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Erste Bilder von Euclid: Die Jagd auf die Dunkle Energie ist eröffnet

Mit Euclid wollen Forscherinnen und Forscher die bisher detaillierteste 3-D-Karte des Universums erstellen und so die Geheimnisse der Dunklen Materie und der Dunklen Energie lüften. Nun hat die ESA die ersten Aufnahmen des Weltraumteleskops veröffentlicht: Sie sind noch schärfer als erhofft.
Tausende Galaxien des Perseus-Clusters, aufgenommen mit Euclid
Der Perseus-Cluster wurde bereits oft beobachtet – aber noch nie so detailliert abgebildet.

Im ersten Moment scheint es nur eine schier unendliche Ansammlung großer und kleiner heller Punkte zu sein. Doch zoomt man näher in das Bild des Perseus-Clusters hinein, eröffnet sich dem Betrachtenden ein gestochen scharfer Anblick von gut 1000 Galaxien im Vordergrund – und mehr als 100 000 weiteren Galaxien in größerer Entfernung im Hintergrund. Dieses und vier weitere Bilder, die das Euclid-Konsortium jetzt veröffentlicht haben, zeigen: Das neue Teleskop der Europäischen Weltraumagentur ESA ist einsatzbereit.

»Wir haben noch nie zuvor astronomische Aufnahmen gesehen, die so viele Details enthalten«, sagte René Laureijs, leitender Wissenschaftler im Euclid-Projekt, vorab laut einer Pressemitteilung. »Sie sind sogar noch schöner und schärfer, als wir es uns erhofft hatten.« Während der insgesamt sechsjährigen Mission wird Euclid das Äquivalent von einer Million DVDs an Daten erzeugen. Diese Daten werden von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auf der ganzen Welt verwendet, um die bisher detaillierteste 3-D-Karte des Universums zu erstellen und die Geheimnisse der Dunklen Materie und der Dunklen Energie zu lüften. Beide Komponenten machen zusammen 95 Prozent des heutigen Universums aus, während die gewöhnliche Materie auf nur etwa fünf Prozent kommt. Dazu schaut Euclid sich einige Milliarden Galaxien an und scannt gut zehn Milliarden Jahre kosmische Geschichte. 15 000 Quadratgrad in winzigen Rasterschritten.

Dunkle Materie und Dunkle Energie lassen sich nur über Umwege sichtbar machen

Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass auch Euclid weder die Dunkle Materie noch die Dunkle Energie direkt beobachten kann. Doch indem das Teleskop rund ein Drittel des Firmaments systematisch durchmustert, kann es die Auswirkungen dieser rätselhaften Substanz auf die räumliche Verteilung von Galaxien im Universum dokumentieren. Dunkle Materie etwa zeigt sich nur indirekt über die Wirkung ihrer Gravitationsfelder und durchzieht den Kosmos in lang gestreckten Filamenten. Große Masseansammlungen krümmen die Wege des ausgesendeten Lichts und lassen Objekte hinter sich verzerrt erscheinen. Verfolgt man mit statistischen Analysen die Lichtwege zurück zu ihrem Ursprung, erfährt man, wie viel Materie das Licht unterwegs abgelenkt hat. Damit lässt sich Dunkle Materie sichtbar machen.

Mit Hilfe von Euclid können die kosmischen Bestandteile in der Tiefe des Universums scheibchenweise detailliert untersucht werden. So ist es möglich festzustellen, ob die Dunkle Energie je nach Abstand zur Erde – also auch zeitlich, nämlich im Lauf der kosmischen Entwicklung – variiert. Im aktuellen Standardmodell der Kosmologie wird eine Dunkle Energie favorisiert, die sich zeitlich nicht ändert: die kosmologische Konstante Lambda, die im Jahr 1917 von Albert Einstein eingeführt wurde. Bis heute hat sie alle Tests bravourös bestanden und erklärt sämtliche astronomischen Beobachtungen am besten. Der Befund einer zeitlich veränderlichen Dunklen Energie mit Euclid wäre somit eine handfeste Überraschung! Damit kämen andere Formen Dunkler Energie ins Spiel, zum Beispiel die Quintessenz. Insofern werden die neuen Ergebnisse von Euclid mit Spannung erwartet.

