Direkt zum Inhalt

Lexikon der Neurowissenschaft: cerebrale Dominanz

cerebrale Dominanz, Hemisphärendominanz, E cerebral dominance, die Dominanz einer der beiden Großhirnhälften (Großhirnhemisphären) des Menschen bezüglich der bewußten Informationsverarbeitung und Steuerung der Willkürmotorik (dazu gehört auch die Sprache). Eine Hemisphärendominanz kann auch bei allen Tieren mit entsprechenden Hirnstrukturen angenommen werden; nachgewiesen ist sie für Säuger und Vögel. Das Konzept der cerebralen Dominanz wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jh. u.a. von J.H. Jackson entwickelt. Man unterscheidet danach eine dominante und eine nicht dominante Hemisphäre. 1) In der dominanten, bei den meisten Menschen linken, Hälfte befinden sich das motorische Sprachzentrum und die Steuerzentrale für die rechte Hand. Man postuliert links den Sitz für analytisches, abstraktes Denken und unterstellt hier eine engere Beziehung zum Bewußtsein als für die rechte Großhirnhälfte. Eine endgültige Aufklärung dieser noch offenen Fragen erhofft man sich von den modernen bildgebenden Verfahren. 2) In der nichtdominanten, normalerweise rechten Hirnhälfte dominieren die Fähigkeiten für ein ganzheitliches, synthetisches Denken. Wahrscheinlich entsteht hier das "Weltbild" des Menschen. – Die genannten unterschiedlichen Problemlösestrategien sind Ausdruck der funktionellen Asymmetrie des Gehirns. – Zur cerebralen Dominanz gehört auch die sogenannte Händigkeit, ein komplexes Phänomen in Medizin, Psychologie und Pädagogik. Die Händigkeit ist jedoch nur ein Teilphänomen der motorischen Asymmetrie, auch wenn man fälschlicherweise im allgemeinen Sprachgebrauch unter motorischer Asymmetrie oft nur die funktionelle Ungleichheit der Hände, eben die Händigkeit, versteht. Die motorische Asymmetrie umfaßt die Gesamtheit aller motorischen Aktivitäten bis zum Ausdrucksverhalten des Gesichtes. Das heißt, daß ein Linkshänder meist auch ein Linksfüßer ist; sonst handelt es sich um keinen "echten" Linkshänder. Die Linkshändigkeit ist damit eine spezielle Ausprägung einer lateralen Dominanz. Klinische Studien und Verhaltensuntersuchungen an gesunden Personen zeigen, daß 95% der Rechtshänder, aber nur 70% der Linkshänder die Sprache auf der linken Hemisphäre lokalisiert haben. Bei den restlichen 30% ergab sich keine Sprachdominanz einer Hemisphäre. Allgemein kann festgestellt werden, daß jede Asymmetrie, die bei Rechtshändern zu finden ist, bei Linkshändern entweder weniger deutlich ausgeprägt ist oder umgekehrt vorliegt. Die geringere funktionelle Asymmetrie der Hirnhälften könnte auch der Grund dafür sein, daß Linkshänder öfter als Rechtshänder Lese-Rechtschreib-Schwächen haben. Tests zur Beantwortung der Frage, was mit dem normalerweise rechts lokalisierten Zentrum für visuell-räumliches Vorstellungsvermögen geschieht, wenn die Sprache beidseitig lokalisiert ist (in Kombination mit der mangelnden Dominanz einer Hemisphäre bei der Händigkeit) ergaben, daß dann die Sprachfunktion auf Kosten anderer Funktionen vorherrscht. Bei Rechtshändern ergaben sich in diesem Test keine Unterschiede zwischen sprachlichem Teil und Handlungsteil. Eine Lese-Rechtschreib-Schwäche könnte also auch mit diesen Unterschieden erklärt werden. – Das Konzept der cerebralen Dominanz ist in den letzten Jahrzehnten weiter modifiziert worden; vor allem durch die Arbeiten von N. Geschwind, der mit einer differenzierteren Betrachtungsweise verschiedene Formen cerebraler Dominanz unterschied.

He.H.

Lit.: Springer, S.P., Deutsch, G.: Linkes Rechtes Gehirn. Heidelberg 31995.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
Redaktion

Dr. Hartwig Hanser, Waldkirch (Projektleitung)
Christine Scholtyssek (Assistenz)

Fachberater

Prof. Albert Ludolph, Ulm
Prof. Lothar Pickenhain, Leipzig
Prof. Heinrich Reichert, Basel
Prof. Manfred Spitzer, Ulm

