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News: Heftige Randerscheinungen im Labormaßstab

Sollte irgendwann einmal ein Kernfusionsreaktor seinen Betrieb aufnehmen, wird es hart werden für die inneren Wände der Fusionskammer. Immer wieder schlagen hochenergetische Neutronen ein und schmelzen Ionen aus dem Kristallverband. Zumindest sagen das theoretische Berechnungen voraus, wirkliche Experimente, die zeigen, was im atomaren Maßstab abläuft, gibt es bislang nicht. Das könnte demnächst anders werden, wenn ein relativ bescheidener Versuchsaufbau extrem kurze Neutronenschauer produziert. Damit ließe sich im Prinzip ein Film von den Vorgängen im Wandmaterial drehen.
Wenn man einmal darüber nachdenkt, dann ist es kaum weniger als der Versuch, die Sonne einzusperren. Aus was für Material müsste wohl der Käfig dafür sein? Genau diese Frage stellen sich Wissenschaftler wie Todd Ditmire vom Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. "Jedes Standardmaterial würde sich einfach in Hüttenkäse verwandeln", meint er. Denn trotz starker Magnetfelder, die das Plasma unter Kontrolle halten sollen, muss jedes Atom der Innenwandung eines Fusionsreaktors im Laufe der Jahre durchschnittlich 100 heftige Zusammenstöße mit hochenergetischen Neutronen aushalten.

Was dabei im Einzelnen passiert, können Wissenschaftler bislang nur mit großem Aufwand simulieren. Danach vermag ein einzelnes einschlagendes Neutron bis zu 100 000 Ionen aus dem Kristallverband zu schmelzen. Innerhalb weniger Nanosekunden nehmen die wieder ihren Platz ein, allerdings passieren dabei Fehler, die in der Summe das Material langsam zerstören.

Alleine auf Modelle und Computerberechnungen wollen und dürfen die Forscher sich nicht verlassen. Für aussagekräftige Experimente fehlte jedoch immer eine Neutronenquelle, die kurze Pulse von unter einer Nanosekunde aussendet. Nur damit wäre die Teilchendichte so gering, dass die Materialwissenschaftler ihre Theorien überprüfen können.

Ditmire und seine Kollegen glauben nun, solch ultrakurze Neutronenausstoße mit Hilfe eines Lasers erzeugen zu können (Physical Review Letters vom 23. Oktober 2000, Abstract). Sie beschießen eine Ansammlung von einigen tausend Deuterium-Atomen mit einem Laserpuls, der 35 Femtosekunden (10-15 Sekunden) andauert und 150 Millijoule Energie hat. Das Licht pustet regelrecht die Elektronen davon, und die zurückbleibenden Ionen stoßen sich in einer heftigen Explosion gegenseitig ab. Durch die Energie verschmelzen in der Nähe des Laserbrennpunktes Deuteronen und senden dabei Neutronen aus. Die Dauer dieses Pulses beträgt in neun Zentimetern Entfernung nur 650 Pikosekunden (650 * 10-12 Sekunden) und könnte sogar noch auf rund 100 Pikosekunden verkürzt werden, gibt Ditmire an. Außerdem liegen die Neutronen mit 2,45 Megaelektronenvolt nahe an dem Energiebereich, den man auch für eine Kernfusion im großen Maßstab erwartet.

Natürlich sind noch einige Probleme zu lösen, bis eine fertige Neutronenquelle zur Verfügung steht, räumen die Forscher ein. Aber dann könnten sie mit einer zusätzlichen Röntgenquelle fleißig Informationen über die Veränderungen der Kristallstruktur beliebiger Proben sammeln. "Wir können einen Film davon machen, wie es schmilzt und wieder kristallisiert", sagt Ditmire.

Abgesehen von der Suche nach geeigneten Wandmaterialien für den Fusionsreaktor wird es sicherlich noch andere Anwendungen geben, meint Jason Zweiback: "Sobald Sie jemandem zeigen, dass Sie eine brauchbare Quelle haben, entwickeln eine Menge Leute Ideen, was man damit anstellen kann."

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