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Patente als Stütze der modernen Biotechnologie


Selten, wenn überhaupt, spielten Patente bei Entstehung und Entwicklung eines neuen Technik- und Industriezweiges eine so wichtige Rolle wie im Falle der Biotechnologie; sie baut im wesentlichen auf Verfahren der DNA-Rekombination auf, also des Einbaus fremder Gene in das Erbmolekül Desoxyribonucleinsäure. Zwar wäre wohl falsch zu behaupten, daß es ohne gewerblichen Rechtsschutz keine Gentechnik und keine moderne biotechnologische Industrie gäbe (siehe "Patentiertes Leben" von John H. Barton, Spektrum der Wissenschaft, Mai 1991, Seite 74). Aber die meisten Pioniere auf diesem Gebiet in den USA haben von Anfang an so gut wie alle einschlägigen Forschungsergebnisse national und meist auch international zum Patent angemeldet; so verfuhren schon die Begründer einer "Methode zur Replikation einer biologisch funktionstüchtigen DNA" (wie es in ihrem Patentanspruch heißt), Stanley Cohen von der Universität Stanford und Herbert Boyer von der Universität von Kalifornien in San Francisco (siehe auch Cohens zusammen mit James A. Shapiro verfaßten Artikel "Transponierbare genetische Elemente", Spektrum der Wissenschaft, April 1980, Seite 64).
Diese Wissenschaftler waren überwiegend in der akademischen Grundlagenforschung tätig. Private Geldgeber für ihre Arbeit sowie für die innovative Entwicklung und Anwendung ihrer Ergebnisse zu interessieren gelang ihnen erst nach einem richtungweisenden Urteil des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten in einem Präzedenzfall: Der Supreme Court erklärte 1980 einen Mikroorganismus für patentierbar, den Ananda Chakrabarty – damals bei General Electric tätig – gentechnisch verändert hatte; solche Bakterien sollten einmal bei der Beseitigung von Verschmutzungen durch Erdöl helfen. Die Begründung lautete, daß "alles von Menschenhand unter der Sonne Erschaffene" patentiert werden könne, solange der Gesetzgeber das nicht ausdrücklich ausgeschlossen habe. Noch am 2. Dezember jenes Jahres wurde auch Cohen und Boyer ein Patent für ihr grundlegendes Verfahren erteilt.
Da das US-Patentrecht praktisch keine Ausschlußbestimmungen kennt, ist seither in den Vereinigten Staaten eine Vielzahl von Patenten auf künstlich in ihren Erbmerkmalen veränderte Mikroorganismen erteilt worden, die etwa wertvolle Substanzen produzieren, aber auch auf höhere Organismen wie Pflanzen und Tiere sowie auf biologisches Material wie Gewebe oder Zell-Linien, auf poly- und monoklonale Antikörper, auf Genfähren und gentherapeutische Verfahren. Allein wohl mehr als 1500 protein-codierende DNA-Sequenzen – auch solche menschlichen Ursprungs – sind inzwischen patentiert.
In den achtziger Jahren entstand die erste Generation von Biotechnologie-Firmen wie Amgen, Biogen oder Genentech; das wichtigste Kapital ihrer Gründer waren ihr profundes Wissen – und eben Patente. Noch bedeutsamer für den Erfolg scheinen Patente für die später gegründeten Unternehmen der sogenannten Genom-Industrie, also Firmen wie Human Genome Sciences oder Incyte, zu sein. Die Pharma-Branche, die – abgesichert durch Patente – Beträge in Höhe von Milliarden Mark in die Entwicklung von Biotech-Produkten investierte, konnte dann schon relativ bald neue Medikamente vorstellen: Human-Insulin zur Behandlung von Diabetes, blutbildende Hormone wie Erythropoietin oder Interferone, Botenstoffe für Immunzellen. Transgene Pflanzen, die gegen Fäulnis, Insekten oder Herbizide und Pestizide resistent sind, werden zunehmend zur Ernährung der Weltbevölkerung beitragen; von transgenen Tieren gewinnt man medizinisch wichtige Stoffe, etwa humanes Lactoferrin, ein eisenbindendes Protein, an dem es manchen Menschen wegen eines erblichen Defekts mangelt, Alpha-1-Antitrypsin, das Gewebe vor Abbau durch ein bestimmtes Enzym schützt, oder Protein C, einen Hemmstoff der Blutgerinnung. Kein Unternehmen würde in entsprechende langfristige Projekte mit hohem wirtschaftlichem Risiko investieren, wenn es das Ergebnis nicht rechtlich vor Mitbewerbern am Markt schützen könnte.