Autoren

Aertsen, Prof., Ad, Freiburg
Aguzzi, Prof., Adriano, Zürich
Baier, Dr., Harmut, Ulm
Bartels, Prof., Mathias, Tübingen
Becker, Dr., Andreas, Marburg
Born, Prof., Jan, Lübeck
Brecht, Dr., Stephan, Kiel
Breer, Prof., Heinz, Stuttgart
Carenini, Dr., Stefano, Würzburg
Cruse, Prof., Holk, Bielefeld
Culmsee, Dr., Carsten, Marburg
Denzer, Dr., Alain, Waldenburg
Egert, Dr., Ulrich, Freiburg
Ehrenstein, Dr., Walter, Dortmund
Eurich, Dr., Christian , Bremen
Eysel, Prof., Ulf, Bochum
Fischbach, Prof., Karl-Friedrich, Freiburg
Frey, Dunja, Basel
Fuhr, Dr., Peter, Basel
Greenlee, Prof., Marc, Oldenburg
Hartmann, Beate, Basel
Heck, Dr., Detlef, Freiburg
Heller, Prof., Kurt, München
Henkel , Dr., Rolf , Bremen
Herdegen, Prof., Thomas, Kiel
Herrmann, Dr., Gudrun, Bern
Hilbig, Dr., Heidegard, Leipzig
Hirth, Dr., Frank, Basel
Huber, Dr., Gerhard, Zürich
Hund, Martin, Basel
Illing, Dr., Robert Benjamin, Freiburg
Käch, Dr., Stefanie, Basel
Kästler, Dr., Hans, Ulm
Kaiser, Dr., Reinhard, Freiburg
Kaluza, Jan, Stuttgart
Kapfhammer, Dr., Josef P., Freiburg
Kestler, Dr., Hans, Ulm
Kittmann, Dr., Rolf, Freiburg
Klix, Prof., Friedhart , Berlin
Klonk, Dr., Sabine, Stuttgart
Klumpp, Prof., Susanne, Marburg
Kössl, Dr., Manfred, München
Köster, Dr., Bernd, Freiburg
Kraetschmar, Dr., Gerhard, Ulm
Krieglstein, Prof., Josef, Marburg
Krieglstein, Prof., Kerstin, Homburg
Kuschinsky, Prof., Wolfgang, Heidelberg
Lahrtz, Stephanie, Hamburg
Landgraf, Dr., Uta, Stegen
Laux, Thorsten, Basel
Lindemann, Prof., Bernd, Homburg
Löffler, Dr., Sabine, Leipzig
Ludolph, Prof., Albert, Ulm
Malessa, Dr., Rolf, Weimar
Marksitzer, Dr., Rene, Luzern
Martin, Dr., Peter, Kehl-Kork
Martini, Prof., Rudolf, Würzburg
Medicus, Dr., Gerhard, Thaur
Mehraein, Dr., Susan, Freiburg
Meier, Dr., Kirstin, Freiburg
Mendelowitsch, Dr., Aminadav, Basel
Mergner, Prof., Thomas, Freiburg
Metzinger, Dr., Thomas, Frankfurt am Main
Mielke, Dr., Kirsten, Kiel
Misgeld, Prof., Ulrich, Heidelberg
Moll, Joachim, Basel
Münte, Prof., Thomas, Magdeburg
Neumann, Dr., Harald, Planegg-Martinsried
Nitsch, Prof., Cordula, Basel
Oehler, Prof., Jochen, Dresden
Otten, Prof., Uwe, Basel
Palm, Prof., Günther, Ulm
Pawelzik, Prof., Klaus, Bremen
Pickenhain, Prof., Lothar, Leipzig
Ravati, Alexander, Marburg
Reichel, Dr., Dirk, Lübeck
Reichert, Prof., Heinrich, Basel
Reinhard, Dr., Eva, Bern
Rieckmann, Dr., Peter, Würzburg
Riemann, Prof., Dieter, Freiburg
Ritter, Prof., Helge, Bielefeld
Roth, Prof., Gerhard , Bremen
Roth, Lukas W.A., Bern
Rotter, Dr., Stefan, Freiburg
Rubin, Dr., Beatrix, Basel
Ruth, Dr., Peter, Giessen
Schaller, Dr., Bernhard, Basel
Schedlowski, Prof., Manfred, Essen
Schneider, Dr., Werner X., München
Scholtyssek, Christine, Umkirch
Schwegler, Prof., Helmut , Bremen
Schwenker, Dr., Friedhelm, Ulm
Singer, Prof., Wolf, Frankfurt am Main
Spiegel, Dr., Roland, Zürich
Spitzer, Prof., Manfred, Ulm
Steck, Prof., Andreas, Basel
Steinlechner, Prof., Stephan, Hannover
Stephan, Dr., Achim, Rüsselsheim
Stoeckli, Dr., Esther, Basel
Stürzel, Frank, Freiburg
Swandulla, Prof., Dieter, Erlangen
Tolnay, Dr., Markus, Basel
Unsicker, Prof., Klaus, Heidelberg
Vaas, Rüdiger, Bietigheim-Bissingen
van Velthoven-Wurster, Dr., Vera, Freiburg
Walter, Dr., Henrik, Ulm
Wicht, Dr., Helmut, Frankfurt
Wolf, Prof., Gerald, Magdeburg
Wullimann, Prof., Mario, Bremen
Zeilhofer, Dr., Hans-Ulrich, Erlangen
Zimmermann, Prof., Manfred, Heidelberg

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.