Der Perseus-Galaxiencluster weist wie alle Galaxienhaufen die typische filamentartige Struktur auf, das heißt, die Welteninseln ordnen sich fadenförmig aneinander an und bilden dabei riesige hohle wabenartige Räume. Viele der im Bild sichtbaren Galaxien hat Euclid zum allerersten Mal fotografiert. Manche von ihnen sind so weit von der Erde entfernt, dass ihr Licht rund zehn Milliarden Jahre benötigt, um zu uns zu gelangen. Das Licht, dass wir nun sehen, wurde also bereits von ihnen ausgesandt, als unsere Sonne mitsamt den Planeten noch lange nicht existierten. Denn das Sonnensystem ist gerade einmal 4,57 Milliarden Jahre alt.

Der Perseus-Cluster so scharf wie nie

Viele der Galaxien im Perseushaufen waren bereits aus anderen Beobachtungen bekannt. Doch es lassen sich auch welche finden, die anderen Teleskopen bislang entgangen sind. Es handelt sich um Zwerggalaxien, die überwiegend aus alten, massearmen Sternen bestehen. Sie leuchten in roten und gelben Farbtönen. Mit Euclid könnte es gelingen, ihre Anzahl genauer zu bestimmen, als es bislang möglich war. »Die Anforderungen an die Bildqualität von Euclid waren von Anfang an so hoch, dass wir nie sicher waren, ob wir sie erfüllen können. Wir haben uns lange an der Grenze des Machbaren bewegt«, sagt Giuseppe Racca, Missionsmanager bei der ESA und verantwortlich für die Entwicklung von Euclid, auf Anfrage von »Spektrum.de«. »Diese Bilder beweisen, dass sich die geleistete Arbeit gelohnt hat.« Dass die Bilder so detailreich sind, sei dem speziellen optischen Design, der perfekten Fertigung und Montage von Teleskop und Instrumenten sowie einer extrem genauen Ausrichtung und Temperaturkontrolle. zu verdanken.

Um die Form und die Verteilung von Galaxien präzise zu vermessen sowie die Geschwindigkeit, mit der sie auseinanderdriften, braucht das Teleskop ein großes Sichtfeld und extrem empfindliche Detektoren, es muss ausgesprochen stabil sein und einen großen Bereich des elektromagnetischen Spektrums abdecken. Dazu spaltet ein spezieller Filter das auf den 1,2 Meter messenden Teleskopspiegel auftreffende Licht in zwei Strahlenbündel auf – der eine enthält den sichtbaren, der andere den infraroten Anteil –, die dann zu zwei wissenschaftlichen Instrumenten geleitet werden: VIS und NISP. Die erste Abkürzung steht für »Visible Instrument« und die zweite für »Near Infrared Spectrometer and Photometer«. Zusammen decken sie einen Bereich des elektromagnetischen Spektrums zwischen 550 und 2000 Nanometern ab.

Für die Aufnahme des Perseus-Clusters sammelte Euclid Strahlung über einen Zeitraum von insgesamt fünf Stunden ein. Anschließend wurden die Daten zur Erde geschickt und ausgewertet. Die markanten sechszähligen Strahlen um helle Vordergrundsterne entstehen durch Lichtstreuung im optischen System des Teleskops. Auffällig sind zudem einige runde, diffuse blaue Flecken. Sie sind keine Himmelsobjekte, sondern so genannte Geisterbilder, die im komplexen Strahlengang von Euclid entstehen. Sie lassen sich leicht erkennen und stören die Bildauswertung daher nicht.

Im Lauf seiner Lebenszeit wird Euclid zahlreiche weitere Galaxienhaufen wie Perseus beobachten und so versuchen, der mysteriösen Substanz auf die Spur zu kommen, die sie zusammenhält. »Ich möchte allen gratulieren und danken, die an der Verwirklichung dieser ehrgeizigen Mission beteiligt waren, die ein Ausdruck der europäischen Exzellenz und der internationalen Zusammenarbeit ist«, sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher. »Die ersten von Euclid aufgenommenen Bilder sind beeindruckend und erinnern uns daran, warum wir solche Teleskope brauchen: Nur so können wir mehr über die Geheimnisse des Universums erfahren.«

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