Was für die Entwicklung der Patentierung gentechnischer Verfahren und Produkte in den USA gilt, trifft grundsätzlich auch auf die Verhältnisse in Europa zu – allerdings mit einem wichtigen Unterschied: Das Europäische Patentübereinkommen schließt diagnostische sowie chirurgische und sonstige therapeutische Verfahren zur Anwendung bei Mensch und Tier aus, ebenso Pflanzensorten und Tierarten sowie im wesentlichen biologische Verfahren zu deren Züchtung (Artikel 52 Absatz 4 und Artikel 53b).
In der Praxis erschweren es diese Bestimmungen, Abgrenzungen zu ziehen. Sie hatten insbesondere zur Folge, daß die Rechtsprechung des Europäischen Patentamtes in München derzeit jede Pflanze, in deren Genom ein fremdes Gen stabil eingeführt wurde, bereits als eine Sorte und damit als nicht patentierbar behandelt.
Gemeinhin ist die Öffentlichkeit am Patentwesen wenig interessiert. Im Zusammenhang mit der modernen Biotechnologie änderte sich das allerdings. Schlagworte wie die, auf Leben dürfe es grundsätzlich keine Patente geben, durch rechtlich abgesicherte Nutzung von Genen und biotechnologischen Methoden werde der Mensch versklavt und die Forschung behindert, und Wissenschaftler könnten nicht mehr frei Informationen austauschen, kennzeichnen die Ablehnung vor allem in Europa.

Kritische Reaktionen trotz gängiger Praxis

Die zum Teil vehemente Kritik dürfte aber wohl eher daher rühren, daß die Gen- und Biotechnologie selbst Mißtrauen und Ängste erweckte; sensationshascherische Medien verstärkten noch diese Reaktionen. Der Patentschutz erschien vielen Menschen denn auch als ein Mittel, das bedrohliche Entwicklungen fördere.
Dabei sind Patente auf Organismen sowohl in Europa als auch in den USA schon erteilt worden, als es noch gar keine Gentechnik gab: erstmals 1843 in Finnland für eine Hefe, dann 1873 in den USA für eine bakterienfreie Hefe, die der französische Chemiker und Mikrobiologe Louis Pasteur (1822 bis 1895) hergestellt hatte. Das Deutsche Patentamt gewährte seit den dreißiger Jahren auch Rechtsschutz für Erfindungen von Pflanzen.
Der Bundesgerichtshof entschied immerhin bereits 1969, daß grundsätzlich Verfahren der Tierzüchtung und deren Ergebnisse, also Tiere, ebenfalls patentiert werden können. Voraussetzung ist, daß die üblichen Anforderungen – Neuheit, Beinhalten einer nicht naheliegenden erfinderischen Idee und gewerbliche Anwendbarkeit – erfüllt sind; zudem muß die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart sein, daß ein Fachmann sie nachvollziehend ausführen kann.
