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Dunkle Materie: Eine Spur verschwindet

Jahrelang haben Forscher gehofft, Dunkle Materie im Zentrum der Milchstraße zu entdecken. Nun lässt eine Reihe von Fachaufsätzen diese Hoffnung schwinden.
Gammastrahlenquellen

Jahrelang haben Wissenschaftler gerätselt: Warum feuert das Zentrum unserer Galaxie mehr energiereiche Strahlung ins All als erwartet? Immer wieder haben Messinstrumente wie das an Bord des NASA-Satelliten Fermi diesen Überschuss an Gammastrahlen registriert und damit einen zähen Streit unter Astrophysikern angestoßen: Fliegen im Zentrum der Milchstraße einfach mehr Sterne durchs All, als wir denken? Oder ist das auffällige Signal womöglich der lang gesuchte Hinweis auf das Wesen der Dunklen Materie?

Die Dunkle Materie ist eine rätselhafte Materieform, die eine Schlüsselrolle im Weltbild der Kosmologie spielt: Ohne die zusätzliche Schwerkraft der unsichtbaren Substanz hätte sich das Weltall nach dem Urknall ganz anders entwickelt, auch würden sich die Arme von Spiralgalaxien viel langsamer drehen. Aber bisher weiß niemand, ob der Stoff, der kein Licht aussendet oder reflektiert, wirklich existiert oder ob die Wissenschaftler irgendwo einen Denkfehler gemacht haben.

Sollte es die Dunkle Materie geben, muss man sie sich als feinen, nicht sichtbaren Nebel vorstellen, der im Raum zwischen den Sternen umherwabert. Seine Teilchen müssten auch die Erde durchdringen. In den vergangenen Jahrzehnten hat es nicht an Versuchen gemangelt, diese Partikel in Untergrundlaboren nachzuweisen. Eine Entdeckung ist dabei bis heute nicht herausgekommen. Die Suche geht zwar weiter und tritt derzeit in eine neue Phase ein, aber der Optimismus vieler Forscher ist verflogen.

Hoffen auf das »Neutralino«

Der Blick ins All gilt als zweiter Weg, das Dunkle-Materie-Rätsel zu lösen: Physiker halten es für möglich, dass sich zwei Partikel des Stoffs gegenseitig auslöschen, wenn sie sich in den Weiten des Alls begegnen. Dies ist zumindest eine Vorhersage vieler »supersymmetrischer« Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik, dem etablierten Regelwerk für den Mikrokosmos. Sie sagen eine Fülle neuer Elementarteilchen voraus, darunter auch das so genannte Neutralino. Es wäre ein geeigneter Dunkle-Materie-Kandidat – und würde, anders als bisher bekannte Partikel, seinesgleichen bei Zusammenstößen vernichten.

Dabei würden Gammastrahlen entstehen. Gammastrahlen, wie sie aus Richtung des galaktischen Zentrums – wo sich besonders viel Dunkle Materie ballen müsste – zur Erde dringen müssten. Daher stritten Wissenschaftler so intensiv über die Spur aus der Mitte unserer Galaxie. Wartete dort die Antwort auf eine der größten Fragen der modernen Naturwissenschaften?

Nun gewinnen die Skeptiker die Oberhand

Zur Enttäuschung vieler Forscher haben nun die Skeptiker die Oberhand in dieser Debatte gewonnen: Mehrere Fachaufsätze lassen es zunehmend unwahrscheinlich erscheinen, dass der Überschuss an Gammalicht von Dunkler Materie stammt. Stattdessen hat das Signal vermutlich weit unspektakulärere Ursachen: Pulsare, Supernova-Überreste oder Kollisionen zwischen Atomkernen und Gaswolken – sie alle senden Gammastrahlen aus.

Vor allem so genannte Millisekunden-Pulsare haben die Wissenschaftler in der Vergangenheit offenbar unterschätzt. Womöglich gibt es mehr von ihnen in der knapp 20 000 Lichtjahre großen Zentralregion der Milchstraße als gedacht. Das würde zumindest den Gammastrahlen-Überschuss elegant erklären, so das Fazit einer 2015 erschienenen Analyse.

Auch jene 400-köpfige Forschergruppe, die für das Gammastrahlen-Instrument Large Area Telescope an Bord des Fermi-Satelliten zuständig ist, hält eher wenig von der Dunkle-Materie-Interpretation: Die Messdaten aus den vergangenen sechseinhalb Jahren ließen sich auch ohne Dunkle Materie erklären, schrieben die Wissenschaftler 2017 in einer Veröffentlichung.

Ein weiteres Indiz gegen die Dunkle Materie

Und nun spricht auch noch eine Computersimulation eines Teams um Oscar Macias von der Virginia Polytechnic Institute and State University gegen die Dunkle Materie: Die Forscher haben dabei viel Wert auf Gasströme gelegt, die sich in einer quaderförmigen Region rund um den Mittelpunkt der Milchstraße bewegen. Ihre Interaktion mit Partikeln der kosmischen Strahlung sei bisher nur unzureichend simuliert worden, schreiben die Forscher im Fachmagazin »Nature Astronomy«. Die Wissenschaftler fügten ihrem Modell außerdem noch 64 Pulsare hinzu. Insgesamt sagte die Simulation damit die gemessenen Gammastrahlen-Emissionen besser voraus als wenn man annimmt, dass eine sphärische Wolke aus Dunkler Materie das galaktische Zentrum einhüllt.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam bereits einige Monate zuvor ein Team um Christoph Weniger von der Universität Amsterdam. Demnach müssten unter anderem die Radioteleskop-Projekte MeerKAT und SKA verborgene Millisekunden-Pulsare in den kommenden Jahren aufspüren können. Das wäre dann das Ende des Traums einer Dunkle-Materie-Entdeckung im galaktischen Zentrum.

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