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Giftmüll als Rohstoff: Wie aus gefährlichem Abfall Stahl wird

Bei der Aluminiumherstellung fallen jährlich Millionen Tonnen eisenhaltigen Rotschlamms an. Ein Team aus Düsseldorf hat einen Weg gefunden, ihn wirtschaftlich zu nutzen.
Zwischen grünen Feldern und einer Flussmündung sieht man eine große Deponie voll mit einem braunroten Stoff
Rotschlamm, ein Abfallprodukt der Aluminiumproduktion, wird in großen Deponien gelagert, wie hier bei der Aughinish Alumina Refinery in Irland.

Aus einem gefährlichen Abfallprodukt, das bei der Erzeugung von Aluminium massenhaft anfällt, lässt sich möglicherweise in großem Stil reiner Stahl herstellen. Eine Forschungsgruppe um Matic Jovičević-Klug vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung hat aus dem stark eisenhaltigen Rotschlamm, wie der Abfall umgangssprachlich genannt wird, in einem Lichtbogenofen innerhalb von Minuten elementares Eisen hergestellt. Dieses lässt sich weiter zu Stahl verarbeiten. Mit dem neuen Ansatz entsorgt man nicht nur den umweltschädlichen Giftmüll – das Verfahren lohnt sich auch wirtschaftlich, wie die Forscher in der Fachzeitschrift »Nature« schreiben.

Um Aluminium aus dem Mineral Bauxit zu gewinnen, erhitzt man das zerkleinerte Gestein zusammen mit Natronlauge auf 150 bis 200 Grad. Dabei lösen sich die Aluminiumsalze, die dann anschließend weiterverarbeitet werden. Alle anderen Metallsalze bleiben als Feststoffe übrig und werden als »Rotschlamm« deponiert: eine braunrote Masse, die oft zu mehr als der Hälfte aus Eisenoxiden besteht. Außerdem enthält sie Silikate und je nach Beschaffenheit des verwendeten Gesteins Spuren von Edelmetallen oder giftigen Schwermetallen. Vor allem aber ist die Masse mit einem pH-Wert zwischen 10 und 12 stark ätzend.

Quadratkilometergroße Deponien weltweit

Laut den Autoren ist Rotschlamm »eines der größten umweltgefährdenden Abfallprodukte weltweit«. 86 Millionen Tonnen Aluminium wurden im Jahr 2021 weltweit gefördert, bis zum Jahr 2050 soll der Bedarf Schätzungen zufolge um bis zu 60 Prozent zunehmen. Entsprechend gigantisch sind die Mengen an Rotschlamm. Zirka 4 Milliarden Tonnen davon haben sich mittlerweile angesammelt, jährlich kommen rund 180 Millionen Tonnen dazu.

Die Abfälle lagern in quadratkilometergroßen Becken – zu besichtigen etwa nahe Stade in Niedersachsen (etwa 500 mal 500 Meter groß), in der Nähe der irischen Stadt Limerick oder in etwas größerem Stil im australischen Queensland, wo ein mehrere Quadratkilometer großes Becken gerade einmal einen Kilometer von der Pazifikküste entfernt steht. Der riesige rote Fleck ist sogar auf Satellitenbildern der NASA zu sehen. Problematisch wird das vor allem dann, wenn die stark alkalische Brühe die Betondämme angreift, die sie zurückhalten – so geschehen etwa im Jahr 2010 nahe der ungarischen Stadt Ajka. Über eine Million Kubikmeter Rotschlamm verwüstete die Umgebung sowie drei umliegende Dörfer.

Obwohl sein Gehalt an Eisen enorm hoch ist, gibt es derzeit keine nennenswerte Verwendung für das Abfallprodukt. Zum einen sind verschiedene Rotschlämme unterschiedlich zusammengesetzt. Zum anderen ist es schlicht zu teuer und aufwändig, das enthaltene Eisenoxid von den anderen Bestandteilen zu trennen, um es anschließend im Schmelzofen zu reduzieren, wie es in der Stahlherstellung üblich ist. Zwar gab es bereits Versuche, der Masse Herr zu werden, indem man die Eisenerze mit Wasserstoff reduzierte. Doch auch hier galt es, den Rotschlamm erst aufzubereiten.

Schneller Umsatz mit Wasserstoffplasma

Das Team um Jovičević-Klug hat sich die Aufbereitung nun gespart und direkt den unbehandelten Rotschlamm mit einem Wasserstoffplasma umgesetzt. Dazu brachte es Proben von Rotschlamm in eine Reaktionskammer und erzeugte darin für einige Minuten per Lichtbogen ein Plasma aus Argon und Wasserstoff. Unter diesen speziellen Bedingungen fanden zwei Prozesse gleichzeitig statt: Schmelze und Reduktion. Der feste Rotschlamm wurde bei den hohen Temperaturen zu einer zähen Flüssigkeit, in der sich Bereiche mit unterschiedlichen Gehalten an Eisenoxiden befanden. Die eisenoxidreichen Bereiche wurden durch die reaktiven Wasserstoffradikale, die im Plasma entstanden, zuerst reduziert; das metallische Eisen floss daraufhin in der Schmelze zusammen und bildete Knollen. Das so erhaltene Eisen hat einen Reinheitsgrad von 95 Prozent und lässt sich damit direkt zur Stahlerzeugung einsetzen.

Aus 15 Gramm Rotschlamm erhielten die Forscher auf diese Weise nach zehn Minuten Behandlung 2,6 Gramm metallisches Eisen. Das sei fast so viel, wie theoretisch maximal möglich sei, betonen die Forschenden in ihrer Veröffentlichung. Neben der Aufbereitung des Eisens hat der Prozess einen weiteren Nutzen: Die Oxide, die als Nebenprodukte der Reaktion entstehen, sind nahezu pH-neutral. Außerdem haben sie eine glasähnliche Struktur, wodurch sie auf vielfältige Weise als Baustoffe einsetzbar wären.

Finanziell lohnt sich die Aufbereitung des Abfalls laut Berechnung der Autoren, sobald die Schlämme zur Hälfte aus Eisenerzen bestehen. Berücksichtigt man dazu die Deponiekosten, ist das Unterfangen bereits ab 30 Prozent Eisenerzgehalt wirtschaftlich. Eine Tonne auf diesem Weg erzeugten Stahls bringt dann ähnlich viel Gewinn wie eine Tonne Stahl aus frisch abgebautem Eisenerz.

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