Direkt zum Inhalt

Quantenphysik: Das "Gewissen" der Physik

Wolfgang Pauli zählt zu den bedeutendsten Physikern des 20. Jahrhunderts. Wer ihn sich als ernsten und strebsamen Menschen vorstellt, liegt allerdings falsch: Ein bewegtes Leben und vor allem sein exzessiver Lebensstil machen seine Erfolge nur noch erstaunlicher.
Wolfgang Pauli
Wolfgang Ernst Friedrich Pauli verdiente sich die Bezeichnung Wunderkind: Bereits mit 13 Jahren soll er die Werke seines Patenonkels, des Physikers Ernst Mach, gelesen haben. Kurz nach dem Abitur veröffentlichte er dann selbst schon erste wissenschaftliche Arbeiten, und nach nur drei Jahren schloss er sein Physikstudium bei Arnold Sommerfeld in München mit dem Doktortitel ab. Warum die Feinstrukturkonstante, die Sommerfeld zur Beschreibung der Spektrallinien des Wasserstoffspektrums eingeführt hatte, exakt dem Kehrwert von 137 zu entsprechen schien, konnte er jedoch ebenso wenig erklären wie alle anderen Wissenschaftler seiner Zeit.

Pauli im Dezember 1902 | Wolfgang Pauli mit zwei Jahren und acht Monaten.
Aufmerksamkeit in der Physikergemeinde errang der damals 21-Jährige aber dennoch: mit einer 237 Seiten starken Abhandlung über die allgemeine Relativitätstheorie. Albert Einstein selbst bezeichnete diese Arbeit als "reif" und lobte unter anderem den "tiefen physikalischen Blick". In der Folgezeit arbeitete Pauli zunächst bei Max Born in Göttingen, dann bei Niels Bohr in Kopenhagen.

Bei beiden genoss er zwar schnell den Ruf eines brillanten Physikers, doch auch den eines Partymenschen, der wegen ausgedehnter Kneipenbesuche morgens nicht immer zurechnungsfähig war. So schrieb Born später an Einstein: "Ich erinnere mich, dass er [...] mehr als einmal die Vorlesung um 11 Uhr verpasste."

1923 ging Pauli als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter nach Hamburg und wurde dort schließlich zum Professor ernannt. Gleichzeitig wandte er sich vermehrt dem Alkohol zu: "Als ich nach Hamburg kam, wechselte ich unter dem Einfluss von [Otto] Stern direkt vom Mineralwasser zum Champagner."

Seiner wissenschaftlichen Produktivität tat das jedoch keinen Abbruch. 1924 postulierte er zur Erklärung von Molekülspektren, dass der Atomkern einen inneren Drehimpuls (heute: Kernspin) haben müsse. 1925 führte er eine vierte Quantenzahl ein (heute: Elektronenspin), welche die Aufspaltung von Spektrallinien im Magnetfeld erklärte.

Bootsfahrt | Wolfgang Pauli, Werner Heisenberg und Enrico Fermi auf einer Bootstour im September 1927.
Auf Grundlage der neuen Quantenzahl formulierte Pauli das Ausschluss- oder Pauli-Prinzip: Dieses verbietet zwei Teilchen gleicher Quantenzahlen, sich am selben Ort aufzuhalten, und entscheidet so darüber, dass Materie nicht einfach in sich zusammenfällt. Außerdem lässt sich mit dem Prinzip erklären, warum Elemente mit einer "magischen" Anzahl von Kernteilchen besonders stabil sind.

Ob das Ausschlussprinzip Paulis größte Entdeckung war, ist umstritten. Jedenfalls war es diejenige, für die er zwanzig Jahre später einen Nobelpreis erhalten sollte. Dass ihm dieser Preis nicht für eine seiner anderen Entdeckungen verliehen wurde, lag wohl auch an seiner Art, diese zu verbreiten. Anstatt die Ideen und Erkenntnisse zu publizieren, formulierte er sie oftmals nur in Briefen an Kollegen. Pauli bekümmerte die geringe Anzahl seiner Veröffentlichungen aber nur wenig: "Ich kann es mir leisten, nicht zitiert zu werden."

Ende der 1920er Jahre wurde Paulis privates Leben zusehends zur Achterbahnfahrt. 1927 beging seine Mutter als Reaktion auf eine Affäre ihres Mannes Selbstmord, indem sie sich vergiftete. 1929 stürzte sich Pauli kurzerhand in eine Ehe mit der Tänzerin Käthe Margarethe Deppner. Die Liaison wurde nach nur einem unglücklichen Jahr geschieden.