Nun ist es allerdings sehr schwierig, Erfindungen im Bereich der belebten Natur so zu beschreiben, daß Nachvollzug allein auf dieser Grundlage möglich wäre. Deshalb gestattete und forderte die Rechtsprechung schon relativ bald, ergänzend zu der schriftlichen Offenbarung Stämme von Mikroorganismen sowie später auch Plasmiden, Viren, Zell-Linien und Antikörper in speziellen, öffentlich zugänglichen Einrichtungen zu hinterlegen. Bereits 1977 verpflichteten sich im sogenannten Budapester Vertrag die Unterzeichnerstaaten, das Deponieren solcher Mikroorganismen in international anerkannten Hinterlegungsstellen auch für ihre nationalen Patenterteilungsverfahren anzuerkennen. Von all diesen Entwicklungen nahm die Öffentlichkeit kaum und allenfalls zustimmend Notiz.

Das mißverstandene Patentsystem

Zweifellos stellt die Gentechnik mit ihren vorhandenen und noch zu erwartenden Anwendungsmöglichkeiten die Gesellschaft vor viele außerordentlich schwierige Fragen, und gültige Antworten sind so bald nicht zu erwarten. Ebenso zweifellos aber steht fest, daß das Patentsystem dabei – sowohl nach seiner Bestimmung, den technischen, wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern, als auch nach seinen Wirkungsmechanismen – kaum mehr leisten kann und soll, als den durch die Verfassung, die öffentliche Ordnung und die guten Sitten allgemein abgesteckten systemimmanenten Schranken unserer Rechtsordnung im Bereich der Technikanwendung Geltung zu verschaffen.
Darum verbieten das Europäische Patentübereinkommen in Artikel 53a wie auch die europäischen nationalen Patentgesetze, Erfindungen zu patentieren, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde. Einfache, meist vom jeweiligen Wissensstand abhängige Verwertungsverbote reichen dafür allerdings nicht aus; vielmehr müssen sie zu den tragenden Grundsätzen unserer Rechtsordnung zählen wie das im Embryonenschutzgesetz verankerte Verbot, in die menschliche Keimbahn einzugreifen, das den Grundsatz reflektiert, daß die Würde des Menschen unantastbar ist.
International konkretisiert das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums von 1994 die Zulässigkeit dieses Patentierungsausschlusses; es ist zur Zeit für mehr als 130 Staaten bindend. Danach ist ein Verbot nur erlaubt, wenn es notwendig ist, um die gewerbliche Verwertung einer Erfindung "zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschließlich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung einer ernsten Schädigung der Umwelt zu verhindern". Daraus ergibt sich, daß eine Erfindung nicht von der Patentierung ausgeschlossen werden kann, wenn sie zugleich gewerblich verwertet werden darf.
Die Patentämter sind nicht zuständig, darüber zu entscheiden, ob eine bestimmte Technologie gesellschaftlich wünschbar sei; ebensowenig haben sie Genehmigungsverfahren vorwegzunehmen, die aufgrund anderer Gesetze – wie etwa des Tierschutzgesetzes, des Gentechnikgesetzes oder des Arzneimittelgesetzes – von anderen Stellen durchzuführen sind.
Die Voraussetzungen für die Patentierung und die durch das Patent verliehenen Rechte sorgen überdies für einen gerechten Ausgleich der Interessen der Gesellschaft und des Erfinders. Patente schützen Erfindungen, also technische Lehren, wie man durch planmäßigen Einsatz von Naturkräften kontrolliert ein (technisches) Problem löst; das bloße Entdecken einer Gesetzmäßigkeit der Natur oder etwa eines Naturstoffes allein, zum Beispiel das Aufschlüsseln der DNA-Sequenz eines Gens, reicht nicht aus – ganz gleich, welche schöpferische Leistung sich dahinter verbergen mag. Und solange nicht offenbart wird, auf welche Weise diese Sequenzierung beliebig oft von einem anderen Fachmann wiederholt und wozu die DNA-Sequenz verwendet werden kann, liegt keine patentfähige Erfindung, sondern bloß eine Entdeckung vor.
