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Erneuerbare Energien: Wie recycelt man eine Million Tonnen Solarzellen?

Zahllose Solaranlagen wurden in den letzten Jahren installiert. Sie enthalten wertvolle Rohstoffe, doch nach rund 30 Jahren sind sie Elektroschrott. Recyclingverfahren sind erst im Experimentierstadium.
Beschädigte, zum Teil abgebrochene und unbeschädigte Solarmodule auf einem Flachdach.
Durch einen Sturm beschädigte Solarzellen auf einem Flachdach. Aber auch für unbeschädigte Module ist nach rund drei Jahrzehnten Schluss. Was macht man dann mit ihnen?

Wenn Andreas Obst von seinem Bürostuhl aufsteht und auf den institutseigenen Hinterhof geht, kommt er an einem besonderen Solarmodul vorbei. Der Chemiker hat es zusammen mit anderen Forschenden aus alten und geschredderten Solarzellen vom Recyclinghof hergestellt. Es ist ein übliches Modul, 60 Zellen aus kristallinem Silizium mit einem Zellwirkungsgrad von 19,7 Prozent. Damit liegt es nur einige Prozentpunkte unter dem Wirkungsgrad fabrikneuer Solarzellen.

Dieses eine 20 Kilogramm schwere Solarmodul auf dem Hof am Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik (CSP) in Halle (Saale) erscheint allerdings etwas mickrig angesichts der Mengen, die in Deutschland bald anfallen. Schon jetzt werden jährlich knapp 10 000 Tonnen ausgedienter Solarmodule auf den Recyclinghöfen angeliefert. 2024 werden es dann sechsmal so viel sein. Die ersten großen Entsorgungswellen folgen jedoch 2029, 20 Jahre nach der ersten großen Ausbauphase, sagt Professor Peter Dold vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg (ISE). Das ISE überschlägt, dass in Deutschland dann fast schlagartig zwischen 400 000 und einer Million Tonnen Solarmodule entsorgt werden müssen. Und das jedes Jahr.

Auch weltweit werden schon bald deutlich mehr ausgemusterte PV-Anlagen verschrottet werden. Ab 2040 könnten es weltweit rund 27 Millionen Tonnen sein, so die Beratungsfirma Rystad Energy. Den größten Berg an ausgedienten Solarzellen erwarten die Fachleute in China, gefolgt von den USA, Japan und Indien. Deutschland landet in deren Solar-Müllberg-Ranking immerhin auf Platz fünf. Zehn Jahre später, schätzt die internationale Energieagentur IEA, dürften weltweit bis zu 80 Millionen Tonnen an Altmodulen anfallen. Das ist an Gewicht so viel, wie alle Wildtiere weltweit insgesamt auf die Waage bringen.

Eine gigantische Recyclinglücke tut sich auf

Die Zahlen können bloß geschätzt werden, weil die anfallenden Mengen stark schwanken. Solarmodule altern nicht nur – Naturkatastrophen wie Taifune, Erdbeben oder Überschwemmungen führen schlagartig zu großen Verlusten. Und niemand weiß, wie viele Solarmodule lange vor dem Ende ihrer üblichen Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren ausgemustert werden: Neue Solarzellen mit neuen Rekorden im Wirkungsgrad versprechen womöglich mehr Ertrag.

Die 28. Weltklimakonferenz (COP28)

Vom 30. November bis zum 12. Dezember 2023 treffen sich die Vertreter von Regierungen, Unternehmen und NGOs in Dubai, um zum 28. Mal über den Klimaschutz zu beraten. Alle Infos zur Konferenz finden Sie in unserem Blog und auf unserer Themenseite.

Trotz der unsicheren Zahlen und der absehbaren Verschrottungswelle entwickeln sich die Pläne, wie alte Solarmodule denn zu recyceln sind, eher im Schneckentempo. So gibt es in Ländern wie Japan, Südkorea, China und Australien derzeit keine landesweiten Programme für das Recycling von PV-Modulen. Verschiedene Technologien werden bislang nur diskutiert, wenige stehen in den Startlöchern. In den USA wird eher darüber nachgedacht, wie die kommenden Mengen in die Abfallregularien eingepasst werden können, während in China zumindest auch an wirtschaftlich tragfähigen technologischen Lösungen gearbeitet wird.

In Europa sind die Abfallregularien einerseits erst einmal klar. Das Recycling von Solarzellen ist grundsätzlich geregelt. So zählen Solarmodule in den europäischen Ländern und damit in Deutschland zu den Elektrogeräten. Und diese müssen nach der Richtlinie WEEE (Waste of Electrical and Electronic Equipment) behandelt werden. Andererseits sind die Anforderungen bisher ziemlich einfach zu erfüllen. Demontage, Kabel entfernen, Alurahmen abreißen und das Glas aussortieren reichen schon. Denn allein das Kupfer aus den Kabeln, das Glas und die Alurahmen machen mehr als 85 Prozent des Gewichts aus. Und schon ist die festgesetzte Quote erfüllt, sagt Ian Marius Peters, Forscher am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien. Doch das Glas aus der Abdeckung reicht gerade noch für Glaswolle. Der Rest aus Silizium, Silber, Zinn, Blei und den Kunststofffolien landet meist auf der Deponie oder in der Verbrennung. Anders wäre es, wenn die Quoten sich nicht nur auf das Gesamtgewicht bezögen, sondern auf die jeweiligen Inhaltsstoffe, merkt Peters an. Das wird derzeit aber lediglich diskutiert.

