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Wissenschaftliches Publizieren: Bitte recht freundlich

In Zeiten von Photoshop und anderen Bildbearbeitungsprogrammen können Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse optisch klarer präsentieren, aber auch manipulieren. Wie schützen sich wissenschaftliche Fachzeitschriften vor gefälschten Abbildungen?
Sonnenverbrannte Nasen auf Urlaubsfotos oder halbe Schwiegermütter am Rand eines Familienbildes: Digitale Kameras und Bildbearbeitungsprogramme machen es möglich, unschöne oder ungewollte Details zu verändern. Doch trotz immer ausgefeilterer Technik ist der Glaube an das Bild ungebrochen – immer noch gilt: "Ein Bild sagt mehr aus tausend Worte."

Auch Wissenschaftler liefern als Beweismaterial für ihre Forschungsergebnisse gerne Fotos, die möglichst einwandfrei und klar in ihrer Aussage sein sollen. Früher wurden auf der Jagd nach "dem" Bild Stunden im kleinen Kämmerchen mit dem Immunfluoreszenzmikroskop verbracht und unzählige Filme verschossen. "Heute landen Mikroskopaufnahmen oft direkt auf einem Chip, analoge Bilder werden häufig gar nicht mehr gemacht", erklärt Sascha Zmudzinski vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme IPSI in Darmstadt. Um ein "schönes" Resultat zu erzielen, wird das Bild dann am Computer nachbearbeitet.

Basteln in der digitalen Dunkelkammer

Die veränderten technischen Möglichkeiten und auch die Leichtigkeit, mit der die Softwareprogramme zu bedienen sind, haben aber Auswirkungen. So enthielten nach Angaben des US Office of Research Integrity enthielten 1989 bis 1990 nur 2,5 Prozent der untersuchten biomedizinischen Arbeiten strittiges Bildmaterial, im Jahr 2001 waren es dagegen bereits 26 Prozent. Mike Rossner, Herausgeber vom Journal of Cell Biology schätzt, dass bei jedem fünften angenommenen Paper mindestens eine Abbildung noch einmal gemacht werden muss, weil die Autoren zu viel in der digitalen Dunkelkammer herumgebastelt haben.

Wo aber verläuft die Grenze zwischen gut und böse? Welche Bearbeitungsschritte sind harmlos, und welche verändern die Aussage eines Bildes? Die Herausgeber der Nature-Zeitschriften befragen dazu gerade die Mitglieder der "Scientific Community". "Es gibt zurzeit nicht in allen Fällen eine klare Trennlinie zwischen erlaubt und nicht erlaubt", sagt Bernd Pulverer, Editor von Nature Cell Biology. Gerade das mache es so schwierig, Vorgaben zu erstellen, zumal niemand völlig auf die Vorzüge der digitalen Bildbearbeitung verzichten möchte.

Beim Journal of Cell Biology ist man dagegen schon einen Schritt weiter. Hier finden Autoren klare Richtlinien für die Aufbereitung des Bildmaterials. Generell gilt: Die Veränderungen dürfen immer nur am ganzen Bild vorgenommen werden. Erlaubt ist etwa eine Anpassung der Helligkeit, eine Kontrastveränderung oder bei Immunfluoreszenzaufnahmen ein Ausbalancieren der einzelnen Farbstärken. In allen Fällen müssen die durchgeführten Bearbeitungsschritte aber ausdrücklich im Methodenteil erwähnt werden. Ein speziell mit der Problematik vertrauter Editor prüft das eingereichte Bildmaterial, indem er es mit hoher Auflösung auf verräterische Linien, Schmutzflecken oder Schnittkanten hin untersucht. "Es darf kein einzelnes Merkmal innerhalb eines Bildes vergrößert, verkleinert, verschoben, entfernt oder zusätzlich eingebracht werden", heißt es in den Vorgaben des Fachjournals.

Bilder aus der Fälscherwerkstatt | Bilder aus der Fälscherwerkstatt: Im oberen Bild wurde das Signal von Goldpartikeln verstärkt, um sie besser sichtbar zu machen. Gleichzeitig wurde ein Punkt im Hintergrund (links im Bild) weg retuschiert.
Im unteren Beispiel wurde schlicht das Bandenmuster eines Blots kopiert und als zweites Versuchsergebnis mit großer Übereinstimmung untergeschoben.
Im Blickpunkt stehen dabei neben den Mikroskopaufnahmen auch die Blots und Gelaufnahmen. Darauf sind die berühmten "Banden" zu sehen, die in der Molekularbiologie das Vorhandensein oder Fehlen eines markierten Proteins oder Nukleinsäureabschnittes dokumentieren. Ein Herausschneiden von solchen Banden ist natürlich ebenso wenig gestattet wie ein Duplizieren oder das Ausradieren unschöner Schlieren und Spuren, um einen makellosen Hintergrund zu erhalten.

Die Grenze zum Unerlaubten

Ein berühmtes Beispiel, in dem ein spezielles Bandenmuster in Abbildungen unerlaubt kopiert worden war, sind die Publikationen der Biomediziner Friedhelm Herrmann und Marion Brach, deren Fälschungen 1997 aufgedeckt wurden. Solche Fälle von absichtlichem Betrug seien aber eher selten, meint Rossner. Meistens sind sich die Forscher gar nicht darüber im Klaren, dass sie im Bestreben, ein sauberes Bild abzuliefern, die Grenze zum Unerlaubten überschreiten und wertvolle Informationen bei der Bildbearbeitung verloren gehen.

