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Ägyptische Mumienwerkstatt: Rezepturen fürs ewige Leben

Dass die Ägypter ihre Toten einbalsamierten, ist bekannt. Was sie dafür genau verwendeten, nur teils. Ein spektakulärer Fund belegt nun: Einige Substanzen kamen wohl aus Südostasien.
Zwei Balsamierer mumifizieren einen Toten, ein Priester begleitet den Prozess mit Ritualen (Illustration).
Zwei Balsamierer mumifizieren einen Toten, ein Priester begleitet den Prozess mit Ritualen – so wie in dieser Illustration dargestellt, könnten die Arbeiten in einer Mumienwerkstatt in Sakkara vor rund 2700 Jahren ausgesehen haben.

Über die Art und Weise, wie die Ägypter ihre Toten mumifizierten, herrschen einige Gewissheiten: Sie schabten das Gehirn aus dem Schädel, schnitten den Torso auf und entnahmen die Organe. Anschließend entzogen sie dem Körper mit Natron die Flüssigkeit. Damit war die Arbeit der Balsamierer aber längst nicht getan. Sie tränkten den Leichnam in Harze, Öle und Fette, um den Verfall zu stoppen, und wickelten ihn in Leinenbinden. Welche Substanzen die Männer dafür nutzten, ist jedoch nicht genau gesichert. Die altägyptischen Namen einiger Stoffe sind aus Texten bekannt, doch wie lautet ihre heutige Bedeutung? Und wie wurden die Substanzen angewendet, woher kamen sie, und welche Wirkung entwickelten sie?

Ein spektakulärer Fund, den ägyptische und deutsche Forschende 2016 in Sakkara südlich von Kairo machten, lüftet nun einige Geheimnisse um die Mumifizierung: In der Nekropole entdeckten der 2022 verstorbene Ägyptologe Ramadan Hussein von der Universität Tübingen und sein Team eine Werkstatt zur Mumifizierung aus dem 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. Darin: Tongefäße, einst gefüllt mit Substanzen zur Einbalsamierung und beschriftet mit ägyptischen Zeichen, die Namen und Hinweise zur Anwendung der Stoffe nennen.

Mit Hilfe chemischer Rückstandsanalysen identifizierte die Gruppe um die neue Tübinger Grabungsleiterin Susanne Beck, den Archäochemiker Maxime Rageot und Experten vom National Research Center in Kairo die Mixturen, die in den Bechern und Schalen einst angerührt wurden. Wie die Arbeitsgruppe nun im Fachblatt »Nature« berichtet, eigneten sich die Naturstoffe zur Konservierung toter Körper: Sie wirkten teils antimikrobiell, teils Wasser abweisend, teils entwickelten sie Wohlgeruch.

Offenbar, so schreiben die Forschenden in ihrer Studie, wussten die Balsamierer sehr genau über die Eigenschaften der Substanzen Bescheid und stellten spezifische Mixturen her. Dafür nutzten sie Harze und Mineralöle, die nicht nur aus dem gesamten Mittelmeerraum ins Land am Nil verschickt wurden, sondern überraschenderweise auch aus Regionen mit tropischem Regenwald – aus Afrika südlich der Sahara und aus Südostasien. Für ihr Totenritual hatten die Ägypter also ein Kontinente übergreifendes Handelsnetz gespannt; vermutlich im Lauf vieler Jahrhunderte, in denen sie die Sitte der Mumifizierung weiterentwickelten und in einem Ausmaß pflegten, dass Fachleute von einer regelrechten »Mumienindustrie« sprechen.

Balsamieren in Schacht und Zelt

Die Tübinger Grabung auf dem Friedhof von Sakkara sorgte bereits vor einigen Jahren für Aufsehen. 2018 hatten die Ägyptologen um Hussein dort eine Mumienmaske aus vergoldetem Silber entdeckt. Das seltene Stück zierte den Leichnam eines Priesters aus der 26. Dynastie. Die Pharaonen jener Zeit herrschten von 664 bis 525 v. Chr. über das Land am Nil. Den Sensationsfund, wie ihn Hussein damals betitelte, barg sein Team aus einem unterirdischen Grabkomplex, zu dem ein zirka 30 Meter tiefer Schacht hinabführt.