Gebaut für die Ewigkeit?

Zwar gelten die meisten Rohstoffe in der Solarzelle laut Umweltbundesamt nicht als knapp, doch allein wegen der energieintensiven Gewinnung von hochreinem Silizium des Quarzsandes bei über 2000 Grad Celsius sind die Module eigentlich zu wertvoll zum Wegwerfen. Das Herzstück des Solarmoduls, das Sonnenlicht in elektrischen Strom umwandelt, landet allerdings nach wie vor auf der Halde. Dabei macht Silizium mengenmäßig den größten Teil der Solarzelle aus. In einer Tonne Solarschrott stecken immerhin 25 bis 50 Kilogramm Silizium. Um es aus dem Verbund zu lösen, braucht man aber erneut viel Energie – und Chemikalien.

Das Schwierigste ist, die Solarzellen in die einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Solarmodule sind so konstruiert, dass sie allen Widrigkeiten trotzen. Sand, Schnee, Hitze, Kälte, Feuchtigkeit würden ihnen sonst zusetzen. Also werden sie mit Kunststofffolien so fest verkapselt, dass sie möglichst lange allen Witterungsbedingungen standhalten und eine Lebensdauer von mehr als 20 Jahren erreichen. Und diese Widerstandskraft macht es schwierig, den innigen Verbund aus Zelle und Laminierung wieder zu trennen.

Wie das Zerlegen trotzdem klappt, hat Andreas Obst zusammen mit Forschenden vom Fraunhofer ISE und dem Fraunhofer IMWS erforscht. Er wollte beweisen, dass auch aus Zellschrott neue Solarzellen gefertigt werden können, und zudem, dass eine industrielle Rückgewinnung des Solarsiliziums möglich ist. Das Ergebnis steht seit Anfang 2022 auf dem Hof des CSP und funktioniert. Beim Gang nach draußen kann Obst auf einer Anzeigetafel ablesen, wie viel Sonnenenergie das Modul gerade geerntet hat.

Doch die Zerlegeprozedur hat es in sich. Zunächst werden die Zellen mit der üblichen mechanischen Zerkleinerungstechnik geschreddert – bis auf eine Größe von 0,5 bis 2 Millimetern. Aus diesem zerkleinerten Materialmix werden die Bruchstücke aus Glas und Silizium elektrostatisch getrennt und der Kunststoff durch Dichtesortierung entfernt. Dann entfernt man die Beschichtungen durch nasschemisches Ätzen und gewinnt dadurch auch das Silber aus Kontakten zurück. Silber macht zwar nur einen Bruchteil des Gewichts aus, beinhaltet aber fast 50 Prozent des Materialwerts der zurückgewonnenen Materialien. Im letzten Schritt werden die Antireflexschicht und der Emitter chemisch abgelöst, bis nur noch das Solarsilizium übrig bleibt. Aus diesem Recycling-Silizium hat man am Fraunhofer ISE dann einen Kristall gezogen, die Wafer herausgesägt und aus dem so gewonnenen Rohstoff die hochwertigen Solarzellen für das Modul hergestellt.

Lohnt sich der Aufwand?

Eine Ökobilanz für ihren Prozess haben die Fraunhofer Forschenden noch nicht erstellt. »Es ging darum zu klären, ob man es überhaupt hinbekommt«, sagt Obst. Und zwar mit Techniken, die man auch wirtschaftlich einsetzen kann. Klappt die mechanische Trennung? Funktioniert die Chemie, so dass man daraus Solarsilizium mit der geforderten hohen Reinheit kristallisieren kann? Das waren zunächst seine Hauptfragen.

Einen anderen Weg als den mit Chemikalien ist die Firma Flaxres in Dresden gegangen. Sie bestrahlen in einer separaten Kammer ein gesamtes Modul mit kurzen, energieintensiven Lichtblitzen. Während der Lichtimpulse heizt sich der Verbund in Bruchteilen von Sekunden auf mehrere hundert Grad auf. Die Folie bröselt dabei vom Siliziumchip, der Kunststoff verschmort, und während die Zellen in viele Stücke zerbrechen, platzen die Folienreste gleich ganz ab. Danach sind Glas, Folie und Silizium sortenrein getrennt. Allerdings wurde der kommerzielle Start erster kleiner mobiler Anlagen gerade verschoben und ist auf der Website von Flaxres nun für 2024 angekündigt.

