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Zoologie: Aggressive Beute

Auch wenn so mancher Schlange beim Anblick eines appetitlichen Amphibs das Wasser im Munde zusammenlaufen mag, um den rauhäutigen Gelbbauchmolch machen die Reptilien lieber doch einen großen Bogen – das Mahl könnte tödlich enden. Doch einige Strumpfbandnattern verschmähen diesen Leckerbissen nicht – und vertragen ihn sogar.
Strumpfbandnatter
Die Natur ist erbarmungslos. Wer überleben will – vor allem kleine Tiere leben sehr gefährlich –, muss stets auf der Hut sein, denn allerorten lauern Räuber, die nur auf eines aus sind: sich den knurrenden Magen mit einer leckeren Beute zu füllen. Wer nicht als leicht zu ergatternder Imbiss enden will, lässt sich also etwas zu seiner Verteidigung einfallen. Die einen suchen den Schutz einer Herde, die es dem Verfolger erschwert, ein einzelnes Opfer auszuwählen, andere setzen auf Tarnen und Täuschen: Dank ihres Erscheinungsbildes verschmelzen sie optisch mit der Umgebung, so dass mögliche Verfolger sie gar nicht erst entdecken oder für ein Blatt oder ein Zweigchen halten. Ein effektiver Trick sind auch Alarmfarben, die dem Angreifer in schrillen Farben signalisieren: "Finger weg! Ich bin ungenießbar!" Manch eine vermeintliche Mahlzeit geht noch einen Schritt weiter und hält zu ihrer Verteidigung eine absolut tödliche Waffe bereit: Sie ist vollgepumpt mit Gift.

Zu diesen Strategen gehört der in Kalifornien heimische rauhhäutige Gelbbauchmolch (Taricha granulosa). Seine Haut ist imprägniert mit Tetrodotoxin (TTX), einem Nervengift, das innerhalb weniger Stunden zum Tod durch Atemlähmung führt. Doch auch diese Molchart ist – selbst derart gut bewaffnet – nicht vor allen Fressfeinden sicher: Manche Strumpfbandnattern (Thamnophis sirtalis) verspeisen der Giftattacke zum Trotz ganz ungerührt Gelbbauchmolche – und das, ohne dabei Schaden zu nehmen. Wie ihnen das gelingt, fanden nun Shana Geffeney von der Utah State University und ihre Kollegen heraus.

Strumpfbandnatter | Eine Strumpfbandnatter verschlingt einen hochgiftigen Gelbbauchmolch.
Tetrodotoxin blockiert den Natriumkanal der Nervenzellen. Ist dieser lahmgelegt, kann der Nerv keine Information mehr weiterleiten – der von dem betroffenen Nerv versorgte Muskel ist dann gelähmt. Um herauszufinden, wie Schlangen diesem Giftangriff widerstehen können, warfen Geffeney und ihre Kollegen nun bei vier amerikanischen Populationen von Strumpfbandnattern – alle unterschiedlich widerstandsfähig gegen TTXt – einen scharfen Blick auf das Gen, das den Aufbau des Natriumkanals steuert.

Bei den Nattern vom Bear Lake in Idaho fanden die Wissenschaftler keine Besonderheiten: Ihr Gen gleicht dem von Mensch und Ratte – der Natriumkanal wird dementsprechend von TTX blockiert und die Reptilien fallen dem Gift zum Opfer. Anders dagegen die drei anderen untersuchten Schlangenpopulationen: Alle haben sie an einer bestimmten Stelle den gleichen Aminosäurenbaustein des Kanal-Gens durch eine andere Aminosäure ersetzt. Dadurch verändert sich die Bindungsstelle für das Toxin dergestalt, dass dieses sich dort nur noch mit Schwierigkeiten festsetzen kann – die Schlangen widerstehen dem Nervengift.

Die Giftresistenz war besonders hoch, wenn mehrere Bausteine des Gens ausgetauscht waren. Am besten geschützt gegen die Giftattacke war eine kalifornische Nattern-Population: Sie hatte ihr Kanal-Gen an vier Stellen verändert.

Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Resistenz der Strumpfbandnattern der verschiedenen Populationen unabhängig voneinander entstanden ist. Die Reptilien reagierten im Laufe der Evolution mit einzigartigen Mutationen auf das tödliche Toxin der Molche – das bei ihnen variierte Gen ist sonst bei den Wirbeltieren praktisch identisch. Auf molekularer Ebene ist in diesem Fall also die Beute der Aggressor und hat den Räuber in die Defensive gezwungen.

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