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Klimapolitik: Hoffnung und heiße Luft

Ein ambitioniertes Ziel steht im globalen Klimavertrag, der in Paris unterzeichnet wurde: Nicht mehr als anderthalb Grad soll die globale Temperatur steigen. Ist das überhaupt noch möglich?
Banlieue vor Paris mit gewittrigem Himmel im Hintergrund

Seit Laurent Fabius seinen grünen Spielzeughammer fallen ließ, gibt sich die Welt einem Traum hin. "L'accord de Paris pour le climat est accepté", sagte der französische Außenminister am 12. Dezember 2015 zum Abschluss des Klimagipfels – im Saal und vor Bildschirmen fingen Menschen an zu jubeln. Das Abkommen ist der erste wirklich globale Klimavertrag und sieht vor, die Erwärmung der Welt "deutlich unter zwei Grad Celsius" zu halten, gemessen an den Temperaturen vor Beginn der Industrialisierung. Noch im gleichen Absatz verlangen die Vertragspartner sogar nach "Anstrengungen", den Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, "da erkannt wurde, dass dies die Risiken und Auswirkungen der Klimaänderungen erheblich verringern würde".

Dieses Limit in einem internationalen Vertrag verankert zu bekommen, schien lange völlig illusorisch, zumal die Hälfte der demnach erlaubten Erwärmung schon erreicht ist: 0,8 Grad. Um dem Traum von den anderthalb Grad eine reale Basis zu geben, hat der Weltklimarat IPCC auf Bitte der Pariser Konferenz im April 2016 beschlossen, 2018 einen Sonderbericht vorzulegen. Im Mai sollten die Regierungen die Experten und Autoren nominieren, Mitte August will das Gremium die Struktur des Reports beschließen.

"Da bleibt nicht mehr viel Zeit", sagt Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und rechnet vom Erscheinungsdatum rückwärts: "Spätestens Ende 2017 wird wahrscheinlich die Einreichungsfrist für wissenschaftliche Veröffentlichungen als Grundlage für den Bericht ablaufen, also sollten unsere Daten Ende 2016 fertig sein, damit wir noch Zeit für die Auswertung, Interpretation und externe Begutachtung unserer Analysen haben." Frieler koordiniert in Potsdam einen internationalen Vergleich von Computersimulationen, mit denen sich die Folgen des Klimawandels für Landwirtschaft, Fischerei, Gesundheitssystem, Küstenstädte oder Wasser- und Energieversorgung berechnen lassen. "ISIMIP" (Inter-Sector Impact Model Intercomparison Project) heißt das Vorhaben, das sich jetzt der 1,5-Grad-Welt zuwendet.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit

Was Erwärmung zum Beispiel bedeuten kann, zeigt sich schon heute beim Wechsel der Jahreszeiten, sagt Tord Kjellström vom Health and Environment International Trust in Neuseeland. Er untersucht die Auswirkung von Temperaturen auf die Arbeitsproduktivität und erzählt gern von einer Fabrik in Kambodscha, wo 5000 junge Frauen Kleidung für Kunden in Industrieländern nähen. "Sie haben das ganze Jahr über die gleiche Tagesquote, aber im Sommer müssen sie zwei Stunden länger arbeiten als im Winter, um sie zu erfüllen", sagt Kjellström. Die Hitze bremse die Leistung der Frauen; nur eine jahrzehntealte Anlage, die ein wenig gekühlte Luft durch die Hallen bläst, bringe Linderung. "Als ich da war, hat der Manager sogar geklagt, er müsse den Arbeiterinnen Suppe geben, weil sie länger als zwölf Stunden pro Tag im Betrieb sind."

Eine weitere Erwärmung der Sommertage oder ein früherer Beginn der Jahreszeit könnten daher große Folgen haben. Elf Prozent der Arbeitskapazität dürften in Kambodscha durch ungebremsten Klimawandel verloren gehen, zeigte vor Kurzem ein Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen; in Bangladesch wären es fast neun, in Indien acht Prozent. Für die Menschen und die Länder wären damit enorme wirtschaftliche Verluste verbunden; ein allmähliches Schließen der Wohlstandslücke zum industriellen Norden würde viel schwieriger. Ließe sich die Erwärmung allerdings auf 1,5 Grad begrenzen, so die Autoren des Reports, könnten die Staaten womöglich mit Anpassungsmaßnahmen gegensteuern.

Solche Aussagen wollen die Klimafolgenforscher um Katja Frieler nun mit Zahlen unterfüttern. Ihre Zusammenarbeit ist schon etabliert. Vor drei Jahren hatten 30 Arbeitsgruppen ihre Daten verglichen. Damals kam zum Beispiel heraus, dass bei einem beschleunigten Klimawandel schon im Jahr 2050 die Getreideerträge um elf Prozent sinken könnten, was die Preise um 20 Prozent steigen ließe. Diese Aussage beruhte auf den Daten von zwei Klima-, fünf Ernte- und neun Wirtschaftsmodellen. Jetzt aber geht es eher um einen entschleunigten Klimawandel, der zumindest im Rechenmodell auf 1,5 Grad globaler Erwärmung begrenzt wird – und inzwischen haben 100 Arbeitsgruppen ihr Interesse bekundet, an dem Vergleich teilzunehmen.

Viele von ihnen haben sich vergangene Woche am PIK zu einem internen Workshop getroffen, um ihr Programm zu koordinieren. "Wenn wir die Ergebnisse wirklich vergleichen wollen, sollten wir alle die gleichen Szenarien benutzen", sagt Frieler. "Und darauf haben wir uns auch geeinigt."

