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Umweltverträgliches Bauen bis tief ins Grundwasser


Grundstücke in urbanen Zentren sind teuer. Um sie besonders effektiv zu nutzen, werden bei größeren Bauvorhaben mehr und mehr Untergeschosse vorgesehen; dadurch lassen sich oft auch stadtplanerische Vorgaben etwa hinsichtlich verfügbarer Parkplätze leichter erfüllen.
Gerade die alten Stadtkerne liegen jedoch häufig an Flüssen, und man muß oft in hoch anstehendes Grundwasser vordringen. Daraus resultieren vielfältige Probleme. Sie lassen sich aber durch umweltverträgliche Konzepte und spezielle Techniken des Tiefbaus lösen oder zumindest entschärfen. Damit bieten sich gute Voraussetzungen für eine nachhaltig ökologische Stadtentwicklung. Für beides geben wir im folgenden konkrete Beispiele aus Berlin, das in einem eiszeitlichen Urstromtal aus Siedlungen beidseits der Spree entstanden war und dessen Mitte nun eine der größten Baustellen der Welt ist (Bild 1).

Störungen und Schäden

Absenkungen des Grundwasserspiegels haben erhebliche widrige Folgen. Direkt belasten sie allemal den lokalen Wasserhaushalt. So wird die Strömungsrichtung im Aquifer beeinflußt. Speiste Grundwasser zuvor Bäche, Flüsse und Seen, infiltriert deren Wasser nunmehr unter Umständen das Gestein. Hat es schlechtere Qualität als das Grundwasser, wird der Aquifer verschmutzt. Durch die Umkehr der vertikalen Strömungsverhältnisse können sogar Altlasten, etwa Öl, das auf der Grundwasseroberfläche schwimmt, mobilisiert werden und weiträumige Bereiche verseuchen.
Des weiteren beeinträchtigen solche Absenkungen die Tragfähigkeit des Baugrundes. Gerade im Niederungsbereich von Flüssen sind häufig Faulschlammbereiche oder Torflinsen vorhanden, die bei Entzug des Wassers zusammengepreßt werden und ebenso wie früher eingerammte Gründungspfähle bei Luftkontakt verrotten. Nach und nach treten dann immer schwerere Setzungsschäden an Fundamenten und Mauerwerk von Gebäuden auf.
Schließlich bedrohen Absenkungen die Vegetation, die sich ohnehin zwischen versiegelten urbanen Flächen schwierigen Feuchtigkeitsverhältnissen anpassen muß. Im Innenstadtbereich sind vor allem Bäume jener Arten betroffen, deren Wurzeln bis in das Grundwasser reichen oder wenigstens in die Zone darüber, in die Wasser durch kapillaren Aufstieg gelangt – sie können sich nicht im Laufe eines Jahres umstellen (Bild 2).
Vegetation hat insbesondere für dichte Siedlungsräume hohen Wert, nicht nur zur Gestaltung von Freiflächen und des Wohnumfelds oder zur Repräsentation. Große Altbäume, Alleen und Parkanlagen prägen Bild und Charakter einer Stadt; ökologisch sind sie für sich schon Biotope, bilden aber auch Verbundstrukturen zwischen Grünflächen. Zudem filtern sie Stäube und erhöhen die Luftfeuchte, verbessern also das Stadtklima.

Entwicklung der Bauverfahren

Noch nach der Jahrhundertwende reichten Kellergeschosse meist nur bis zum Grundwasser-Schwankungsbereich. Zur Verfestigung des Baugrundes rammte man seit langem häufig Eichenpfähle in den Boden – so auch beim 1884 begonnenen Bau des Reichstages im Berliner Spreebogen.
Nachdem es technisch möglich war, wasserdichte Kellerwannen aus Beton zu errichten, wurden in den zwanziger Jahren zahlreiche Großbauten tiefer gegründet. Dazu mußte man jedoch die Baugrube trockenlegen. Grundwasserabsenkungen um mehr als zehn Meter waren keine Seltenheit. Der Absenktrichter beim Umbau der Staatsoper in Berlin Unter den Linden in den Jahren 1926/27 lag in einer Entfernung von 1,4 Kilometern noch rund 1,30 Meter unter dem früheren Spiegel. Die Belastung der Bäume im Tiergarten jenseits des Brandenburger Tores, der größten Parkanlage der Innenstadt, ist an den Jahrringen der aus jener Zeit noch erhaltenen Exemplare nachweisbar.
Bis Mitte der siebziger Jahre störten zunehmend größere Absenktiefen und längere Absenkzeiten vielerorts den Wasserhaushalt. Zum Beispiel wurden beim Bau eines U-Bahnabschnittes in Berlin-Charlottenburg Gebäude im sogenannten nassen Dreieck – einer alten sumpfigen Rinne – so stark geschädigt, daß man sie abreißen mußte; erhebliche Vegetationsschäden waren gleichfalls die Folge.
In jüngster Zeit wurden deshalb Bauverfahren entwickelt, die Eingriffe in das Grundwasser minimieren (Bilder 3 und 4). Zwar ist trotz moderner Techniken der Einstrom in die Baugrube nicht gänzlich zu unterbinden, und das sogenannte Restwasser muß abgepumpt werden; doch senkt das den Grundwasserspiegel nur mehr gering.