Oberhalb davon legten die Ausgräber die Reste eines oberirdischen Baus aus derselben Zeit frei und darin zwei Becken. Die Steinwannen deuteten sie als Installationen für die Mumifizierung – die eine für Natronsalz, die andere für Leinenbinden – und den Raum damit als Teil einer Mumifizierungswerkstatt. »Es könnte ein Balsamierungszelt gewesen sein, ein so genanntes Ibu«, sagt Projektleiterin Susanne Beck. »Es gibt altägyptische Darstellungen von solchen Balsamierungszelten, und was wir in Sakkara gefunden haben, ähnelt dem sehr stark.«

Neben dem Bau führt ein weiterer Schacht in die Tiefe, etwa 13 Meter lang, in einen kleinen Raum, der geschützt war vor Sonnenlicht und Wärme. Hier hatten die Balsamierer den Toten vermutlich die Organe entnommen: »In der Mitte des Raums erhebt sich eine Plattform, und daneben befindet sich ein Drainagekanal, über den Flüssigkeiten ablaufen konnten«, berichtet Beck. In diesem Wabet, so die altägyptische Bezeichnung, fand Ramadan Hussein dutzende Tongefäße, viele in Scherben zerschlagen, einige ganz erhalten und nahezu alle beschriftet.

Balsamierungsgefäße | Diese Schalen und Becher entdeckten die Ägyptologen in der Mumifizierungswerkstatt von Sakkara. Die Keramikbehälter stammen aus dem 7. und 6. Jahrhundert v. Chr.

Gemeinsam mit dem Archäochemiker Rageot von der Universität Tübingen und weiteren Experten untersuchten die Ausgräber von den 121 gefundenen Gefäßen eine Auswahl von 31 Stück, deren Aufschriften sie bislang entziffern konnten. Zusätzlich analysierte Rageot vier Keramikbehälter aus dem tiefer gelegenen Grabkomplex. Mit Hilfe der Gaschromatografie und der Massenspektrometrie, beides Analyseverfahren, um die chemischen Bestandteile einer Substanz aufzuschlüsseln, identifizierten sie diverse Naturstoffe – und glichen diese mit den Aufschriften ab.

»Elemi« stammte von weither

»An den Kopf zu geben«, steht auf einigen Bechern und Schalen, in denen Rageot Molekülspuren von diversen Mixturen fand: Die Balsamierer vermengten duftende Öle von Zypressen oder Wacholderbäumen, außerdem Öle von Zedern und Olivenbäumen, ferner tierisches Fett sowie Harze von Pistaziengewächsen – vermutlich von Pistacia lentiscus, aus dem in Griechenland noch heute Mastix gewonnen wird. Und sie mischten Rizinusöl und Bienenwachs bei, ebenso einen Stoff namens Elemi. Dieses Harz zu entdecken, überraschte die Forschenden. Es wird aus Bäumen der Gattung Canarium gewonnen, die zu den Balsambaumgewächsen gehören – und nicht in Ägypten heimisch sind. Entsprechende »Biomarker sind von Elemi[-Harzen] aus dem asiatischen Regenwald bekannt, aber [solche] aus dem afrikanischen Regenwald sollten nicht ausgeschlossen werden«, schreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in »Nature«.

Wie weit die Ägypter ihre Fühler nach geeigneten Balsamierungsstoffen ausstreckten, bezeugen auch die Molekülspuren an einer Schale aus dem unterirdischen Grabkomplex in Sakkara. In dem einst für verschiedene Mixturen verwendeten Gefäß konnte Rageot das Öl von Nadelhölzern aus dem Mittelmeergebiet wie Zedern, Wacholder oder Zypressen nachweisen, das Mineralöl Bitumen vom Toten Meer, Bienenwachs, tierisches Fett sowie Dammar. Dieses Harz stammt von Laubbäumen in Südostasien. Zwar fand sich der Stoff nur an einem einzigen Tonbehälter, aber sollte die Analyse stimmen, bezogen die Ägypter das Harz aus sehr weit entfernten Gebieten wie dem heutigen Indien oder Indonesien.