Patentämter und Gerichte legen beim Beurteilen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit strenge Maßstäbe an; sie sorgen auch dafür, daß der gemäß den Patentansprüchen gewährte Schutzumfang nicht über den Beitrag des Erfinders zur Lösung des zugrundeliegenden Problems hinausgeht. Weil in einer Patentanmeldung die Erfindung deutlich, vollständig und mit Ausführungsbeispielen versehen offenbart und die Anmeldung selbst spätestens nach 18 Monaten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muß, sorgt das Patentsystem für rasche Verbreitung des technischen Wissens und Transparenz des Geschehens. Auch viele Wissenschaftler räumen ein, daß mit dieser Verfahrensweise Informationen der Öffentlichkeit zugänglich werden, die sonst gerne länger zurückgehalten würden.
Das Patent sichert zwar seinem Inhaber für die Dauer von 20 Jahren, ab Anmeldung gerechnet, die ausschließliche Nutzung der Erfindung, verbindet damit allerdings noch kein Recht, dies auch tatsächlich zu tun. Er darf nämlich nicht gegen die geltenden gesetzlichen Verbote etwa der Tierschutzvorschriften, der Arzneimittel- oder Umweltschutzgesetzgebung oder gegen Rechte Dritter verstoßen. Zudem kann er nicht Versuche untersagen, seine Erfindung weiterzuentwickeln und zu verbessern; das betrifft auch klinische Versuche mit neuen Wirkstoffen, etwa um weitere Indikationen für ihre Anwendung herauszufinden.
Häufig werden Patente kritisiert, die auch höhere Organismen wie Tiere erfassen. Meist geschieht das wohl ohne genauere Kenntnis der rechtlichen Verhältnisse und Zusammenhänge.
Hat etwa eine Person das Eigentumsrecht an einer transgenen Kuh, die mit ihrer Milch humanes Lactoferrin liefert, aber eine andere das Recht an dem Verfahren, Rinder mit dem Gen dafür zu versehen, müssen beide die Rechte des jeweils anderen beachten. Dabei wirkt allerdings das Eigentumsrecht, das allein durch die Tierschutzgesetzgebung beschränkt wird, nicht nur gegenüber jedem Dritten, sondern erfaßt unmittelbar auch das Tier. Der Eigentümer darf männliche Tiere kastrieren, weibliche sterilisieren; und er darf sie töten und verbrauchen – auch wenn ihr Genom durch ein patentiertes Verfahren verändert worden ist. Hingegen müssen Dritte, der Tierhalter eingeschlossen, nur für bestimmte Handlungen eine Genehmigung des Patentinhabers einholen, die sein Recht ihm vorbehält.
Auch bei den sogenannten Pflanzen- und Tierpatenten handelt es sich also um keine Patente auf Leben. Nicht die Schöpfung ist deren Gegenstand, sondern die technische Lehre, nach der man eine bestimmte Eigenschaft des Organismus verbessern oder ihm eine neue Eigenschaft geben kann.

Die Patentierung in der Praxis

Die wichtigsten Patentämter der Welt, insbesondere das amerikanische, das japanische, das europäische und auch das deutsche, erteilen Patente auf biologisches Material nach relativ einheitlichen Regeln, die auch in der Rechtsprechung bestätigt worden sind. Sie gewähren rechtlichen Schutz für Sequenzen von Genom-DNA und komplementärer – einzelsträngiger, an Ribonucleinsäure als Matrize gebildeter – DNA (cDNA) jeglichen Ursprungs, deren Funktionen offenbart wurden, sowie auf Genfähren jedweder Art, auf Zell-Linien, auf mono- und polyklonale Antikörper und dergleichen.
