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Zoologie: Die Jäger der unbekannten Art

In den Hotspots der Artenvielfalt finden sich immer wieder neue Arten - vorausgesetzt man nimmt die beschwerliche Suche auf sich.
Bisher gibt es noch keinerlei Aufnahmen der neuen Affenart aus Myanmar. Diese Rekonstruktion beruht auf Beobachtungen und einem gefundenen Kadaver des <i>Rhinopithecus strykeri </i>.

"Goldener Stachelaal im Kachin-Staat entdeckt", "Fliegendes Rieseneichhörnchen in Laos gesichtet", "Mitten in Phnom Penh flattert eine bisher unbekannte Schneidervogelart". Solche Nachrichten erinnern uns wohltuend daran, dass es auch in unserer globalisierten Welt noch vieles zu entdecken gibt. Allen voran in den asiatischen Hotspots der Artenvielfalt, wie Borneo oder der größeren Mekong-Subregion – Vietnam, Kambodscha, Laos, Thailand, Myanmar und der chinesischen Provinz Yunnan.

Schneidervogel beim Singen |

Diesen Anblick gönnt einem der Kambodschanische Schneidervogel (Orthotomus chaktomuk) nur selten: Normalerweise versteckt sich der unscheinbar gefärbte Singvogel in dichtem Gestrüpp feuchter Flutebenen am Mekong und anderer Flüsse Zentralkambodschas. Seine heimliche Lebensweise sorgte dafür, dass die Art als solche bis jetzt unentdeckt geblieben ist – obwohl sie sogar innerhalb der Stadtgrenzen Phnom Penhs mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern lebt.

Der neue Schneidervogel wurde zuvor wohl mit einem häufigeren Verwandten mit ähnlichem Aussehen verwechselt und daher nie genauer unter die Lupe genommen. Erst als Ashish John von der New Yorker Wildlife Conservation Society ein Exemplar auf einer Baustelle in der Vorstadt von Phnom Penh fotografierte und auch bei näherer Betrachtung nicht richtig bestimmen konnte, kam die Sache ins Rollen. Am Ende entpuppte sich der Vogel als gänzlich neue Art, die noch relativ weit verbreitet ist, auch wenn auf dem Gebiet der kambodschanischen Hauptstadt der Lebensraum langsam knapp wird. Bislang gilt Orthotomus chaktomuk aber nicht als gefährdet, da im Umland der Metropole noch ausreichend geeignete Biotope vorhanden sind.

Forktail 29, S. 1-14, 2013 (PDF)

Hinter den Schlagzeilen über die seltsamen, oft unscheinbaren und manchmal auch skurrilen Tiere und Pflanzen verschwinden aber diejenigen, die mit viel Eifer, Geduld, Fachwissen wochenlang auf eine entbehrungsreiche Entdeckungstour ziehen: Wissenschaftler, Naturschützer und ortskundige Übersetzer, Köche, Fährtenleser und Lastenträger. "Ich kann nicht allein durch den Wald spazieren. Ich würde sofort umkommen. Man ist auf die Ortskenntnis der Einheimischen angewiesen", sagt Thomas Geissmann, der auf höchst eigenartige Weise vor ein paar Jahren Stumpfnasenaffen entdeckt hat, "wo sie nicht hingehören" – nämlich in den Vorgebirgen des Himalaja im Norden von Myanmar.

Bei Geissmann und den Stumpfnasenaffen handelt es sich um eine typische Entdeckergeschichte, die ohne Gevatter Zufall nicht denkbar wäre. Wie so viele andere wissbegierige Forscher war der Gibbonexperte vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich nämlich gar nicht losgezogen, um neue Arten zu entdecken. Das Ziel des Primatologen war profaner: eine Bestandsaufnahme der Hoolock-Gibbons in Myanmar. "Seit den Aktivitäten britischer Naturkundler in den 1930er Jahren war diese Region aus politischen Gründen nicht zugänglich. Wir hatten keine Ahnung, was wir dort finden würden. Wir gingen aber davon aus, dass es in dieser Terra incognita die größten Gibbon-Vorkommen in Asien geben könnte."