»Die Ergebnisse aus Sakkara passen sehr gut ins größere Bild eines Güteraustausches, der über weite Strecken lief. Denn es ist klar, dass niemand von Ägypten bis nach Indonesien segelte, um dort Güter zu erwerben«, erklärt Mitautor und Archäologe Philipp Stockhammer von der LMU München, der die Handelsnetzwerke der Bronzezeit erforscht. Demnach habe kein direkter Austausch von Waren stattgefunden. Stattdessen gelangten Harze wie Dammar und Elemi über viele Etappen und entlang etablierter Routen in das Land am Nil. Und womöglich, so Stockhammer, hätten die ägyptische Sitte der Mumifizierung und die Nachfrage nach antibakteriellen Harzen die Handelswege nach Südostasien erst gebahnt. Weshalb die Totenkultindustrie der Ägypter aber ausgerechnet asiatische Substanzen brauchte, wissen die Forscherinnen und Forscher noch nicht. Dem wollen sie demnächst auf den Grund gehen.

Papyri ließen viele Fragen offen

Sicher ist hingegen: Rageot, Beck und ihr Team haben für die Mumienforschung völlig neue Erkenntnisse gewonnen. »Die Arbeit von Rageot und seinen Kollegen ist das erste Beispiel für die Analyse beschrifteter Materialien, die für die Mumifizierung verwendet wurden«, schreibt die Ägyptologin Salima Ikram von der American University in Kairo in einem »Nature«-Kommentar. Möglich wurde es, weil die Forschenden erstmals ägyptische Labore nutzen konnten – Funde dürfen unter keinen Umständen außer Landes gebracht werden – und weil Ramadan Hussein das Keramikdepot im Wabet mit großer Sorgfalt bergen ließ.

Becher mit Aufschrift | Auf dem Gefäß aus der Mumifizierungswerkstatt steht: »an den Kopf zu geben«. Offenbar behandelte man mit den darin angemischten Substanzen den Kopf des Toten.

Um herauszufinden, wie die Ägypter ihre Toten vor dem Verfall schützten, werteten Forschende bisher zwei Quellen aus: antike Texte und die Mumien selbst. Doch was in ägyptischen Papyri steht und was griechische Schriftsteller wie Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. oder Diodorus Siculus vier Jahrhunderte später schrieben, liefert nur eine grobe Vorstellung. »Ägyptische Texte, die die Mumifizierung erwähnen, datieren sehr spät und konzentrieren sich auf die rituellen Aspekte, mit wenig Einblick in die praktischen Elemente«, betonen auch die beiden Experten Marie Vandenbeusch und Daniel Antoine vom British Museum in einem Mumienkompendium aus dem Jahr 2021.

Zudem: Wie die Balsamierer die Toten konservierten, hatte sich im Verlauf von mehr als drei Jahrtausenden gewandelt. Weil sie ihre Techniken verbesserten, aber auch weil sich Vorlieben änderten und ihr Glaube, wie die Seelen ins Jenseits gelangen würden. Gleich blieb immerhin die tiefe Überzeugung, dass ein Leben nach dem Tod nur möglich sei, wenn der Leichnam unversehrt blieb. Dafür ließen die Ägypter ihre toten Angehörigen fachmännisch konservieren. Und dafür verfügten die Balsamierer offenbar über ein fundiertes Spezialwissen.