Allerdings ist in der Praxis der Ämter und in der Rechtsprechung noch ungeklärt, ob cDNA-Fragmente ohne bekannte Funktion – sogenannte expressed sequence tags (ESTs) – patentiert werden dürfen. So hat das US-Patentamt eine 1991 eingereichte Anmeldung der National Institutes of Health in Bethesda (Maryland), die sich auf 3421 cDNA-Sequenzen mit insgesamt 724837 Nucleotiden bezog, zurückgewiesen; für sie war einzig die Funktion angegeben worden, daß man sie als Sonde für die Suche nach nicht näher definierten Gensequenzen einsetzen könne. In der Begründung hieß es, die Voraussetzung der Nützlichkeit und teilweise auch die der erfinderischen Tätigkeit seien nicht erfüllt. Neueren Berichten zufolge ist das US-Patentamt aber bereit, auch ESTs zu patentieren. Die hauptsächliche Schwierigkeit wird dabei in dem Kriterium gesehen, daß die Idee nicht naheliegen – oder, wenn man den Begriff non-obviousness wörtlich nimmt – nicht offensichtlich sein darf. In Europa sind bisher wohl keine Patente auf ESTs erteilt worden. Allgemein wird die Auffassung vertreten, daß ein EST so lange keine Erfindung ist, wie seine Funktion nicht konkret angegeben wird; es mangelt also an der rechtlich erforderlichen technischen Lösung.
Die am Human-Genom-Projekt – also an der Entzifferung der menschlichen Erbsubstanz – beteiligten Wissenschaftler haben sich darauf geeinigt, die jeweils gewonnenen Sequenz-Rohdaten sofort via Internet öffentlich zugänglich zu machen. So können Kollegen, die an überlappenden DNA-Abschnitten arbeiten, die Ergebnisse rasch prüfen. Damit wird aber auch eventuellen Bestrebungen, menschliche Gene zu patentieren, entgegengewirkt: Je mehr Sequenz-Daten zum Stand der Technik gehören, desto schwieriger wird die für die Patentierung erforderliche Voraussetzung der Neuheit zu erfüllen sein. Eine ähnliche Politik verfolgen auch einige große Pharma-Firmen, insbesondere Merck in den USA.
Ungelöst ist des weiteren die Frage, ob die sogenannten single nucleotide polymorphysms (SNPs) patentierbar seien – DNA-Sequenzen, bei denen nicht infolge einer individuellen Zufallsmutation, sondern mit einer gewissen Häufigkeit in einer Population ein einziger Baustein verändert ist (eklatantes Beispiel für mögliche Auswirkungen ist die Sichelzell-Anämie in Malariagebieten). Auch hier suchen Wissenschaftler, allen voran die Experten der US-Institutes of Health, eine Patentierung zu erschweren oder gar zu verhindern, indem sie neu aufgefundene SNPs schnell zugänglich machen. Denn sie fürchten wie gleichermaßen ihre Kollegen in der Industrie, daß Patente auf SNPs nicht anders als solche auf ESTs die Monopolbildung in einem zu frühen Stadium der Entwicklung fördern und letztlich Leistungen von zweifelhaftem erfinderischem Wert begünstigen könnten. Die praktische Bedeutung dieser Komplexe läßt sich daran ermessen, daß derzeit beim amerikanischen Patentamt etwa 350 Anmeldungen auf jeweils mehr als 500000 DNA-Sequenzen anhängig sind.
Anders verhält es sich mit Verfahren der Gentherapie. Sie können – trotz einiger opponierender Initiativen im US-Kongreß – in den Vereinigten Staaten, aber zum Beispiel auch in Australien und Neuseeland ohne weiteres patentiert werden und wurden es auch schon. In Europa hingegen ist dies wegen der hier geltenden Ausschlußbestimmungen nicht der Fall; allerdings betrifft dies wiederum nicht bestimmte Verfahrensschritte und Produkte, die bei der somatischen Gen- oder Zelltherapie eingesetzt werden. Das Europäische Patentübereinkommen schließt zwar gesamte Heilverfahren von der Patentierung aus, erklärt aber gleichzeitig, daß dabei angewandte Erzeugnisse – insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, also Arzneimittel – patentierbar sind.