Berichte von Affen mit aufgekippten Nasen

"In unserem Projektgebiet haben wir viele Interviews mit Jägern und Dorfhäuptlingen geführt. Wir wollten wissen, was für Tiere und vor allem was für Affen es in ihren Wäldern gibt. Ein Jäger in Salween Maika erzählte uns von Affen mit aufgekippten Nasen. Die Beschreibung passte auf Stumpfnasenaffen, die es aber eigentlich dort nicht geben dürfte. Die nächste bekannte Stumpfnasenaffenpopulation lebte nämlich eigentlich zwei Flüsse – Salween und Mekong – weiter weg in Yunnan."

Die Suche nach den unwahrscheinlichen Stumpfnasenaffen war erfolgreich – und nicht erfolgreich zugleich. Zwar wurde kein einziger lebender "Stumpfi" gesichtet, wie Geissman die Tiere salopp nennt. Aber in einem Dorf war einem Bärenjäger ein Stumpfnasenaffe in die Falle gegangenen. "Wollt ihr den sehen?", fragte er die Affenexperten, und so entstand wenigstens ein Foto eines nicht mehr so ganz vollständigen Kadavers. "Der sah schon anders aus als die Tiere in Yunnan", erzählt Geissmann. Bei einigen Jägern hingen zudem Stumpfnasenaffenschädel als Trophäe über dem heimischen Kamin, und einer hatte gar eine Tasche aus ihrem Fell. Mit diesem Material und einer DNA-Analyse gelang es Geissmann, die Existenz des Burmesischen Stumpfnasenaffen (Rhinopithecus strykeri) nachzuweisen.

Oft sind die Wissenschaftler, die später durch ihre Veröffentlichungen im akademischen Rampenlicht stehen, bei der entscheidenden Entdeckungstour gar nicht dabei, erzählt Geissmann. Den Blutegeln in feuchtschwülen Regenwäldern ausgesetzt sind oft nur die vom Forschungsleiter instruierten Mitarbeiter, Studenten und Experten. "Ich bin ja der teuerste Faktor in der Geschichte. Der Flug kostet enorm viel. Wenn sie den Geissmann nicht brauchen, holen sie ihn nicht. Die Leute wissen ja jetzt, wie es geht."

Niesender Stumpfnasenaffe | Bisher gibt es noch keinerlei Aufnahmen der neuen Affenart aus Myanmar. Diese Rekonstruktion beruht auf Beobachtungen und einem gefundenen Kadaver des Rhinopithecus strykeri.

Eine Expedition braucht so allerlei an Ausrüstung und Proviant. Beides lässt sich nicht in beliebigen Mengen mitschleppen. Da aber ohne Fernrohre, Aufnahmegeräte, Kameras, Mikroskope, Konservierungsflüssigkeiten, Käfige, Netze für Ornithologen und Angeln für Fischexperten die ganze Strapaze für die Katz wäre, muss beständig Nachschub organisiert werden. Geissmann erzählt: "Alle paar Tage muss einer der einheimischen Mitarbeiter ins nächstgelegene Dorf marschieren, um Reis und Konserven zu beschaffen. Zudem braucht es einen Koch. Wenn man todmüde und verdreckt im Camp ankommt, will man einfach was essen – wenn das Camp noch da ist und niemand es ausgeraubt hat. Deshalb ist es gut, dass einer immer da ist und aufpasst."

Auf Fußwegen durch den vietnamesischen Dschungel

Thomas Ziegler hat über 60 neue Wirbeltierarten in Vietnam und dem angrenzenden Laos entdeckt und wissenschaftlich beschrieben. Gerne erinnert sich der heutige Kurator des Aquariums des Kölner Zoos an seine ersten Touren nach Vietnam Mitte der 1990er Jahre. "Von Hanoi aus fuhren wir zunächst mit Autos. Dann sind wir auf geländegängige russische Motorräder der Marke Minsk umgestiegen. Bäche wurden als natürliche Waldstraße benutzt. Pfade gab es ja keine. Irgendwann ging es nur noch zu Fuß weiter. Man kann also nur so viel an Proviant und Ausrüstung mitnehmen, wie auf Motorräder und in Rucksäcke passt. Batterien muss man sich in Hanoi besorgen. In den Dörfern gibt es nur welche aus chinesischer Produktion. Die halten eine halbe Stunde durch. Wenn die Batterie im Wald schlappmacht, kommt man weder vorwärts und noch rückwärts und hockt an Ort und Stelle, bis es hell wird."