Nobelpreis-Party | Nachdem Pauli im November 1945 den Nobelpreis verliehen bekam, feierte er dies mit seinen Physikerkollegen.
Seinem wissenschaftlichen Schaffen waren die Krisen weiterhin kaum anzumerken. 1927 entwickelte Pauli die nach ihm benannten Matrizen zur Beschreibung des Elektronenspins. 1930 postulierte er in einem offenen Brief an Lise Meitner und die "lieben radioaktiven Damen und Herren" der Physikalischen Gesellschaft die Existenz eines winzigen neutralen Elementarteilchens, das die Energiebilanz beim Betazerfall von Atomen wieder ausgleichen würde.

Sein Kommentar dazu: "Heute habe ich etwas Schreckliches getan, etwas, was kein theoretischer Physiker jemals tun sollte. Ich habe etwas vorgeschlagen, was nie experimentell verifiziert werden kann." Der Nachweis des Neutrinos gelang jedoch nach großen Mühen 26 Jahre später.

In Zürich – Pauli war 1928 einem Ruf an die Eidgenössische Technische Hochschule gefolgt – erlebte Pauli schließlich einen nervlichen und vermutlich auch durch seine Alkoholprobleme bedingten Zusammenbruch. Er begab sich schließlich in Therapie bei dem Psychologen Carl Gustav Jung, in deren Verlauf sich die beiden anfreundeten. Während die Therapie weit gehend fruchtlos blieb, gesundete Pauli auf eine andere Weise: Er lernte Franziska "Franca" Bertram kennen und lieben.

Lockere Runde | Markus Fierz, Wolfgang Pauli und Hans Jensen bei einem Bier.
Als die Nationalsozialisten mächtiger wurden, entschied Pauli, dessen Vater vom Judentum zum Katholizismus konvertiert war, die Schweiz zu verlassen – eine Staatsbürgerschaft hatte er bis dato nicht erlangt. 1935 emigrierte er in die USA und war dort unter anderem in Princeton tätig. Nach dem Krieg kehrte er jedoch nach Zürich zurück, wo er sich von nun an sehr erfolgreich der Weiterentwicklung der Quantenfeldtheorie widmete und schließlich an der Gründung des CERN mitarbeitete.

Im Laufe seiner Karriere hatte sich Pauli unter seinen Kollegen einen ganz außergewöhnlichen Ruf erarbeitet. Zum einen war er, der mit seinen zwei linken Händen mehr als 100 Fahrstunden zum Erwerb des Führerscheins benötigt hatte, berüchtigt für seine negativen Auswirkungen auf Experimente. Dieser "Pauli-Effekt", der in Anlehnung an Paulis Nobelpreisleistung auch "2. Ausschlussprinzip" genannt wurde, sorgte dafür, dass er sich zu keinem Zeitpunkt mit funktionierenden Experimenten in einem Raum befand. Beim Experimentalphysiker Otto Stern erhielt Pauli deswegen sogar Labor-Verbot.

Neben dieser statistischen Absonderlichkeit, über die Pauli mit seinen Kollegen herzlich lachen konnte, avancierte er jedoch auch zum Prüfstein für gute physikalische Ideen. Werner Heisenberg behauptet von sich: "Ich habe nie eine Arbeit veröffentlicht, ohne dass Pauli sie vorher gelesen hätte." Andere gingen so weit, von Pauli als dem "Gewissen der Physik" zu sprechen.

Wolfgang Pauli in Hamburg | Wolfgang Pauli in Hamburg im November 1955.
Dieser Titel bezog sich jedoch nicht auf moralische Maßstäbe, sondern auf die schonungslose, manchmal beißende Kritik, mit der Pauli seine Kollegen überziehen konnte. Höflich heißt es in Paulis Nachruf: "Er war allmählich zu einer Art Institution geworden, der man seine Einfälle vorlegte, ohne ausweichende Höflichkeit befürchten zu müssen." Wer mit Pauli umgehen konnte, nahm es mit Humor: Als beispielsweise junge Physiker um Born 1932 in Kopenhagen Goethes Faust parodierten, besetzten sie die Rolle des Mephistopheles mit Pauli.

Doch auch Pauli äußerte Kritik bisweilen mit einem Augenzwinkern: Als Heisenberg in einer Radiosendung eine Reihe gemeinsam erarbeiteter Ideen, an denen Pauli zunehmend zweifelte, als Heisenberg-Pauli-Theorie bezeichnete und großspurig behauptete, es fehlten nur noch einige technische Details, reagierte Pauli mit einer Postkarte an den Physiker-Kollegen George Gamow. Auf diese zeichnete er ein Rechteck und schrieb: "This is to show the world, that I can paint like Tizian. Only the technical details are missing."

Am 15. Dezember 1958 starb Wolfgang Pauli an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er soll entsetzt gewesen sein, als er bei seiner überraschenden Einlieferung ins Krankenhaus zehn Tage zuvor als Zimmernummer eine Zahl erkannte, die ihm schon seit seinem Studium Bauchschmerzen bereitet hatte: 137.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.