»Trennmethode mit heißem Messer« nennt eine japanische Firma ihr Verfahren, die Verbindung zwischen Glas und Solarzelle zu lösen. Eine auf 300 Grad Celsius erhitzte Klinge schiebt sich zwischen Glas und Schicht und schabt den Folienverbund vom Glas in einem Stück ab. So trennt man nicht nur den Verbund, sondern erhält auch sauberes Glas, das gut recycelt werden kann. Doch auch für diese Technik gibt es bisher lediglich eine Testanlage.

Technologien sind also vorhanden – im Prinzip. Nur sind sie in industriellen Anwendungen derzeit noch nicht wirtschaftlich einsetzbar. Außer sie werden gesetzlich vorgeschrieben – wie bei der Firma First Solar in Frankfurt/Oder, die Dünnschicht-Solarzellen herstellt und auf den deutschen Markt bringt. Die Solarzellen mit Schichten aus Kadmiumtellurid (CdTe) oder Kupfer-Indium-Gallium-Diselenit (CIGS) dürfen in Deutschland bloß mit einem Recyclingkonzept verkauft werden.

In den letzten Jahren hat First Solar 200 000 Tonnen zurückgenommen, recycelt und auch die Rohstoffe aus der Beschichtung für neue Module verwendet. Mittlerweile verwertet das Unternehmen jährlich rund 10 000 Tonnen. Aber Dünnschicht-Solarzellen machen nur einen kleinen Teil des zukünftigen Solarmüllbergs aus. Ihr Anteil an den weltweit installierten Modulen beträgt lediglich fünf Prozent und die aktive Schicht ist mit einem bis fünf Mikrometer Dicke deutlich dünner als die rund 180 Mikrometer der marktbeherrschenden Silizium-Solarzelle.

Eine zweite Chance für alte Module

Das Resümee: Technologien, mit denen mehr als Glas und Aluminium wiederverwertet werden können, sind bisher ausschließlich Forschungsprojekte. Die Umsetzung in den kommerziellen Betrieb fehle, sagt Peters, »da herrscht das Gefühl vor, dass man noch Zeit hat«.

Doch wenn es einmal so weit ist, dass es wirtschaftliche Recycling-Systeme für alle Inhaltsstoffe gibt, steht da noch eine Hürde. So sieht Andreas Obst die große Vielfalt an Modulen als große Herausforderung an. Er selbst hat schon mehr als 500 verschiedene Typen erfasst. Und das sei bloß ein Bruchteil dessen, was inzwischen auf dem Markt sei. Dabei habe er schon »lustige Sachen« gefunden, sagt er. Mal waren es Glasfasermatten als Zwischenlage, bei einem anderen waren die Kontakte nicht aus Silber, sondern aus Kupfer. Eines betrifft besonders seine Technologievariante: Wenn in Zukunft die Bor-Dotierung der Solarzelle verändert wird, funktioniert sein Prozess, das Silizium zurückzugewinnen, nicht mehr. Eine Möglichkeit, mit dem oft willkürlich gemischten Solarmüll umzugehen, sieht er in einem QR-Code, der an jedem Modul angebracht ist. Damit wäre auch eine Vorsortierung auf dem Recyclinghof möglich.

Der Physiker Ian Marius Peters will allerdings mehr als wirtschaftliche Recyclingtechnologien. Er forscht an einem anderen Lösungsweg, um die Müllberge klein zu halten. »Ich will nicht nur wissen, wie ich die Recyclingtechnologien weiterentwickeln kann. Sondern auch, wie ich Solarmodule von Anfang an so konstruieren kann, dass sie am Ende ihrer Lebenszeit deutlich einfacher wieder auseinandergenommen werden und die Rohstoffe in den Kreislauf zurückgelangen können.« An einem Kniff, wie die Verkapselung leichter aufzubrechen ist, forschen auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der niederländischen gemeinnützigen Organisation TNO und am taiwanesischen Industrial Technology Research Institut. Bis diese neue Generation von Solarmodulen mit »Sollbruchstelle« auf den Markt kommt, wird es aber noch dauern.

Deshalb ist Peters noch etwas anderes wichtig. Zwischen 10 und 50 Prozent der Solarmodule, die auf dem Recyclinghof landen oder im Solarpark direkt aussortiert werden, sind nicht unbedingt unbrauchbar. Manche haben noch 80 Prozent ihres einstigen Wirkungsgrads. Und so gibt es Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, diesen ein »second life« zu ermöglichen. Aber in Deutschland werden sie nicht ein zweites Mal gefördert. Also gibt es Vertriebsnetze, diese nach Afrika zu transportieren. Oder nach Osteuropa. Das allerdings solle man mit Vorsicht handhaben, so Peters, »denn dann haben die unseren Schrott und wir haben die kommenden riesigen Müllberge bloß verlagert«.

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