Grundwasser-Management

In Großstädten mit reger Bautätigkeit wie derzeit in Berlin können weitere Maßnahmen verhindern, daß die Aquifere kritisch beeinträchtigt werden. Durch Koordination der einzelnen Projekte lassen sich Entnahmen von Grundwasser zeitlich und räumlich entzerren und außerdem mit Versickerungsbrunnen kompensieren.
Ein solches Management erfordert gute Planungsunterlagen. Dazu müssen die Grundwasserstände kontinuierlich an zahlreichen Pegeln gemessen werden. Verknüpft man diese Werte per Computer mit den Geländedaten, erhält man jeweils flächendeckende Karten. Zugleich kann man im Rechner den Einsatz von Versickerungsbrunnen simulieren, um ihn zu optimieren. Damit läßt sich der Grundwasserspiegel über weite Bereiche präzise steuern. Damit er auch vegetationsgerecht selbst in extrem sensiblen Bereichen zu regulieren ist, muß man noch die nach Jahreszeit und Witterung wechselnden Erfordernisse der Pflanzenwelt kennen.

Ökologisches Monitoring

Großen Wasserbedarf haben Bäume mit viel Blattmasse und entsprechend hoher Verdunstungsleistung. So verbraucht ein Birkenbestand während des Sommers durchschnittlich 4,7, hingegen ein Buchenbestand nur 3,8 Liter pro Quadratmeter und Tag. Die Werte schwanken je nach klimatischen Bedingungen und Standort. Einzelbäume sind Wind und Sonne direkt ausgesetzt; deshalb kann eine frei stehende Birke im Sommer bei Sonnenschein etwa dreimal so viel wie eine andere im geschlossenen Bestand verdunsten, nämlich bei rund zehn Metern Kronendurchmesser 400 Liter pro Tag.
Gesunde Bäume können mit ihrem Wurzelwachstum dem Grundwasser folgen, dessen Spiegel natürlicherweise jahreszeitlich ohnehin schwankt. Gefährdet sind sie hauptsächlich während der Vegetationsperiode bei trockenwarmer Witterung und gleichzeitigen Absenkungen um einen halben Meter oder mehr. Vorbelastete Bäume aber reagieren deutlich weniger flexibel auf Stress; und ihr Anteil ist insbesondere im Innenstadtbereich recht hoch.
Beim ökologischen Monitoring werden deshalb außer den Grundwasser-daten auch Niederschläge, Temperaturen, Bodenverhältnisse sowie die Artenzusammensetzung und die Vitalität der Baumbestände in eine standortspezifische Wasserbilanz einbezogen. Bevor es zu einem kritischen Defizit kommt, kann dann das Grundwasser-Management den Wasserhaushalt von Boden und Vegeta-tion ausgleichen. Grundwasserschwankungen im Berliner Tiergarten werden so auf dem zwanzigjährigen Mittel im Bereich der natürlichen Abweichungen gehalten. Lohnende Mühen

Bei extremer Beanspruchung von Aquiferen können unter Abwägung von Kosten und Nutzen weitere Maßnahmen sinnvoll sein. Setzungsschäden an Gebäuden lassen sich mit Unterfangungen verhüten, also mit Zementinjektionen in den Grund unter dem Fundament. Die Sanierung von Altlasten vor Beginn eines Bauprojekts erleichtert das Grundwasser-Management. Schließlich dürfte es leichter sein, Teile des Vegetations-bestandes etwa in hochsommerlichen Trockenperioden von der Oberfläche her zu bewässern, als den Grundwasserspiegel anzuheben.
Welch enorme Fortschritte in der Praxis zu erzielen sind, verdeutlicht ein letztes Beispiel aus Berlin: Durch den Tiergarten sollte 1979 ein Straßentunnel gelegt werden. Wegen der damaligen Bauverfahren hätte das Grundwasser vor Ort um elf Meter abgesenkt werden müssen; sein Spiegel wäre rundum noch in einer Entfernung von zwei Kilometern um mehr als einen Meter gefallen, was weite Bereiche des Tiergartens gefährdet oder geschädigt hätte. Zur Zeit sind an gleicher Stelle ein vierspuriger Straßentunnel, vier Fernbahn- und zwei U-Bahn-Röhren, außerdem große Gebäudekomplexe für das Regierungsviertel im Spreebogen sowie der unterirdisch liegende Lehrter Bahnhof nördlich der Spree im Bau (Bild 5). Die erforderliche Grundwasserentnahme bewirkt nur eine Absenkung von einem halben Meter bis maximal 150 Meter weit; das liegt noch im direkten Baustellenbereich.
Selbst außergewöhnlich umfangreiche Bauvorhaben, die in grundwasserführende Tiefen vordringen, können also nach dem Stand der Technik umweltschonend sein. Moderne Bauverfahren, Grundwasser-Management und ökologisches Monitoring müssen nur aufeinander abgestimmt tatsächlich eingesetzt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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