Im Feld arbeitet Ziegler auch heute noch gerne, obwohl er dazu nicht mehr so oft kommt. Der Koordinator der Biodiversitäts- und Naturschutzprojekte Vietnam und Laos des Zoos Köln ist ein Wissenschaftsmanager geworden, der die in 15 Jahren gewachsene Zusammenarbeit mit Kollegen und Instituten in Vietnam koordiniert. Zu den neuesten Projekten zählt die Unterstützung beim Aufbau der Melinh-Station für Biodiversität in Nordvietnam, wo bedrohte Arten aufgefangen und in Nachzuchtprojekte integriert werden. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Aus- und Weiterbildung vietnamesischer Studenten und Experten. "Der vietnamesischen Seite fehlt noch vieles an Knowhow. Deshalb ist es uns wichtig, dort Kurse zu geben, nicht nur in Köln. Um die nächste Generation aufzuklären, damit sie auf Bärengalle und Schlangenschnaps komplett verzichtet und in der Lage ist, selbst zu forschen."

Erfolg bei der ersten Expedition

Nicole Schneider, eine Masterstudentin von Ziegler, ist vor einem Jahr auf ihrer allerersten Expedition im Karstwald im Norden von Laos etwas gelungen, wovon so mancher Kollege auch nach Jahrzehnten des Wissenschaftlerdaseins nur träumt: Sie hat eine neue Art entdeckt. Im Dschungel von Laos lief ihr ein bislang unbekannter Bogenfingergecko über den Weg. Noch dazu ging nach sorgfältiger Analyse dieser Cyrtodactylus vilaphongi als die 10 000. Reptilienart in die Internet-Datenbank Reptile Database ein.

Das 10 000. Reptil | Die 10 000. in die "Reptile Database" eingetragene Reptilienart ist der von Forschern des Kölner Zoos gemeinsam mit Kollegen aus Hanoi und Vientiane entdeckte Bogenfingergecko Cyrtodactylus vilaphongi. Nicole Schneider und ihre Kollegen fanden das Tier im Dschungel von Laos in Südostasien.

"Ich war ganz schön aufgeregt", erinnert sich Schneider noch ein Jahr später bei einem Gespräch im Kölner Zoo. "Man geht ja in den Dschungel in der Hoffnung, überhaupt möglichst viele verschiedene Gattungen zu finden. Dass man dann gar eine neue Art findet, ist ja wirklich nicht die Regel."

Für die Entdeckungstour mit Kollegen aus Vietnam und Laos hat sich die Geckoexpertin durch sportliches Training fit gemacht: für nächtliche Exkursionen durch dichte Wälder und über hohe Felsen in der noch wenig erforschten laotischen Provinz Luang Prabang. Trotzdem waren die vier Wochen anstrengend. Nachts ging es mit Kopflampen durch den Wald, gegen ein, zwei Uhr morgens zurück ins Hotel. "Zunächst mussten die als Forschungsexemplare gesammelten Tiere ordentlich versorgt werden", erzählt Schneider. Dann erst konnte sie sich unter die verdiente Dusche stellen. "Man sieht ja schrecklich aus, wenn man stundenlang durch Matsch gerobbt ist." Morgens ab zehn Uhr wurden dann die Ergebnisse der Nacht dokumentiert. "Die eigentliche Identifizierungsarbeit aber findet in den Labors in Hanoi oder Köln statt."

Forschen vor Ort ist kein Spaziergang. Freimütig sagt Schneider: "Wenn man stundenlang im Wald ist, kommt einem auch schon mal der Gedanke: Ich habe keine Lust mehr, ich will nach Hause." Aber die 27-jährige Kölnerin gibt auch strahlend zu, dass es eine großartige Erfahrung war. "Ich könnte jederzeit wieder los. Auf jeden Fall."

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