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Mäders Moralfragen: Streitfall SUV

Kurz bevor die Bundesregierung neue Maßnahmen zum Klimaschutz präsentieren will, kocht die Diskussion über Anreize und Verbote hoch. Hier geht es um handfeste Interessen.
Viel Verkehr an einer großen Kreuzung

In der Talk-Runde von Anne Will ging es am Sonntag um dicke Autos. Die Proteste rund um die Messe IAA in Frankfurt hatten das Thema interessant gemacht. Außerdem will die Bundesregierung am Freitag ein Paket zum Klimaschutz verabschieden, und der Straßenverkehr ist ein Sorgenkind: Die Pkw stoßen in Deutschland so viel CO2 aus wie noch 1995, berichtet das Umweltbundesamt. Hier muss also etwas geschehen, wenn wir die nationalen und internationalen Klimaziele erreichen wollen. Die Autos sind zwar effizienter geworden, aber es wird auch mehr gefahren.

Bei Anne Will verteidigten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und der Vorstandsvorsitzende des Zulieferers ElringKlinger, Stefan Wolf, das Auto, während Marion Tiermann von Greenpeace und die »Zeit«-Journalistin Elisabeth Raether dafür plädierten, das Auto zurückzudrängen. Die eine Seite argumentierte, viele Menschen seien auf das Auto angewiesen, die andere Seite entgegnete, dann müsse man den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, um Alternativen zu schaffen.

Spaßfaktor Auto

In der Debatte ging es weniger um konkrete Maßnahmen als vielmehr um Grundsätzliches: Scheuer und Wolf beharrten darauf, dass viele Menschen gerne Auto fahren – auch ein SUV – und dass man ihnen diese Freiheit lassen solle. Man müsse die Menschen zum Umdenken motivieren, anstatt sie dazu zu zwingen. Scheuer warnte vor einer »verordneten Mobilität«, die ihn an die DDR erinnere. Elisabeth Raether fragte zurück, warum er Verbote als politisches Mittel ausschließe. Schädliche Verhaltensweisen zu unterbinden, sei doch grundsätzlich legitim.

Zu diesen Themen gibt es Zahlen. Die Körber-Stiftung und die Akademie acatech haben vor zwei Jahren rund 2000 Bürger befragen lassen: Etwa die Hälfte sagte, dass ihr Autofahren Spaß mache – das war bei Frauen nicht anders als bei Männern. Und fast zwei Drittel sagten, dass sie auf das Auto angewiesen seien. Allerdings kündigte eine Mehrheit von 57 Prozent an, dass sie auf das Auto verzichten würde, wenn der öffentliche Nahverkehr ausreichend ausgebaut wäre. In diesen Statistiken finden also beide Seiten Bestätigung für ihre Positionen.

Reizthema Verbote

Zur Frage der Verbote sind die Zahlen nicht so eindeutig. Als die Körber-Stiftung und acatech fragten, ob man innerhalb von Ortschaften den Autoverkehr so weit wie möglich zurückdrängen sollte und ob man Autos mit Verbrennungsmotor ab 2030 nicht mehr neu zulassen sollte, waren die Meinungen geteilt. Es gab keine absolute Mehrheit, weil rund 30 Prozent unentschieden waren. Und auch der ARD-Deutschlandtrend liefert keine Klarheit: Auf die Frage, was die Deutschen eher zu klimabewussterem Verhalten bewege, wählten vor Kurzem zwar 72 Prozent die Option »Anreize« und nur 15 Prozent die Alternative »Verbote«. Doch ob die Anreize nach Ansicht der Bürger ausreichen oder ob sie legitim wären, bleibt hier noch offen.

Zu einem Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor oder SUVs habe ich keine Meinung. Zum einen kann ich nicht abschätzen, wie sinnvoll und notwendig sie sind, weil ich selbst kein Auto fahre. Ich bin in dieser Frage sogar befangen, weil ich mich am Steuer großer Autos unwohl fühle. Aber ich kann verstehen, wenn die Greenpeace-Aktivistin Marion Tiermann den Verkehrsminister daran erinnert, dass es darum geht, eine wirklich bedrohliche Krise abzuwenden. Scheuer hat diesen Hinweis als Arroganz abgetan, denn er habe eine Tochter und sorge sich durchaus um deren Zukunft. Dieser Schlagabtausch führt zum Kern der Debatte.

Zeitbombe Klimawandel

Es geht nicht um Ignoranz oder Arroganz. Wir haben alle verstanden, dass wir etwas gegen den Klimawandel unternehmen müssen und dass es dabei auch um unsere Kinder und Enkel geht. Und wir alle wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer das ist. Der Knackpunkt ist, dass hier unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, weil der Klimaschutz – egal, ob wir mit Anreizen oder Verboten arbeiten oder ob wir ihn weiter vernachlässigen – Gewinner und Verlierer hervorbringen wird.

Wie also wollen wir den Temperaturanstieg bremsen, und wie sehr wollen wir dafür unseren Alltag und unsere Wirtschaft umkrempeln? In der Runde bei Anne Will wurde deutlich: Die einen halten das Problem mit den bewährten Mitteln für lösbar und verweisen zugleich auf Arbeitsplätze, Unternehmensgewinne, Wählerstimmen, Gewohnheiten und Vorlieben, die radikalere Maßnahmen ausschließen würden. Die anderen halten diese Strategie auf Grund der bisherigen schlechten Bilanz nicht für ausreichend und verweisen auf die Interessen und Rechte der künftigen Generationen, die sich mutmaßlich radikalere Maßnahmen wünschen würden.

Was die Zukunft noch bringt, können wir natürlich nicht wissen. Aber ich finde eine Analogie lehrreich, die der Philosoph Dieter Birnbacher in seinem Buch »Klimaethik« beschreibt: Da stellt jemand eine Zeitbombe scharf, die erst in 100 Jahren explodieren soll. Man wisse zwar nicht, was die Detonation in 100 Jahren anrichten wird, argumentiert Birnbacher, aber das mache die Sache nicht besser als bei einer Bombe, die sofort hochgeht.

Die Moral von der Geschichte: Klimaschutz erfordert Weitblick.

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