Obwohl ein dringender Aufklärungsbedarf besteht, hinken die Vorgaben auf Seiten der Laborleiter, aber auch die der Fachzeitschriften hinter den aktuellen technischen Möglichkeiten durch die digitale Bildbearbeitung her. "Es ist überraschend, dass viele Fachzeitschriften wenige oder keine Angaben darüber machen, welche Arten der digitalen Bildbearbeitung erlaubt sind und welche nicht", bemängelt Rossner. Doch es kommt Bewegung in die Sache. Während sich etwa das EMBO-Journal noch sehr allgemein ausdrückt und die Autoren lediglich auffordert, signifikante Bildmanipulationen deutlich zu kennzeichnen, hat die Fachzeitschrift Blood ähnliche Richtlinien wie das Journal of Cell Biology: "Digitale Bilder werden genau auf unerlaubte Manipulationen hin untersucht. Der Editor behält sich vor, originale Daten vom Autoren anzufordern, um diese mit den eingereichten Abbildungen zu vergleichen."

Weiterer Fall aus der Manipulationstrickkiste | Noch ein Fall aus der Manipulationstrickkiste: Hier wurden mehrere Aufnahmen von angefärbten Zellen übereinander gelegt, als hätten sie sich alle beim Blick durchs Mikroskop gemeinsam gezeigt. Wird der Kontrast angepasst (unten), offenbart sich jedoch der Betrug.
Fraglich ist, ob die bisherige Qualitätskontrolle durch externe Gutachter die Überprüfung dieser strengen Vorgaben überhaupt leisten kann. Oft fehlt den Gutachtern die Zeit. Deshalb plant Bernd Pulverer auch bei Nature Cell Biology, in naher Zukunft einen eigenen Mitarbeiter verstärkt auf die Überprüfung des eingereichten Bildmaterials anzusetzen. "Wenn man die Aufnahmen stark vergrößert, also die einzelnen Pixel anschaut, kann man heute noch relativ gut erkennen, ob ein Bild verändert worden ist", schätzt Bernd Pulverer die momentane Lage ein.

Immer perfektere Manipulationen

Es wird nach seiner Meinung in der Zukunft jedoch zu einer Art Wettkampf zwischen immer perfekteren Manipulationstechniken und der Fehlererkennung durch die Fachzeitschriften und deren Gutachter kommen. Auch Peer Bork, Editor der Internetzeitschrift Molecular Systems Biology und im Editorial Board verschiedener Fachjournale meint, dass ein geschultes Auge etwa an Gelaufnahmen oft noch erkennen kann, wenn etwas nicht stimmt. Wegen der zunehmenden Komplexität würde es jedoch immer schwieriger werden wird, Manipulationen aufzudecken. "Die Anzahl spezialisierter Arbeitsgebiete ist groß, da gibt es immer weniger kompetente Experten, und digitale Medien erleichtern die Datenveränderung", sagt der Bioinformatiker.

Alle Beteiligten sind sich einig, dass nicht die Kontrolle die Grundlage der Wissenschaftskommunikation ist, sondern das gegenseitige Vertrauen. "Wenn ein Forscher schreibt, er hat das Experiment bei 25 Grad Celsius gemacht, dann muss ich ihm das glauben. Man kann nicht alles kontrollieren", sagt Pulverer. Doch das gegenseitige Vertrauen wird immer wieder missbraucht, und das häufiger als sich viele vorstellen, wie Mitarbeiter der US-amerikanischen Stiftung "Healthpartners" ermittelten: Von mehreren Tausend befragten Forschern gaben ungefähr ein Drittel zu, in den letzten drei Jahren mindestens einmal gegen die Regeln sauberen wissenschaftlichen Arbeitens verstoßen zu haben, um ein gewünschtes Resultat zu erzielen. Also ist ein kritisches Betrachten des wissenschaftlichen Beweismaterials durchaus angebracht.

Digitales Wasserzeichen | Digitale Wasserzeichen sollen vor Manipulationen schützen: Im oberen Bild ist die Auflösung gängig fürs Internet und das Zeichen kaum erkennbar. Im unteren Bild wurde im linken Feld die Signatur des digitalen Wasserzeichens verstärkt – es offenbart sich nun in der stärkeren Körnung des Bildes.
Möglicherweise erhalten die Editoren von Fachzeitschriften bald Unterstützung von einer modernen Technologie, die unter anderem am Fraunhofer-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme in Darmstadt entwickelt wird. Die Mitarbeiter des Instituts arbeiten an Methoden, mit denen nachgewiesen werden kann, ob Bild- (oder auch Video- und Audio-) Daten unversehrt sind oder ob sie im Nachhinein verändert wurden. "Mit digitalen Wasserzeichen können Zusatzinformationen im Bild versteckt werden, zum Beispiel auch Angaben zum Nachweis der Integrität", erklärt Sascha Zmudzinski.

Denkbar wäre, dass Forscher in Zukunft ihre eingereichten Fotos mit so genannten inhaltsfragilen Wasserzeichen versehen müssen. Dabei speichert das System zum Zeitpunkt jeder Aufnahme – verschlüsselt und für den Betrachter unsichtbar – Informationen zum Inhalt des Bildes ab. "Später kann überprüft werden, ob die eingebettete Information noch zum aktuellen Bild passt", sagt Zmudzinski. Etwa ob auf dem Gruppenbild nur noch zwei Köpfe statt drei (mit und ohne Schwiegermutter) beziehungsweise auf dem Blot nur noch fünf statt ehemals sechs Banden zu sehen sind. Kontakte zwischen dem IPSI und einer bekannten Fachzeitschrift aber auch zu Herstellern von medizinischen Bildbearbeitungssystemen gibt es bereits.

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