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Ethnologische Statistik: Wo gejagt wird, jagen auch die Frauen

Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften wurde lange die klassisch-europäische Geschlechterrollenverteilung unterstellt. Doch dass nur Männer jagen, ist weltweit offenbar die Ausnahme.
Frau der Baka aus der Zentralafrikanischen Republik mit Machete
Eine Angehörige der Baka-Pygmäen mit Machete und Netz. In vielen Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften nehmen die Frauen aktiv und gezielt an der Jagd teil. Allerdings unterscheiden sich ihre Jagdzüge von denen der Männer.

Eine aktuelle Studie nährt weiter Zweifel an der althergebrachten Vorstellung, wonach in traditionellen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften ausschließlich die Männer auf Jagd gehen, während die Frauen nur sammeln. Wie die Untersuchung, die in der Fachzeitschrift »PLOS ONE« veröffentlicht wurde, zeigt, nehmen in fast 80 Prozent der untersuchten Gemeinschaften auch Frauen an der Jagd teil.

Die Studie analysierte Berichte und Beobachtungen vorrangig aus den letzten vier Jahrzehnten und kam zu dem Schluss, dass Frauen in der Mehrzahl der erfassten Gesellschaften aktiv an der Jagd beteiligt waren. Damit sieht das Team um Cara Wall-Scheffler von der University of Washington in Seattle den noch vor Jahrzehnten in der Anthropologie verbreiteten »Mythos vom Mann, dem Jäger« widerlegt.

Dieser Vorstellung nach würden sich nur Männer auf Grund ihrer höheren Körperkraft und Konstitution für die mitunter gefährliche Jagd eignen. Die Vorstellung, dass Frauen durch Faktoren wie Schwangerschaft, Menstruation und eine weniger aggressive Natur von der Jagd ausgeschlossen seien, ist aber nach Ansicht der Studienautorinnen überholt. Tatsächlich sei die Jagd durch Frauen weit verbreitet. Frauen würden in vielen Kulturen einen wichtigen Anteil der Versorgung mit Fleisch leisten.

Die Studie erfasste Daten von 391 Jäger-und-Sammler-Gesellschaften. In 63 Darstellungen wurden die Praktiken der Jagd explizit beschrieben. Wall-Schefflers Team fand in 50 dieser 63 Fälle eine Beteiligung von Frauen. Dabei zeigte sich, dass die Jägerinnen flexibler in der Wahl ihrer Methoden und Jagdwaffen waren als ihre männlichen Pendants. Auch die Jagd mit Hunden ist für Frauen dokumentiert, und Kinder würden ebenfalls häufig auf die Jagd mitgenommen. In manchen Gesellschaften gehen Mann und Frau zu zweit gemeinsam auf die Jagd, in anderen in gleich- oder gemischtgeschlechtlichen Gruppen. Allein oder bei Nacht auf die Jagd zu gehen, ist dagegen, zumindest ausweislich der Daten, noch am ehesten eine exklusiv männliche Domäne.

Die analysierten Jäger-und-Sammler-Gesellschaften verteilten sich auf verschiedene Kontinente und Kulturen, darunter 19 verschiedene Gesellschaften aus Nordamerika, 6 aus Südamerika, 12 aus Afrika, 15 aus Australien, 5 aus Asien und 6 aus Ozeanien. Nicht immer lagen dabei Informationen vor, ob die Frauen gezielt auf Beutezug gehen oder auf ihren Streifzügen eher günstige Gelegenheiten nutzen. Für Ersteres fanden die Wissenschaftlerinnen immerhin 36 Belege, für Letzteres lediglich 5. In Ethnien, in denen die Jagd als die wichtigste Methode der Nahrungsbeschaffung bezeichnet wurde, beteiligten sich Frauen zu 100 Prozent aktiv an der Jagd. In einem Drittel der beschriebenen Gruppen machten die Frauen (auch) Jagd auf große Tiere.

Das Forscherinnenteam weist auf die Bedeutung seiner Ergebnisse für die Interpretation archäologischer Funde hin. Wenn Jagdequipment im Grab eines Mannes gefunden werde, werde der Tote für gewöhnlich als Jäger aufgefasst; fänden sich die Werkzeuge dagegen im Grab einer Frau, würde nach alternativen Deutungen gesucht. Eine Studie aus dem Jahr 2020 kam allerdings bereits zu dem Schluss, dass Jagdwaffen in prähistorischen Frauengräbern Nord- und Südamerikas keine Seltenheit seien: Von 27 Gräbern mit Großwildjagdwaffen, bei denen sich das Geschlecht der bestatteten Person bestimmen ließ, gehörten 11 einer Frau.

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