Macht geschmeidig und riecht gut

An den Balsamierungsgefäßen aus der Werkstatt in Sakkara entzifferten die Ägyptologen jedenfalls weitere Anweisungen, etwa »[damit] einwickeln«, »[damit] waschen« oder »um den Geruch angenehm zu machen«. Die verschiedenen Mischungen und Substanzen, die Rageot in den entsprechenden Gefäßen detektierte, können – wenn auf den toten Körper aufgetragen – das Wachstum von Bakterien und Pilzen hemmen. Manche Wasser abweisenden Ingredienzien wie Bitumen sollten vermutlich die Hautporen verschließen, andere wie tierisches Fett und Bienenwachs die ledrige Mumienhaut geschmeidig halten.

Die Texte auf den Schalen und Bechern sind zwar nur kurz, doch gerade das bereitet den Ägyptologen Schwierigkeiten. »Es handelt sich nicht um einen zusammenhängenden Text, in dem ich ein schwer lesbares Wort durch den Sinnkontext erschließen könnte«, erklärt Susanne Beck. Daher haben sie und ihre Kollegen längst noch nicht alle Aufschriften entziffern können, die in hieratischer und demotischer Schrift aufgepinselt wurden. Hieratisch ist die althergebrachte Kursivschrift der ägyptischen Hieroglyphen, also eine Art Schreibschrift; bei Demotisch handelt es sich um das zeitgenössische Schriftsystem der Ägypter, weiß Mitautorin Victoria Altmann-Wendling von der Universität Würzburg.

Ausgräber Ramadan Hussein | Der Ägyptologe leitete von 2016 bis 2022 die Ausgrabung der Universität Tübingen in Sakkara. Er starb 2022.

Zwischen den Wörtern in Hieratisch und Demotisch ist den Forscherinnen jedoch ein Unterschied aufgefallen: Gemäß den Anweisungen sollten die Stoffe zu bestimmten Zeiten im Verlauf des etwa 70 Tage dauernden Mumifizierungsprozesses aufgetragen werden. Doch die hieratischen Texte nennen andere Zeiten als die demotischen. Warum dem so ist, wissen die Wissenschaftlerinnen noch nicht. »Denkbar wäre es, dass die hieratischen Texte schon länger überliefert sind, und die demotischen sind neuere Anpassungen der Balsamierungspriester«, sagt Altmann-Wendling. In ihrem Arbeitsalltag hätten Priester aber auch sonst mit Texten beider Schriftsysteme hantiert. Eine zweifelsfreie Deutung ließe sich daher noch nicht wagen.

Auch die Mumien sollen bald chemisch analysiert werden

Die Zusammenarbeit von Philologen und Chemikern lieferte noch weitere neue Erkenntnisse. Nämlich was sich hinter zwei altbekannten Begriffen der ägyptischen Sprache verbirgt. Aus Papyri kennen Ägyptologen zwei Substanzen – »sefet« oder »sefetsch« und »antiu«. »Sefet« übersetzten sie bisher als »eines der sieben Öle« für die Balsamierung oder für ein Mumienritual, bei »antiu« soll es sich um Myrrhe oder Myrrhenharz handeln.

In Sakkara entdeckten Hussein und sein Team nun Keramikbehälter, auf denen ebenjene Bezeichnungen geschrieben sind. Rageot und seine Kollegen analysierten diese Schalen und fanden keine Anzeichen von Myrrhe. Vielmehr stellte sich heraus, dass es sich bei beiden um Mixturen handeln musste. Beide bestanden aus den Ölen von Nadelbäumen sowie tierischem Fett. »Antiu« bedeutete demnach im 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. in Sakkara nicht Myrrhe. Mit dem frischen Wissen wollen sich die Forschenden nun über schon länger bekannte Texte hermachen und prüfen, ob sie anders zu übersetzen sind.

Ebenso hat sich die Arbeitsgruppe vorgenommen, die in Sakkara entdeckten Mumien Körperteil für Körperteil chemisch zu analysieren. Das Team um Beck und Rageot will wissen, ob und wo sich die Substanzen aus den Balsamierungsbechern an den Toten wiederfinden – und so weitere Geheimnisse um die Mumienindustrie der alten Ägypter lüften.

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