Die Ex-vivo-Gentherapie etwa (die gentechnische Behandlung entnommener Zellen, die dann wieder in den Körper des Patienten zurückgeführt werden) ist, wie sie zur Zeit noch praktiziert wird, patentrechtlich als Einsatz einer Viel-zahl gentechnischer Verfahren zur Herstellung molekularbiologisch wirksamer Arzneimittel zu begreifen; dazu gehören zum Beispiel die Entwicklung von Genfähren sowie die Vermehrung und Selektion der erfolgreich transformierten Zellen, ferner der Einsatz vieler gentechnischer Produkte und Zwischenprodukte wie der zu ungefährlichen Genfähren umgebauten retroviralen oder anderen Vektoren beziehungsweise der einzubringenden Gene selbst. Somit können sowohl einzelne Verfahrensschritte als auch einzelne dabei eingesetzte Produkte sowie das dabei entstehende Arzneimittel patentiert werden, nur eben nicht das jeweils angewandte komplexe Gesamtverfahren, das unter anderem die chirurgische Entnahme von Gewebe des Patienten und die Infusion, Transfusion oder Injektion des Medikaments mit umfaßt. Patente, wie sie in den USA beispielsweise W. French Anderson und seinen Kollegen von der Universität von Südkalifornien in Los Angeles für gentechnisch veränderte Endothelzellen – solche der einschichtigen Auskleidung der Blutgefäße – und deren Verwendung erteilt wurden (siehe auch seinen Artikel "Gentherapie", Spektrum der Wissenschaft Spezial "Schlüsseltechnologien", Seite 72), oder auch den Erfindern Ralph L. Brinster und James W. Zimmermann, die beide am Labor für Reproduktionsphysiologie der Fakultät für Veterinärmedizin an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia tätig sind, für die "Repopulation von Hodensamentubuli mit fremden Zellen", wären in Europa nicht möglich. Dem Verfahren von Brinster und Zimmermann liegt die Idee zugrunde, sämtliche Stammzellen aus den Samenkanälchen zu entfernen, in vitro das defekte Gen durch ein intaktes zu ersetzen und die Stammzellen dann wieder in den Hoden anzusiedeln. Einer Patentierung dieses Verfahrens in Europa stünde schon entgegen, daß dabei in die menschliche Keimbahn eingegriffen wird, was das Embryonenschutzgesetz verbietet; eine solche Erfindung kann auch nach Artikel 53a des Europäischen Patentübereinkommens nicht patentiert werden.
Bei der Patentierung von Pflanzen und Tieren gibt es zwischen Europa und den Vereinigten Staaten grundsätzliche Unterschiede. Das US-Patentrecht enthält dafür keine Ausschlußbestimmungen. Es läßt die Patentierung sowohl von Züchtungsverfahren zu, seien es biologische oder nichtbiologische, als auch von deren Ergebnissen, also den gezielt veränderten Pflanzen und Tieren beziehungsweise Sorten und Arten. Außerdem können Pflanzenzüchter dort den besonderen Sortenschutz erlangen, je nach Wahl auch zusätzlich zu einem Patent. In Europa hingegen gibt es für Pflanzensorten nur den besonderen Sortenschutz und für Tierrassen überhaupt keine Schutzmöglichkeit.

Europäische Perspektiven

Mehr Klarheit und eine in allen Ländern der Europäischen Union gleichgeartete Handhabung ist von einer EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen zu erwarten, die das Europäische Parlament nach fast zehnjährigen Beratungen im Juli 1997 in erster Lesung angenommen hat. Inzwischen hat ihr, mit einigen weiteren Änderungen, auch der Ministerrat zugestimmt. Dieser Vorschlag berücksichtigt sowohl die neuesten Entwicklungen in Naturwissenschaft und Technik als auch die in der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken.
