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Wissenschaftspolitik: Was hat Angela Merkel für die Forschung geleistet?

Das britische Fachmagazin 'Nature' ist voll des Lobes über Angela Merkel und ruft sogar zu ihrer Wahl auf. Was sie wirklich für die Wissenschaft geleistet hat, kommentiert Jan-Martin Wiarda.
Angela Merkel in einem Forschungszentrum

Wenn man "Nature" glauben darf, hat das deutsche Wissenschaftswunder einen Namen: Angela Merkel. Die promovierte Physikerin habe ihre DDR-Wurzeln nicht vergessen, schreibt das internationale Wissenschaftsmagazin, und ihre Herkunft habe sie zu der Erkenntnis geführt, wie grundlegend Bildung und Forschung für die Zukunft der Bundesrepublik sind. Wie genau Wurzeln und Wunder zusammenhängen, bleibt ein bisschen neblig in dem umfangreichen Dossier, dafür steht die Grundthese umso strahlender: die Kanzlerin als Garant wissenschaftlicher Prosperität.

Wie herausragend aber ist Deutschlands wissenschaftspolitische Bilanz tatsächlich, und welchen Anteil hat Angela Merkel daran? Die Bestandsaufnahme und wie positiv sie ausfällt, hängt entscheidend davon ab, mit wem man redet. Den Chefs von Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft und Co, also der großen außeruniversitären Forschungsorganisationen, kommen die Lobeshymnen leicht über die Lippen: "Seit Bestehen der Bundesrepublik ging es Deutschlands Wissenschaft noch nie so gut wie heute", lautet einer der Textbausteine, die in keiner ihrer Reden fehlen dürfen, wenn die Kanzlerin oder ihre Wissenschaftsministerin Johanna Wanka zu Besuch kommen. Kein Wunder, profitieren die außeruniversitären Einrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) doch seit 2005 von jährlichen Zuwächsen von zuletzt drei Prozent, garantiert im so genannten Pakt für Forschung und Innovation. Macht aktuell fast neun Milliarden Euro Grundfinanzierung pro Jahr, wovon der Bund 6,3 Milliarden spendiert.

Redet man dagegen mit Hochschulrektoren, hört sich die Beschreibung des Ist-Zustands anders an. Von maroden Hörsälen ist dann die Rede, von überlaufenen Vorlesungen und von der Frage, wie es weitergeht, wenn der so genannte Hochschulpakt nach 2020 ausläuft, über den der Bund zurzeit immerhin gut 2,4 Milliarden Euro pro Jahr für zusätzliche Studienplätze spendiert. Jüngst hat der Industriestaaten-Klub OECD gewarnt, trotz aller Bundeszuschüsse hätten die ohnehin klammen Hochschulen pro Student weniger Mittel zur Verfügung als noch vor einigen Jahren.

Golden die Forschung, grau die Hochschullehre: So könnte man die Lage beschreiben, und Angela Merkel kann sich an der Stelle hervorragend herausreden: Hochschulen sind eben Ländersache, und über den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und diverse weitere Bund-Länder-Abkommen tut sie längst weit mehr, als sie müsste. Dann könnte die Kanzlerin noch mit demselben Recht anführen, dass sie den Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt hat – und dass es nur so möglich wurde, die lang ersehnten drei Prozent Forschungs- und Entwicklungsanteil an der Wirtschaftsleistung pünktlich im Jahr vor der Wahl zu erreichen.

Stimmt alles und ist doch nicht einmal die Hälfte der Geschichte. Zu der gehört nämlich, dass der Pakt für Forschung und Innovation genau wie die Exzellenzinitiative beschlossen wurden, als nicht sie, sondern ihr Vorgänger Gerhard Schröder Kanzler war. Und was den damit verbundenen politischen Mut angeht: Schröders von seiner schlauen Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn induziertes Bekenntnis zu Spitzenforschung stammte aus einer Zeit, die nicht geprägt war von Rekordüberschüssen im Bundeshaushalt, sondern vom Reißen der Maastricht-Kriterien. Als Pragmatikerin, die Merkel ist, war sie in der Lage, den Wert der Initiativen zu erkennen und, in Zusammenarbeit mit Bulmahns Nachfolgerin Annette Schavan, die Logik der Pakte fortzuführen und zu erweitern. Das IST eine Leistung, und das verdient Anerkennung.

Wenn Angela Merkel mit ihrer Wissenschaftspolitik mehr als Anerkennung verdienen möchte, wenn sie auf jene Verklärung aus sein sollte, von der "Nature" ihr einen Vorschuss gezahlt hat, dann liegt die wichtigste Bewährungsprobe noch vor ihr. US-Präsident Donald Trump fordert von Deutschland, zweistellige Milliardenbeträge zusätzlich in die Verteidigung zu investieren. Gleichzeitig steht, nachdem Bund und Länder den Irrtum des Kooperationsverbots zumindest in der Wissenschaft hinter sich gelassen haben, eine Neuordnung der Hochschulfinanzierung an. Kann Merkel, sollte sie Kanzlerin bleiben, ihre erklärte Priorität für Bildung und Wissenschaft aufrechterhalten – erst recht, falls zusätzlich die Konjunktur mal abkühlt und das ewige Steuerplus sich in ein Minus verwandelt? Wird sie dauerhaft in die Hochschulfinanzierung einsteigen und die Projektförderung beenden?

Das deutsche Wissenschaftswunder beweist sich in den Hochschulen, und es beweist sich, wenn die Hochkonjunktur mal vorbei ist. Bis dahin bleibt über Merkels Wissenschaftspolitik vor allem eines zu sagen: Zusammen mit ihrem Vorgänger Gerhard Schröder hat sie es geschafft, die Wissenschaft aus der Nische politischer Bedeutungslosigkeit zu holen und international zum Strahlen zu bringen. Deutschland erscheint wieder modern und innovativ. Jetzt wird es darauf ankommen, dass die Realität dem Image folgen kann.

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