Wie die Geräte einer hochwertigen HiFi-Anlage lassen sich in der Community der Modellrechner inzwischen die Module aneinanderkoppeln, mit denen sie in die Zukunft blicken. Für die ISIMIP-Arbeitsgruppen fing es an mit der Auswahl eines globalen gesellschaftlichen Szenarios. Die Frage ist doch: Werden Länder der Welt künftig stärker als bisher zusammenarbeiten, um Unterschiede schnell zu verringern und eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, oder weiter vor allem auf fossile Energieformen setzen und die Ungleichheit in sowie die Differenzen zwischen den Staaten noch steigern? Um solche Entwicklungen zu fassen, haben Klimaforscher fünf Prototypen entwickelt, die so genannten Shared Socioeconomic Pathways (SSP).

Wie viel Treibhausgas bringt die Zukunft?

Für ihr Vergleichsprojekt haben sich die Arbeitsgruppen für das mittlere Szenario SSP2 entschieden, in dem die Welt nach historischem Muster weiterwurstelt und dabei langsame, nichtuniverselle Fortschritte erzielt. So werden die Staaten zum Beispiel die Erfüllung der (inzwischen von den Vereinten Nationen überarbeiteten) Millenium-Entwicklungsziele gleich um mehrere Jahrzehnte verpassen, heißt es in der Beschreibung. Das Szenario sieht etwa vor, dass die Bevölkerungszahl der Erde um 2070 herum bei gut 9,4 Milliarden Menschen ihren Höchstwert erreicht und dann wieder langsam fällt. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf vervierfacht sich ungefähr.

Die Auswahl eines Klimaszenarios fiel leicht: Die 1,5-Grad-Grenze ist nur dann einzuhalten, wenn die Emissionen von Treibhausgasen bis 2020 nur noch sehr wenig steigen und danach deutlich fallen. Dieses Szenario heißt RCP2.6. Die Representative Concentration Pathways beschreiben mit den Ziffern am Ende den zusätzlichen Strahlungsantrieb in Watt pro Quadratmeter. Die Arbeitsgruppen, die Katja Frieler koordiniert, wollen die so definierte Welt mit einer vergleichen, die weitgehend auf Klimaschutz verzichtet und sich darum um 2,5 bis 3 Grad erwärmt.

Demonstrantin auf einer Klimaschutz-Demo

Die Entwicklung des Klimas selbst, wie sich von Tag zu Tag die Temperaturen entwickeln, wo Niederschläge fallen, welche Winde wehen, berechnen vier verschiedene Supercomputer in England, Frankreich, den USA und Japan. Hier laufen so genannte General Circulation Models, die die Welt und die Atmosphäre in lauter kleine Kästchen zerlegen und für jeden Tag bis zum Jahr 2100 berechnen, wie jedes davon seine Nachbarn beeinflussen könnte. Auch Extremereignisse wie Dürren oder Starkregen werfen die Klimasimulationen aus. Sie liefern den Computermodellen der ISIMIP-Gruppe die Daten, um die Erträge der Getreidefelder, die Häufigkeit von Überflutungen an Flüssen, das Potenzial für Windräder oder eben die Veränderungen der Arbeitsproduktivität zu berechnen.

Wie realistisch die simulierte Welt der ISIMIP-Forscher ist, hängt stark vor der wirklichen Entwicklung der Emissionen in den kommenden 14 Jahren ab. Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln spricht ernste Warnungen aus. "Wenn die Nationen bis 2030 nur ihre bisher verkündeten Pläne verwirklichen, ist es fast unmöglich, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen", sagt er. Der Grund liegt im zentralen Instrument des Pariser Vertrags, den INDCs (Intended Nationally Determined Contributions). Die Länder haben sich in diesen Dokumenten verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen zu senken, aber das Ausmaß haben sie selbst bestimmt. Es gibt keine zentrale, völkerrechtlich relevante Instanz, die bewertet, ob der Beitrag groß genug ist, und womöglich Nachbesserungen verlangt.

Eine Frage des Willens

Darum haben Umweltschützer und Forscher schon vor und während der Konferenz immer wieder betont, dass die bisherigen INDCs nicht genügen. In der Summe reichen diese Selbstverpflichtungen gerade, um die Erwärmung auf drei Grad zu begrenzen, hat Höhne mit seinem Team nun in einer "Nature"-Studie nachgerechnet. Verschärfen die Länder nicht schon bis 2020 oder 2025 ihre Ziele, wird der Weg zu einer Erwärmung von zwei Grad schwierig und unnötig teuer. Die Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad zu begrenzen, könnte unmöglich werden, weil den Selbstverpflichtungen der Staaten zufolge bereits 2030 zu viele Treibhausgase in der Atmosphäre sind.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Arbeitsgruppe um Benjamin Sanderson von National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado. Der Ausstoß von Treibhausgasen müsse schon bis 2030 um fast ein Drittel sinken, und bis 2050 auf null fallen, um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, schreiben die Wissenschaftler in den "Geophysical Research Letters".

Höhne gibt sich dennoch optimistisch – und richtet seinen Blick auf andere Akteure als nur die Staaten, zum Beispiel Städte und Großunternehmen. "Viele Firmen haben sich das Ziel gesetzt, sich schon 2020 oder 2025 komplett mit erneuerbarer Elektrizität zu versorgen", sagt er. 68 Firmen zum Beispiel gehören mittlerweile zum Verbund Re100.org. Und eine andere Organisation, "We mean business", hat soeben ausgerechnet, die Privatwirtschaft allein könne die in Paris zugesagten Reduktionen zu 60 Prozent abdecken, wenn 3000 Konzerne bis zum Jahr 2030 auf grünen Strom umstellten. "Viele Länder könnten ihre INDCs leicht übererfüllen", ist Höhne überzeugt. Der 1,5-Grad-Traum ist demnach noch nicht ausgeträumt.

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