Die Richtlinie bekennt sich ausdrücklich zu den Grundsätzen der Konvention des Europarates über Menschenrechte und Medizin von 1996. Sie konkretisiert das allgemeine Verbot, Erfindungen zu patentieren, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde. Patentierung von Verfahren zum Klonen menschlicher Lebewesen, zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des Menschen und für die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder gewerblichen Zwecken schließt sie ausdrücklich aus. Dabei ist als Klonen jedes Verfahren – einschließlich der Trennung embryonaler Zellen nach der Teilung des befruchteten Eies – zu verstehen, das darauf abzielt, ein menschliches Lebewesen mit der gleichen Erbinformation zu schaffen, wie ein anderes lebendes oder verstorbenes menschliches Lebewesen sie im Kern seiner Zellen trägt.
Auch Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die ihnen Leiden oder eine körperliche Beeinträchtigung ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder für sie selbst verursachen können, sollen demnach nicht patentierbar sein. Gleiches gilt für den menschlichen Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie für die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens.
Ermöglicht wird hingegen die Patentierung von isolierten Bestandteilen des menschlichen Körpers oder auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnenen Bestandteilen einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, selbst wenn deren Aufbau mit dem eines natürlichen Bestandteils identisch ist. Voraussetzung ist allerdings, daß die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens bereits in der Patentanmeldung konkret beschrieben wird.
Eine Beratergruppe der Europäischen Kommission für Ethik in der Biotechnologie soll künftig alle ethischen Aspekte bewerten. Sie soll jedoch – soweit ersichtlich – keine unmittelbare Zuständigkeit für Patentierungsfragen haben.
Für die in der Pflanzen- und Tier-Gentechnologie tätigen Wissenschaftler ist von besonderem Interesse, daß die Richtlinie zwar die Patentierung von Pflanzensorten und Tierrassen sowie im wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren weiterhin ausschließt; aber Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen oder Tiere sind, werden für den Fall ausdrücklich für patentierbar erklärt, daß ihre Anwendbarkeit technisch nicht auf eine bestimmte Sorte oder Rasse beschränkt ist. Damit wird sichergestellt, daß Erfindungen von transgenen Pflanzen oder Tieren – jedenfalls in der Regel – patentiert werden können. Ebenfalls gesichert ist der Schutz von mikrobiologischen oder sonstigen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren, die dann auch selbst als unmittelbare Erzeugnisse dieser Verfahren erfaßt werden.
Für Genforscher bedeutsam ist schließlich, daß der Richtlinienvorschlag den Patentschutz von Verfahren nicht nur auf das mit ihnen unmittelbar gewonnene biologische Material erstreckt, sondern auf jedes andere mit denselben Merkmalen ausgestattete biologische Material, das durch generative oder vegetative Vermehrung in gleicher oder abweichender Form daraus gewonnen wird. Die Stellung der Erfinder wird also auch in diesem Bereich gestärkt.
Die Folge sind indes einige Beschränkungen der Landwirte: Zwar dürfen sie im eigenen Betrieb manches geschützte Erntegut aussäen und manches geschützte Vieh vermehren; in den Fällen aber, für die sie keiner Zustimmung des Patentinhabers bedürfen, sind sie zu einer moderaten Vergütung verpflichtet.
Die Biotechnologie-Richtlinie der EU sieht nicht vor, die bisherigen Ausschlußbestimmungen zu beseitigen. Ihre Annahme würde also den Patentschutz in Europa nicht gänzlich dem US-Niveau angleichen; gleichwohl würde sich der europäische Gesetzgeber damit klar dazu bekennen, daß die Patentierung von gentechnischen Verfahren und Produkten erforderlich ist, und zugleich ihre gesellschaftliche Akzeptanz fördern. Zudem würden bislang bestehende Unklarheiten und Schutzdefizite, insbesondere in der Pflanzen- und Tier-Gentechnik, weitestgehend beseitigt. Der in Europa noch jungen Biotechnologie-Industrie kann das nur nützen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 28
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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