doch es half nichts.

Der nächste Tag, ein Donnerstag, begann mit einer noch größeren Welle der Gewalt. Mehr als 14 Halls wurden ausgeraubt, Bücher und andere Wertgegenstände gestohlen. Sogar mehrere Geistliche, die versuchten, mit einer Prozession den aufgebrachten Bewohnern der Stadt Einhalt zu gebieten, wurden angegriffen und teils getötet. Studenten und Gelehrte gleichermaßen blieb nun nicht mehr viel anderes übrig, als sich zu verschanzen oder aus der Stadt zu fliehen.

Als sich der Tag dem Ende neigte, waren 20 Stadtbewohner und 60 Universitätsangehörige tot.

Erst als der König einschritt, kehrte Ruhe ein

Am folgenden Tag, als sich der Rauch gelegt hatte, erschien nun tatsächlich der König. Der Rektor, der schon am frühen Morgen nach Woodstock aufgebrochen war, hatte ihn endlich davon überzeugen können, höchstpersönlich für Ruhe in der Stadt zu sorgen. Im Angesicht des Königs zeigten sich sowohl die Bürger als auch die Mitglieder der Universität reumütig und übergaben ihre jeweilige Charta an Edward. Sie händigten also jene Dokumente aus, die ihre Rechte und Pflichten nannten. Es war ein symbolischer Akt – sie zeigten, dass sie ihr Schicksal in die Hände des Königs legten.

Die Würdenträger, allen voran der Bürgermeister, mussten ohne Kopfbedeckung durch die Stadt marschieren. Dabei durften sie mit Eiern beworfen werden

Edward musste sich in diesem Konflikt nun für eine Seite entscheiden. Sein Verdikt war eindeutig: Nach vier Tagen erhielt die Universität ihre Charta zurück, während der Bürgermeister und weitere Würdenträger von Oxford in ein Londoner Gefängnis gesperrt wurden. Gleichzeitig ließ der König verlautbaren, dass kein Mitglied der Universität für diese Unruhen belangt werden dürfe, weder für Raub noch für Brandstiftung.

Es dauerte noch einige Monate, bis auch Oxford seine Charta zurückerhielt. Allerdings nicht dieselbe, die sie übergeben hatten, sondern eine abgeänderte Fassung. Gewisse Rechte hatte der König nämlich von der Stadt auf die Universität übertragen. Darunter fiel die Besteuerung von Brot und Alkohol, aber auch die Pflicht zur Instandhaltung der Straßen. Zudem wurden dem Rektor neue Befugnisse erteilt: Er durfte jetzt, um Ruhe zu garantieren, Waffen beschlagnahmen.

Jährlich eine Erniedrigung

Doch der König war noch nicht fertig. Er wollte, dass sich die Stadt noch lange an jene Tage im Jahr 1355 erinnerte. Dass Edward für die Universität Partei ergriff, lag wohl daran, dass er sich der Wichtigkeit gut ausgebildeter Männer bewusst war. Und so verfügte er: An jedem Jahrestag der Unruhen müssen die Würdenträger von Oxford, allen voran der Bürgermeister, ohne Kopfbedeckung durch die Straßen marschieren. Dabei durften sie mit Eiern beworfen werden. Dann mussten sie eine Messe besuchen und einen symbolischen Penny pro getötetem Studenten entrichten.

Die Maßnahmen schienen zu wirken. Derart blutige Unruhen wie am Sankt-Scholastika-Tag des Jahres 1355 gab es in den folgenden Jahrhunderten nicht mehr. Die Tradition der jährlichen Prozession hingegen überdauerte die Zeiten – bis sich im Jahr 1825 der amtierende Bürgermeister wehrte, dem Spektakel beizuwohnen. Offiziell wurde der Erlass des Königs aber erst 1955 aufgehoben. Damit endete ein Kapitel der Stadtgeschichte, das 600 Jahre zuvor begonnen hatte.

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